Was man von außen nicht sieht :: Erschöpfungsdepression

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Diesen Artikel zu schreiben habe ich lange nicht gewagt. Ich möchte den Blog nicht nutzen um zu jammern oder um Mitleid zu betteln. Im Gegenteil, ich möchte den Menschen vermitteln, wie ein Miteinander voller Empathie, Achtsamkeit und Mitgefühl sein kann. Aber ich möchte auch nicht unter den Tisch kehren, was viel zu oft und zu lange unter den Tisch gekehrt wird: psychische Erkrankungen. Deshalb öffne ich heute eine knarzende Tür.

Wenn ich ehrlich bin, hatte ich schon lange bemerkt, dass etwas nicht stimmte mit mir. Aber ich kannte Menschen mit Depressionen. Ich kannte auch Menschen, die ihre Depressionen nicht überlebten. So schlimm war es bei mir doch nicht. Und mir wurde auch wohlmeinend versichert: Du hast keine Depression. Dafür war doch alles noch viel zu sehr in Ordnung. Aber war es das wirklich?

Diesen Sommer landete ich in einem Loch, so tief und so dunkel, dass ich das erste Mal wirklich Angst hatte. Angst, den Weg allein nicht mehr hinauszufinden. Ich fragte meine Therapeutin, ob das denn jetzt so etwas wie eine Depression war. Und sie sagte: „Wenn Sie unbedingt eine Diagnose brauchen: Ja, Sie haben eine ausgewachsene Erschöpfungsdepression.“ Das zu hören tat endlos weh, aber es war auch gut. Es erklärte mir so vieles. Es erleichterte mich auch, denn ich merkte nun, dass es nicht mein komisches Ich war, dass so schief und verschoben wirkte, dass mit mir an sich nichts falsch war. Dass ich „einfach nur“ an einer Krankheit litt, die von außen nicht einfach sichtbar war. Und für die es kein einfaches Rezept zur Heilung gab.

Meine Anzeichen waren zahlreich. Ich war dauermüde und erschöpft. Der Alltag mit den Kindern schien mir unbestreitbar. Morgens erwachte ich mit deutlichem Tinnitus, mein Nacken war immer verspannt, mein Rücken schmerzte spätestens ab mittags. Ich hatte oft Magenschmerzen. Das waren die körperlichen Anzeichen. Psychisch merkte ich, dass ich mich immer weiter in mich selbst zurück zog. Ich wollte mit niemandem viel reden, es strengte mich an Dinge zu klären, Entscheidungen zu treffen. Mit Kindern ist das leider immer wieder notwendig. Ich vergass Dinge, schickte die Kinder in den Kindergarten, obwohl sie längst für die Ferien abgemeldet waren. Es fiel mir schwer mich an den Kindern zu erfreuen, sie schienen mir hauptsächlich als Belastung. Ich schämte ich endlos dafür, so eine schlechte Mutter zu sein. Nichts machte mir Freude. Jede Aufgabe war eine Belastung. Aus dem Nichts heraus liefen mir oft die Tränen, ich weiß nicht wie oft ich morgens in der Küche stand und dachte: „Ich weiß nicht, wie ich den Tag schaffen soll.“ Der Versuch Freunde zu treffen, unter Menschen zu gehen, strengte mich jedes Mal aufs Neue an. Lieber war ich allein im Bett, scrollte mich durch das Internet und hasste alle, denen es besser ging als mir. Ich konnte auch nicht telefonieren, das strengte mich an. Whatsapp Nachrichten waren das Erträglichste und selbst die lagen oft tagelang unbeantwortet auf meinem Handy herum.

Ich empfand nichts mehr außer Traurigkeit und Verzweiflung. Keine Freude. Keine Liebe. Keine Dankbarkeit. Ich hatte keine Ahnung gehabt, wie schwer sich innere Leere anfühlen kann. Wie schmerzhaft sie wirklich war.

Meine Auszeit an der Ostsee im September war begleitet von Tränen und Verzweiflung. Und der Angst davor in den Alltag zurückkehren zu müssen, wo das dunkle Loch wieder auf mich wartete. Eine Woche allein konnte mich nicht retten. Es brauchte mehr.

Ich wollte keine Pillen schlucken. Wollte mich nicht benebeln lassen. Ich fragte Menschen, die da durch waren, wie sich das anfühlte. Nein, ich wollte da allein rausfinden. Mit menschlicher Hilfe, aber nicht mit chemischer. Ich schleppte mich von Woche zu Woche, von Therapiestunde zu Therapiestunde. Dazwischen ruhte ich mich viel aus, lag auf dem Sofa und schaute an die Decke im Kampf gegen die Uhr, die davontickte. Abholzeit. Meine Arbeit rief mich – die Kinder. Das war eines der großen Probleme von Anfang an.

Ich hatte die Arbeit als Mutter nicht als Arbeit gesehen. Ich hatte daneben noch arbeiten wollen. Etwas „ernsthaftes“, etwas, wofür auch Geld herein kommt. Weil das, was Mütter leisten, in unserer Gesellschaft nicht wirklich wertgeschätzt wird. Und weil es da draußen genug andere gibt, die auch das noch schaffen. Und dann vergleicht man sich. All das tut weh, endlos weh. Das Gefühl falsch zu sein, nicht genug zu sein. Ich war ihm total verfallen.

Heute habe ich die letzten Seiten meines Tagebuchs beschrieben, das ich im Mai begonnen hatte. Es ist ein Buch voller Schmerz, voller Angst und Verzweiflung. Ich möchte es verbrennen und all das, was darin steht, loslassen. Denn heute, so wage ich zu behaupten, geht es mir endlich etwas besser.

Ich habe wieder mehr Energie. Ich kann wieder lachen und mich an den Kindern erfreuen. Ich fühle endlose Dankbarkeit für die letzten Monate, denn ich habe in ihnen so viel gelernt wie noch nie in meinem einundvierzig Jahren. Über mich. Über mein Leben. Über das Leben an sich. Ich sehe wieder eine zarte Perspektive. Und ich habe wieder Mut über eine Zukunft nachzudenken. Darüber, wie mein Leben einmal aussehen soll. Ich arbeite wieder etwas und vor allem: Ich schreibe wieder. Meine pure Leidenschaft.

Wie ich dort hingefunden habe? Ich habe gekämpft. Ich habe mich meinen Dämonen gestellt und mich immer wieder gefragt: Was ist da los in mir? Was sind das für Gefühle? Woher kommen sie? Was wollen sie mir zeigen? Ich habe mit ihnen meditiert und in der Stille Frieden gefunden. Ich habe mich in der Therapie mutig dem gestellt, was in mir ist. Ich habe viel Ruhe genossen. Ich habe mit Hilfe einer TCM-Ärztin meine Ernährung umgestellt und meine „Mitte“ aufgeräumt. Ich habe mir selbst tägliche Spaziergänge und Meditation auferlegt. Ich bin endlos achtsam mit mir selbst geworden. Und mit allem um mich herum. Ich lese viele Bücher zu dem Thema. Vor allem das Buch „Freude“ von James Baraz* hat mich sehr getragen. Ich bleibe an mir dran. Ich kämpfe weiter.

Bin ich da raus? Nein, noch lange nicht. Aber ich bin derzeit einmal durch das tiefste Tief hindurch. Das heißt nicht, dass ich da nie wieder hinkommen werde. Das kann keiner sagen. Wer eine Grippe überstanden hat ist auch nicht ewig immun. Und so ein Krebs kann auch immer wiederkommen. Ich bin auf dem Weg nach oben. Ich sehe Licht und das mitten im November. Ich sehe mich wieder. Ich spüre mich wieder. Es tut so gut, dass es mich zu Tränen rührt wenn ich daran denke, wie verzweifelt ich war, als es nicht so war. Ich wache morgens auf und entscheide mich dafür das Beste aus dem Tag zu machen. Und ich lege mich hin, wenn mir alles zu viel ist.

Warum ich das hier alles schreibe? Weil ich mit immer mehr Müttern offen über das Thema rede. Und weil ich merke, wie viele am Limit sind. Wie viele auch in diesem Loch sind oder schon waren. Wie viele am Rande stehen und taumeln. Und wir wissen davon nichts. Wir fühlen uns allein, falsch und unzureichend. Das darf nicht sein. In einer Welt, in der wir den ganzen Tag davon lesen wie es anderen geht, wissen wir dennoch nicht, wie es ihnen wirklich geht. Weil psychische Erkrankungen noch immer tabu sind. Weil wir zwar mittlerweile ganz mutig darüber reden, dass es diese Erkrankungen gibt, aber die Erkrankten selbst es oft nicht wagen sich zu öffnen. Weil das mit Schmerzen und Scham verbunden ist. Und weil wir ganz oft selbst gar nicht merken, wie tief wir schon drin stecken.

Das größte Learning aus dieser Zeit ist sicher eines: Sei achtsam mit Dir selbst. Höre auf Dich, achte gut auf Dich. Auf Deine Grenzen, Deine Bedürfnisse. Mache Pause. Und wenn alles zu viel wird: Mach länger Pause. Es gibt Dich nur einmal. Wir können nicht gut für unsere Kinder da sein, wenn wir vor ihnen wegkippen.

Mit viel Licht und Liebe geschrieben an einem grauen Novembertag.

Nadine

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Dieser Beitrag hat 10 Kommentare

  1. Maria

    Danke für deine offenen Worte! Auch ich kenne das und weiß wie hart man an sich arbeiten muss um das durchzustehen und wieder ein bißchen Freude und Mut zu empfinden. Und gerade das Wissen, dass es ständige Achtsamkeit und Arbeit mit sich selber braucht um nicht wieder ganz tief zu fallen macht mir dann oft Angst und Druck. Zu wissen, wenn man nicht auf sich aufpasst und sich verliert kann es ganz schnell wieder ganz schlimm werden…

    1. buntraum

      Liebe Maria, ja genau, von nun an ist es die stetige Arbeit an sich selbst um dranzubleiben und nicht wieder zu kippen. Und wenn wir doch kippen zu wissen: wir können da wieder rausfinden. Weil wir gelernt haben, dass das möglich ist. Alles Liebe Dir!

  2. Co

    Du bist nicht alleine, Nadine. Auch ich kämpfe aktuell mit meiner Erschöpfung. Es ist unglaublich viel, was an Terminen und Aufgaben täglich im Kalender steht und viel zu oft denke ich, andere schaffen das doch auch und noch viel mehr. Aber man sieht immer nur einen kleinen Teil. Für andere sieht mein Leben auch toll aus. Wie es mir dabei geht, wissen nur wenige. Kommt dann noch irgendwas dazu an Schicksalsschlägen, kippt das ganze System dann schnell.
    An den letzen beiden Abenden bin ich mit meinen Kindern ins Bett gegangen, hab die Arbeit liegenlassen, keinen Kuchen für den Schulbasar gebacken und endlich mal wieder 9 Stunden Schlaf gehabt. Nächste Woche geht es zum Hausarzt die nächste Mutter-Kind-Kur beantragen.
    Liebe Grüße
    Co

    1. buntraum

      Liebe Co, ja, von außen sieht man oft gar nicht, wie viel Arbeit es ist, die man da täglich so erledigen muss. Es ist so gut, dass es in Deutschland diese Mutter-Kind-Kuren gibt. Das würde ich auch so gern machen. Alles Gute Dir! Nadine

    2. Kathrin

      Hallo Co,

      natürlich weiß ich nicht, wie alt Deine Kinder sind, aber falls Du sie gut bei deinem Mann (oder den Großeltern) lassen kannst, dann wäre vielleicht eine reine Mütterkur etwas für Dich.

      Drei Wochen nur für Dich.
      Ich war vor drei Jahren in Oberstdorf in einer reinen Mütterkurklinik (https://www.klinik-hoheslicht-oberstdorf.de) und dort habe ich gelernt, dass ich unbedingt mehr auf mich achten muss. Mein ältestes Kind war 12 J. , die kleinste 7 J. Und es war für mich das erste Mal (!), dass ich ohne 1-3 Kinder mitzunehmen ein paar Tage weg war.
      Es hat mir sehr gut getan und es war auch der Beginn meines „nicht mehr nur Mutter Lebens“. Meine Erschöpfung hat sich gelegt, ich begann eine Therapie, suchte einen anderen Job etc.

      Liebe Grüße, Kathrin

  3. Steffi F.

    Liebe Nadine,
    danke, dass Du dich uns so geöffnet hat; das erfordert viel Mut. Ich hoffe sehr, dass es weiter aufwärts geht und wünsche Dir viel Kraft! Und vor allem viel Verständnis und Unterstützung von den Menschen, die Dir nahe sind.
    Liebste Grüße
    Steffi

    1. buntraum

      Danke, liebe Steffi!

  4. Ekaterini Hugger

    Liebe Nadine, es tut mir leid, dass es dir so schlecht ging. Ich finde immer wieder viele Inspirationen in deinem Blog und habe viel von dir gelernt. Ich hätte auch nie gedacht, wie anstrengend es ist, ein Kind ins Leben zu begleiten. Mit anderen reden kostet mich auch viel Kraft, daher vermeide ich alles, was mir nicht gut tut an Kontakten. Arbeiten ist bei mir auch nicht drin. Ich bin Vollzeit-Mama, aber es macht mir unglaublich viel Freude. Trotzdem ist da immer ein leicht schlechtes Gewissen, ich arbeite ja nicht…ich freue mich, dass es dir wieder besser geht und hoffe, dass du nicht wieder abrutscht. Vielen Dank für die tollen Artikel und Gedanken. Ich bin schon ganz gespannt auf dein neues Buch! Viel Licht an dich und deine Leiben, Ekaterini

    1. buntraum

      Danke liebe Ekatierini. Es freut mich, wenn mein Blog inspiriert, es ist Arbeit die tief aus dem Herzen kommt. Danke fürs Lesen hier und da sein. Alles Liebe!

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