Von der Motivation und unechten Brüchen

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Lockdown 78. Kurz vor den Osterferien. Wobei Ferien ja auch irgendwie so ein Witzwort ist. Danach geht es direkt über ins Distance Learning. Eben noch Schichtbetrieb am Gymnasium. 2 Tage Schule, 3 Tage Distance Learning und irgendwo dazwischen Wochenende. Also alle daheim und hurra, wenigstens ausschlafen. Trotzdem Fühlt sich alles an wie von Milch überzogen. Unklar, schmierig und keine wirklichen Aussichten.

Heute hatte der Le einen Tag im Distance Learning. Am Programm stand eine Hausübung in Mathe. Die hat er um 10Uhr begonnen, halb elf war er fertig. Danach der übliche Gang zum Sofa. Handy vor die Nase. Abhängen. Ich sitze am Laptop und starre ähnlich motiviert auf mein Emailpostfach. Was will man auch erwarten nach einem Arbeitsweg, der gerade mal von der Dusche bis zum Küchentisch reicht? Immerhin darf ich morgens die zwei Kleineren in Schule und Kindergarten bringen. Ein Lüftchen.

Der Austausch mit anderen Eltern zeigt – die Kids sind hochgradig demotiviert. Müde vom Hin und Her der Regierung. Ausgelaugt vom Lernen vorm Kastl. Frustriert wegen mangelnder Sozialkontakte. Und die Aussichten sind nicht rosig. Eine Impfung gibt es für sie nicht und die, für die es sie gibt, warten lange darauf. Weil es kein Konzept zu geben scheint. Und keinen Fahrplan.

Was uns oft über den Tag bringt, durch die Woche, ein ganzes Semester hindurch sind die Aussichten auf Freunde, auf Ferien, auf unbeschwerte Zeiten neben der Schule. Das alles fehlt gerade. Schulterzucken ist die Antwort auf jegliche Versuche Aussichten zu stellen. Geburtstagsfeier? Keine Ahnung wann. Urlaub? Wer weiß schon was im Sommer möglich ist. Ostern? Eiersuche zwischen Küche und Schlafzimmer, mehr wird’s wohl nicht.

Ich habe schon oft gedacht, dass dieses Streben im Leben nach den Dingen, die uns Aussicht auf Freude geben – wie Wochenende oder Urlaube, der falsche Weg sind. Hier sein. Im Jetzt leben. Den Moment genießen. Sagen ja auch die großen Meister wie Eckhart Tolle (ich verehre ihn zutiefst). Aber während wir im ersten Lockdown noch alle versucht haben uns selbst zu verbessern, uns fit zu sporteln und Superbäcker zu werden, ist uns auch dafür die Motivation abhanden gekommen. Denn im Moment leben, das ist keine Übung, die wir in zwei Wochen drauf haben und glücklich sind. Das ist ein Weg. Ein langer, wenngleich lohnenswerter.

Was ich jedoch sehe ist die Chance Freude zu teilen und auf das zu fokussieren, was dennoch schön ist. Was dennoch gut läuft. Dazu gehört aber, dass ich diese Momente schaffe, dass ich sie mit meinen Kindern erlebe. Vielleicht in Zeiten wie diesen noch einmal mehr. Das sind aber leider nicht die Hausübungen, die Videocalls und die Schularbeiten. Hören wir also auf unsere Kinder hier durch dieses System zu prügeln, das an allen Ecken hakt und an dem die BildungsministerInnen in unmöglichen Zeiten wie diesen festhalten wie Kleinkinder an ihrem Lolli. Es macht mich wütend, dass es keine Aufweichungen von oben gibt, dass wir Stoff durchprügeln und die Lehrerin den Kindern eine Ansage macht, weil klein A. es gewagt hat im zweistündigen Videocall zu fragen, ob er was essen darf, weil er kein Frühstück hatte. Aber es macht mich noch wütender, wenn ich sehe, wie viele Eltern diesen Druck übernehmen und von daheim, von der anderen Seite, ihren Kindern auferlegen, so dass die sich in ihrem Distance Learning nicht mehr vor und zurück bewegen können. Das System ist auf Leistung und Druck gebaut, was Kinder da brauche, sind Eltern, die sie da durch begleiten und nicht hindurchprügeln. Aber ich fange schon wieder an zu schimpfen und zu wettern. Über Dinge, die ich nicht ändern kann. Was ich nur sagen kann ist das: Lasst es gut sein. Nein, ein kleiner Motivationsschub hat niemandem geschadet, aber dieses „Du musst noch und am besten sofort!“ führt zu Widerstand. Das haben wir doch eigentlich auch alle selbst schon erlebt. Und ehrlich – unser Drang zu motivieren hat ja oft Hintergründe, die mit unserer eigenen Geschichte und mit unseren eigenen Ängsten zu tun haben. Dass aus den Kindern nichts wird, wenn sie nicht genug lernen, dass sie nicht aufs Leben da draußen vorbereitet sind. Aber ehrlich – hat das Einprügeln von Stoff, das Verdonnern zum Lernen wirklich nachhaltig irgendwem geholfen?

Das Distance Learning stellt uns als Eltern hier nochmal vor besondere Herausforderungen. Denn wenn wir plötzlich Lehrpersonal sind, dann verzerrt das unsere Beziehung zum Kind. Wenn hier Druck dahinter steht, dann leidet die Beziehung, denn was unsere Kinder brauchen ist Verständnis von uns. Zuspruch. Ver- und Zutrauen. Ich weiß, dass wir in diesem System alle irgendwie gefangen sind und es nicht auflösen können. Aber ich denke es hilft zu wissen und zu verstehen, dass die demotivierende Stimmung der Kinder und Jugendlichen gerade enorm ist und einen Grund hat. Der heißt Corona und das sollten wir nicht ignorieren.

Heute musste ich mich mit echten und unechten Brüchen auseinandersetzen. Ich hatte keine Ahnung (mehr), dass es da Unterscheidungen gibt und bis ich die Balkendarstellung dieser begriffen hatte, war mein Gehirn zweimal durch den Fleischwolf geraten. Wieso soll das den Kindern leichter fallen? Wieso gehen wir immer davon aus, dass sie das alle in einem vorgetragenen Tempo lernen können? Ach das Schulsystem schon wieder, ich schimpfe schon wieder.

Was ich sagen will – vergesst bitte nicht miteinander zu lachen. Schöne Momente miteinander zu verbringen und diese auch zu genießen. Auch mir ist das ein bisschen abhanden gekommen, weil ja doch jede freie Zeit für Arbeit verwendet wird, denn tagsüber, während der eigentlichen Arbeitszeit, ist ja oft ein Kind daheim und will echte und unechte Brüche verstehen. Und die Hausarbeit, die hat keine Ahnung von Corona. Die Wäsche will trotzdem gewaschen werden und herrje haben drei Kinder viel Hunger! Also habe ich die Abende wieder den Kindern zugeschrieben. Wir brauchen uns alle. Denn wir sind alle angespannt und die Kinder spüren das. Jeden Abend blicke ich nun wieder auf den Tag zurück und überlege mir, was schön war. Musik und Tanzen unter der Dusche am Morgen, die Sonne am Spielplatz, das erste Eis der Saison und die Aussaat der heurigen Hochbeetbepflanzungen. Auch das Schreiben hier hat mir wieder Freude gemacht. Es kommt zu kurz und es fällt mir schwer derzeit, etwas was mich wurmt. Aber ich will bei der Freude bleiben. Und Ihr solltet das auch tun!

Dieser Beitrag hat 2 Kommentare

  1. Kerstin Ragette

    <3 <3 <3

  2. Kath

    Danke, danke, danke. Ich hab schon sehnsüchtig auf einen neuen Beitrag von dir gewartet!

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