Empathie ist die Übung, die wahre Kunst heißt Mitgefühl

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Wenn ein Kind weint, regt uns das als Eltern im tiefen Herzen und führt dazu, dass wir uns kümmern, dass wir trösten und versuchen zu erkennen, was unser Kind braucht. Das kennen wir alle, das nennt man Empathie und sie führt letztendlich dazu, dass unsere Kinder sie durch unser Verhalten ebenfalls verinnerlichen und bestenfalls später im Umgang mit anderen Menschen ähnlich handeln. Empathie stärkt die Beziehung zum eigenen Kind, es wird von uns verstanden und ernst genommen.

Empathie ist wichtig im Zusammenleben miteinander. Wenn wir die Emotionen der anderen erkennen, sie womöglich auch verstehen oder zumindest bereit dazu sind sie verstehen zu wollen, dann können wir einfühlsamer handeln und reagieren. Das genau ist ja diese wesentliche und lebensnotwendige Eigenschaft, die das Elternsein täglich von uns abverlangt. Aber auch im Zusammenleben mit allen anderen Menschen um uns herum ist sie wichtig und wertvoll.

Wozu der emphatische Wunsch nach Verstehen, Trösten und helfen aber oft führt ist die Gefahr der Überempathie. Ich habe hier schon einmal darüber geschrieben, wir kippen oft in ein sogenanntes Überverständnis für unsere Kinder. „Ich weiß, Du bist traurig. Du hättest gern xyz. Das geht jetzt aber leider nicht.“ Und in diesem leider steckt dann oft unser Mitleiden. Das geht eine Weile, aber unsere Kinder fühlen sich darin nicht immer sicher verstanden, sondern steigen auf unser Mitleid ein und können sich nicht beruhigen. Das führt dann oft dazu, dass bei uns die Genervtheit zuschlägt. Weil wir doch die ganze Zeit versuchen zu verstehen, dazusein, zu trösten und Lösungsvorschläge anzubieten.

Besonders intensiv ist es im Babyalter. Das Baby weint, wir füttern, wir wickeln, wir tragen und es hilft alles nichts. Das Baby weint. Und wir versuchen alles. Weil wir mitleiden. Weil wir es nicht aushalten, weil es uns tief im Herzen trifft. Wir verzweifeln hier häufig. Das ist natürlich, aber es muss nicht so sein. In der sogenannten Trotzphase wird aus unserer Verzweiflung darüber, dass wir unser Kind nicht beruhigen können, die Wutanfälle nicht bändigen können und bald zur Genervtheit. Das ist dann der Punkt, wo Eltern oft nicht mehr weiter wissen und mit alten Mustern reagieren (bestechen mit „dann darfst Du…“, drohen mit „wenn Du nicht, dann…“ oder schlussendlich mit laut werden).

Hier kommt das Mitgefühl ins Spiel.

Mitgefühl ermöglicht es uns, tiefer einzutauchen, ohne dabei weiter in die Situation hinein zu kippen. Es schafft uns Raum, dass wir uns in unsere Kinder hineinversetzen können, ihre Gefühle spüren und wahrnehmen. So können wir für sie artikulieren und übersetzen helfen um ihnen zu vermitteln, was sie selbst oft nicht begreifen – ihre eigenen Emotionen. Aber wir können uns dennoch abgrenzen und bei uns bleiben. Das ist die hohe Kunst des Mitgefühl.

Dann kann ich mein Baby halten, ich werde nicht nervös, ich laufe nicht wippend oder schaukelnd nervös umher, ich halte es in Ruhe. Ich bin in Ruhe und dennoch da. Ich kippe nicht in das scheinbar leidvolle Weinen meines Babys. Und so kann ich viel besser liebevoll da sein. Weil diese Ruhe, das Vertrauen und das einfache Dasein im Moment vielleicht alles ist, was es braucht.

Und später kann ich dann auch klarer die Wut, den Ärger, die Frustration beim Kind lassen. „Ja, das ärgert Dich. Du wolltest noch spielen. Aber jetzt müssen wir gehen.“ Wenn wir das mitfühlend, also liebevoll aber klar sagen, dann können unsere Kinder das besser nehmen, als wenn wir sagen: „Es tut mir leid, Du hast grad so viel gespielt, aber wir müssen gehen. Du kannst ja morgen wieder spielen.“ Wir sind da viel zu oft im Leid des Kindes, und das hilft ihm nicht weiter.

Mitgefühl ist Liebe, in einem tiefen und universellen Sinn: Eine Liebe, die entsteht und sich verstärkt, wenn sie dem Leiden begegnet. Insofern geht sie über das, was zumeist als Empathie verstanden wird, hinaus.

aus dem Buch „Mitgefühl für sich, andere und die Welt“, Yesche U. Regel

„Ja, das ärgert Dich. Du bist wütend.“ können wir dem älteren Kind sagen. Mehr braucht es da oft gar nicht. Denn wenn wir klar wissen, was uns jetzt wichtig ist, dann werden wir womöglich an der Situation auch nichts ändern. Dann hilft es dem Kind nicht, wenn wir in seine Wut hineinkippen oder gar selbst wütend werden. Und so können wir auch viel eher in einen Dialog gehen.

Das ist ein schwieriger Grat, dieses Mitgefühl. Mitfühlen, aber nicht in die Emotion des anderen hineinkippen. Das erfordert Mut. Das erfordert wahres Interesse. Das erfordert totale Anwesenheit im Moment. Doch wenn uns das gelingt, dann können wir für unsere Kinder viel stärker da sein, viel näher sein. Und sie lernen dadurch ihre Emotionen viel klarer zu sehen und nicht unsere auch noch zu spüren.

Das ist nicht immer leicht, klingt hier mal wieder viel einfacher, als die Realität oft ist. Aber es ist eine wundervolle Übung, die es zu praktizieren gilt. Immer und immer wieder. Denn wenn uns das mal gelingt, dann werden wir sehen, was uns dadurch ermöglicht wird. Eine ganz andere Beziehung kann entstehen. Eine, die viel mehr Raum lässt für mehr Miteinander und für Austausch. Eine, die beide Seiten stärkt. Und wo Verbundenheit spürbar ist.

Dieser Beitrag hat 5 Kommentare

  1. Gesa

    Du schreibst so weise, kluge Dinge, die mich anspornen und motivieren. Nicht zur Perfektion, aber zum besser werden im Umgang mit meinen Kindern, mit Anderen, mit mir.

    Immer und immer wieder DANKE dafür!
    Alles Liebe,
    Gesa

    1. buntraum

      Danke, liebe Gesa! Genau das wünsche ich mir so sehr, dass ich Menschen inspiriere immer wieder dranzubleiben an dem, was ihnen wichtig ist. Ich bin ja auch nicht perfekt, aber die Erinnerung daran, wie es auch gehen kann, hilft mir immer wieder. Danke für Deine Worte! Sie motivieren mich hier immer weiterzumachen. Alles Liebe, Nadine

  2. Tina

    Liebe Nadine, da triffst du wieder so einen bedeutenden Punkt. Ich wollte dir sowieso schon längers für deine Texte danken. Sie bestärken mich auf dem Weg und helfen mir, dranzubleiben. Das mit dem Mitleid ist in meiner Herkunftsfamilie ein grosses Thema und ich fühlte mich jeweils nach Besuchen vollkommen leergezogen (ich war das Ziel dieses Mitleides). Bei meinen Kindern und auch sonst in Beziehungen und in der Arbeit als Ärztin versuche ich umso mehr, achtsam zu sein, was ich nun gerade empfinde und übermittle. Die Augen geöffnet hat mir u.a. die Arbeit von Robert Betz, wahrscheinlich kennst du ihn schon. Besonders diesen Text, den ich dir hier hineinkopiere, weil ich ihn so kraftvoll finde:

    „Mitfühlen heißt nicht mitleiden
    Mitgefühl ist etwas anderes als Mitleid

    Wenn wir Frieden und Freude in unserem Leben erschaffen wollen, dürfen wir lernen, die Menschen um uns herum fühlend mit unserem Herzen zu verstehen, sie anzunehmen und sie als Mitschöpfer auf Augenhöhe zu respektieren.

    Wenn ihr Schicksal und ihr Schmerz auch in uns einen Schmerz auslöst und wir mit ihnen leiden, dann ist es IMMER unser eigener Schmerz, der auf unsere Annahme und unser Fühlen, unser Mitgefühl wartet. Solange wir am Leid anderer selbst leiden, sind wir unbewusst Opfer unseres eigenen Schmerzes, der auf Heilung durch uns selbst wartet.

    Mitleid führt (ähnlich wie die Verachtung) dazu, dass wir uns über den anderen erheben und ihm nicht auf Augenhöhe begegnen, ihn und seinen Weg nicht respektieren und ihn ermutigen können, sein Schicksal zu wenden. Mitleid macht den anderen kleiner und schwächt ihn.

    Mitfühlen heißt, sich mit offenem Herzen hineinfühlen können in die Gefühle und Sichtweisen des anderen, aber nicht in sie hineinzufallen und zu übernehmen. Das ist eine Haltung auf Augenhöhe und stärkt und ermutigt den anderen.“ (Robert Betz)

    Ganz liebe Grüsse
    Tina

  3. Tina

    Liebe Nadine
    und wieder hast du einen so wichtigen Punkt herausgegriffen. Danke vielmals für deine Texte! Sie sind immer wieder eine Motivation für mich, dran zu bleiben, jeden Tag auf’s Neue. Die Unterscheidung zwischen Mitgefühl und Mitleid ist so eine wichtige und ich bin dies schon längers am Bearbeiten, seit ich spüre, dass vor allem das Mitleid mir so viel Energie entzieht (immer wieder grosszügig damit bedacht von meiner Mutter). Umso achtsamer bin ich selber im eigenen Empfinden und Umgang mit meinen eigenen Kinder und anderen Beziehungen. Einen Augenöffner war u.a. Robert Betz. Diesen Text finde ich so kraftvoll, dass ich ihn hier hineinkopiert habe:

    „Mitfühlen heißt nicht mitleiden
    Mitgefühl ist etwas anderes als Mitleid

    Wenn wir Frieden und Freude in unserem Leben erschaffen wollen, dürfen wir lernen, die Menschen um uns herum fühlend mit unserem Herzen zu verstehen, sie anzunehmen und sie als Mitschöpfer auf Augenhöhe zu respektieren.

    Wenn ihr Schicksal und ihr Schmerz auch in uns einen Schmerz auslöst und wir mit ihnen leiden, dann ist es IMMER unser eigener Schmerz, der auf unsere Annahme und unser Fühlen, unser Mitgefühl wartet. Solange wir am Leid anderer selbst leiden, sind wir unbewusst Opfer unseres eigenen Schmerzes, der auf Heilung durch uns selbst wartet.

    Mitleid führt (ähnlich wie die Verachtung) dazu, dass wir uns über den anderen erheben und ihm nicht auf Augenhöhe begegnen, ihn und seinen Weg nicht respektieren und ihn ermutigen können, sein Schicksal zu wenden. Mitleid macht den anderen kleiner und schwächt ihn.

    Mitfühlen heißt, sich mit offenem Herzen hineinfühlen können in die Gefühle und Sichtweisen des anderen, aber nicht in sie hineinzufallen und zu übernehmen. Das ist eine Haltung auf Augenhöhe und stärkt und ermutigt den anderen.“ (Robert Betz)

    Ganz liebe Grüsse
    Tina

    1. buntraum

      Liebe Tina, oh danke Dir für diese Worte. Sie drücken genau das aus, was ich auch so empfinde. Und es ist so so wichtig. Danke!

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