Hochsensibilität ist keine Krankheit, aber auch kein Sofa

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Als ich vor nunmehr 7 Jahren von Hochsensibilität las, war ich sichtlich erleichtert. Endlich verstand ich mich besser und erkannte, warum ich als Kind oder vor allem auch als Jugendliche hier und da Schwierigkeiten hatte mich in der Welt einzufinden. Warum ich mich immer so anders fühlte. Und so unverstanden.

Ich verschlang sämtliche Literatur zu dem Thema und beschäftigte mich ausgiebig damit. Gleichzeitig schien das Thema immer medienpräsenter und scheinbar Jeder und Jede in meinem Umfeld erkannte sich selbst als Hochsensible Person wieder. Ich beobachtete meine Kinder genauer und war an manchen Tagen überzeugt, sie wären hochsensibel, an anderen zweifelte ich das stark an. Auch heute bin ich mir nicht sicher ob und wenn ja welches meiner Kinder hochsensibel ist. Aber prinzipiell ist mir das mittlerweile auch egal. Denn wirklich wichtig ist ja, dass ich ihre Eigenheiten erkenne und wahrnehme und sie respektiere. Ohne sie dabei in Schubladen zu pressen und ihnen ein Schild umzuhängen.

Und genau das muss ich auch bei mir tun.

Es hilft mir nichts durch den Blog in die Welt hinauszurufen wie hochsensibel ich bin und wie sehr es mich im Alltag hier und da beeinflusst. Es hilft nicht meine Umwelt zu belehren über die Tatsache, dass Hochsensibilität existiert. Alles, was ich tun kann ist für mich akzeptieren, dass ich in vielen Situationen empfindsamer und sensibler bin und reagiere als andere Menschen. Und das war letztendlich die Schwierigkeit, die schon immer da war und der ich auch heute noch immer begegne. Denn letztendlich liegt es an mir mich so mit diesen Eigenheiten zu akzeptieren. Das ist natürlich nicht immer leicht, schon gar nicht wenn man in einem Haus wohnt mit allen möglichen Typen Mensch und vor allem auch denen, die von HSP nichts wissen oder denen es an Einfühlungsvermögen mangelt (nicht selten die gleiche Gattung). So gibt es immer wieder Situationen, in denen ich mich falsch und unverstanden fühle, in denen mir Tränen in die Augen schießen weil ich das Gefühl habe mein Planet schießt Lichtjahre an dem aller anderen vorbei. Aber genau das zu akzeptieren als mein Problem und meine Baustelle zu sehen, daran arbeite ich gerade.  Und ich glaube wenn ich das bei mir gut schaffe, dann kann ich auch meinen Kindern gute Wege und Möglichkeiten vorleben und vermitteln, die auch ihnen helfen mit ihren Eigenheiten – seien das Hochsensibilität oder irgendeine Verquertheit – gut zu leben.

Ich denke dass bei dem Thema immer die Gefahr besteht, dass man sich auf dieser Besonderheit eher ausruht wie auf einem Sofa aus Verständnis und Erleichterung, als mit ihr zu leben. Dass man den anderen die Schuld überträgt nicht mit HSP umzugehen wissen. Ich vergleiche das immer ein wenig mit den Müttern, die sich beschweren, dass der Busfahrer an der Haltestelle den Bus nicht absenkt oder dass andere ihnen den Lift wegschnappen. Ich kann den Busfahrer auch einfach darum bitten oder andere Menschen im Lift darauf hinweisen, dass es eine Rolltreppe gibt und so auf mein Bedürfnis aufmerksam machen. Und wenn ich das nicht schaffe, dann sollte ich mich auch nicht beschweren, denn die 100%ige Umsichtigkeit kann ich nicht von allen Menschen erwarten. Gleichzeitig kann ich mich aber bedanken, wenn der Busfahrer von sich aus den Bus absenkt für mich oder wenn andere mir den Lift aufhalten. Das geschieht nämlich leider genauso wenig. Die Erwartung, dass alle anderen auf einen selbst Rücksicht nehmen und eingehen, hat wenig mit einem achtsamen Umgang mit Menschen zu tun. Aber gerade hochsensible sollten hierfür ein Gespür haben und eben auch verstehen, dass andere Menschen das nicht haben und gewisse Empfindungen nicht sehen oder wahrnehmen.

Und deshalb finde ich es auch fatal die Kinder als hochsensibel zu betiteln und damit in eine gewisse Kategorie zu quetschen. Denn HS ist keine Krankheit, auf die Umstehende zwingend acht nehmen sollten. Vielmehr ist es ein Phänomen, mit dem vor allem die HSP selbst umgehen lernen müssen. Es ist sicher hilfreich für uns Eltern darüber Bescheid zu wissen und gewisse Facetten davon zu kennen. Dennoch sollten wir unsere Kinder immer wieder offen und neu betrachten und uns hin und wieder aber auch überraschen lassen.

Ich mag meine Sensibilität und Empfindsamkeit in all ihren Facetten, ich lerne damit gut zu leben und mit ihr umzugehen. Es gibt immer wieder schwierige und teils auch schmerzhafte Situationen. Und zuweilen verfluche ich sie. Und ganz oft bin ich dankbar dafür. Denn sie öffnet mir neue Wege und Tore und lässt mich die Welt so manches Mal ganz besonders wahrnehmen.

Dieser Beitrag hat 4 Kommentare

  1. Jennifer

    Super geschrieben…das kann ich nur bestätigen. Was wirklich hilft, ist zu verstehen dass andere eben nicht wirklich alles sehen und verstehen können. Das aber OK ist und nichts persönliches. Und sich aber dann darüber zu freuen und zu bedanken wenn es eben doch mal passiert!
    Und zu Kindern: werden sie angenommen wie sie sind und unterstützt wenn sie es brauchen, dann haben sie selbst wenig „Probleme“ damit. Das erstaunt mich an meiner Tochter so. Und sie hat wirklich so ihre Schwierigkeiten außerhalb vom engen Freundeskreis/Familie. Aber sie wird hier und im Kiga gut unterstützt.
    Ich kenne da auch andere Geschichten, wo im Kiga Kinder als schwierig eingestuft werden. Es dadurch viel thematisiert wird und sie sich selbst dann so empfinden. Und sich als „anders“ und eher negativ wahrnehmen.

  2. Sanne

    Danke für den Post, das kann ich nur unterschreiben.
    Mit den Kindern ist es so, wie du sagst: wenn man aufhört, sie in Schubladen zu stecken und zu etikettieren und anfängt, sie zu sehen, wie sie sind (wirklich auch hinzusehen und geduldig dabei zu sein), wird der Kontakt und das Miteinander oft einfacher.
    Das gilt für mich auch: dass ich sehe, wo meine Bedürfnisse sind, und dass meine Bedürfnisse eben verschieden von denen anderer Menschen sind, und dass das so in Ordnung ist. Und dass ich um Hilfe und Unterstützung bitten kann, und es im Zweifel Mittel und Wege gibt, mir meine Bedürfnisse auch ohne die Hilfe und Unterstützung anderer erfüllen zu können.

  3. andrea

    hallo nadine, was du beschreibst kann ich recht gut nachvollziehen, denn ich bin auch eine hsp und letztlich konnte ich erst gut damit umgehen, als ich gelernt hatte, mein sosein zu akzeptieren. diese selbstakzeptanz ist aber etwas, was jeder mensch anstrebt und braucht, unabhängig von hsp oder nicht.

    auf diesem weg hat es mir sehr geholfen, in anderen blogs über hochsensibilität zu lesen und über den umgang anderer betroffener und nichtbetroffener damit. inclusive der erleichterung, sich endlich auch mal in anderen zu erkennen. zugehörigkeit zu spüren. insofern war und ist auch dies eine wichtige unterstützung und für mich alles andere als ein ‚es hilft mir nicht‘.

    danke für den impuls und lg, andrea

  4. Karin

    Hallo Nadine,

    ich kann zwar gar nicht einschätzen, ob das hier was für dich ist, aber das kannst du ja selbst entscheiden: http://hochsensibilitaetskongress.com/
    Der läuft gerade (online), ich habe drei Interviews gehört, und die waren eigentlich alle in deiner Richtung, wie du es gerade beschreibst. Die Betonung war immer darauf, dass man an sich selbst arbeitet bzw. sich akzeptiert und versucht, gut damit zu leben. Und auch, dass vieles nicht nur auf HSPs, sondern auf alle Menschen zutrifft.

    Viele Grüße
    Karin

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