Bei mir bleiben. Eine einfache Übung für unterwegs.

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„Hör doch nicht auf die anderen.“ und „Vergleich dich doch nicht so viel.“ heißt es gescheit unter Müttern, wenn diese mal wieder frustriert sind, weil bei der einen alles rund und bunt läuft und die andere gerade alle Nerven durch die Küche fetzt. Das Mütterbashing muss aufhören hieß es in einem Kommentar unter meinem Blogpost zum Thema Attachment Parenting. Und ich halte das für einen guten Ansatz. Aber einen sehr unrealistischen. 

Ich glaube nämlich nicht, dass das etwas sehr Neues ist und etwas, was wir einfach so abstellen können. Vor allem im Zeitalter vom Internet, wo wir noch mehr umgeben sind von noch mehr Stimmen von außen, ist es schwer sich abzugrenzen, sein Ding zu machen und andere machen zu lassen. Und selbst wenn uns das gelingt, so gibt es doch eben noch die vielen anderen Mütter oder Menschen generell, die das nicht tun und dann vielleicht doch Dinge sagen oder Blicke schicken, die uns treffen. Und das nehmen wir dann mal mehr oder mal weniger ernst. Aber gerade wenn es um die Kinder geht, werden wir sehr emotional.

Aber ich habe gute Nachrichten. Ich bin davon überzeugt, dass wir durch einfache Übungen lernen können, besser bei uns und unserem Tun und Empfinden zu bleiben. Mir gelingt das momentan sehr gut dank einer Übung aus dem MBSR Kurs.

Unlängst traf ich wieder eine Mutter, die in ihrem Tun und Sein so ganz anders ist als ich. Da ich ihr aber immer wieder begegne, kann ich sie nicht einfach ausblenden und mich distanzieren. Das geht mir öfter so, vor allem seitdem die Kinder ihre Freunde finden, deren Eltern wir uns ja nicht aussuchen, mit denen wir aber doch auskommen wollen und sollen. Auch ohne dass wir beste Freunde werden müssen. Ich bin nunmal ein Mensch, der sich schnell durch das Tun oder Reden anderer verunsichert fühlt. Auch wenn ich weiß, dass mein Weg so, wie ich ihn gehe, gut und richtig für mich ist. Wenn andere da mit einer ganz anderen Präsenz auftreten und ihren Weg darstellen, dann führt das halt mal mehr mal weniger dazu, dass ich mich ärgere, verletzt bin, wütend werde oder einfach still und leise. Oder alles. Das hängt natürlich auch immer damit zusammen, wie es mir an diesem Tag geht. Ein blöder Kommentar übers Daumenlutschen meiner Kinder kann mich an guten Tagen  peripher tangieren, an schlechten trifft es mich. Und genau das ist auch der Clou des Ganzen.

Was ich nun seit Neuestem mache, wenn ich merke, dass mich etwas trifft, mich etwas beeinträchtigt oder bewegt, ist das Hineinspüren in mich selbst. Ich frage mich: Wie geht es mir jetzt? Genau jetzt? Was ist in mir? Das kann Wut sein, Verunsicherung, Verärgerung, Traurigkeit, Enttäuschtsein, Neid, das Gefühl zu Versagen. Dann frage ich gar nicht weiter, warum das so ist oder versuche das auch gar nicht abzustellen im Moment. Ich akzeptiere in dem Moment einfach, dass ich mich so fühle. Ich nehme das an und das macht etwas ganz Besonderes mit mir. Es holt mich ganz zu mir und ganz in den Moment. Es bringt mich weg von sonstigen inneren Schimpftiraden über „die blöde Kuh mit ihrem dummen Gerede“ oder „ach als ob die das alles richtig macht.“ oder auch Gedanken wie „Wieso krieg ich das nicht auf die Reihe?“ oder sogar innere Angst, wirklich etwas falsch zu machen. Denn nein, wir können nicht perfekt sein und sollen das auch gar nicht. Aber das rettet uns noch lange nicht vor der Angst vorm Fehlermachen allgemein. Und die taucht einfach manchmal auf, wenn uns andere begegnen, die etwas ganz anders machen und es scheinbar funktioniert. Aber wenn ich einfach bei mir bleibe und akzeptiere, dass ich mich jetzt verunsichert fühle und mir zugestehe: „Ich darf mich so fühlen.“ dann rase ich nicht gleich auf der Suche nach Tips und Ideen, wie ich meine Situation retten kann, mit den Gedanken die Achterbahn entlang. Dann bleibe ich einfach einen Moment ruhig und bei mir. Und dann passiert es mir gar nicht so selten, dass ich dann feststelle: „Ja, ich fühle mich verunsichert. Das ist okay. Das geht uns allen mal so. Das heißt aber gar nicht, dass ich wirklich alles falsch mache gerade. Das ist eine Momentaufnahme. Das ist, weil gerade hier und da etwas unrund ist.“ Und plötzlich fliegen einzelne Puzzleteile herbei und fügen sich zu einem farbigen Bild, das eben noch ganz grau war. Es wird nicht gleich neongrün und kunterbunt, aber ist ein Bild, das meine Situation weitreichender beschreibt. Es holt mich nicht komplett heraus aus meiner Stimmung, aber es lässt mich auch nicht tiefer sinken. Und vor allem: Es holt mich weg von den anderen, gegen die ich sonst vielleicht wettern würde, die ich für meinen Ärger verantwortlich und denen ich meine Wut umhängen würde. Und letztendlich tut all das ja auch nicht gut. Auch wenn wir es als wohltuend empfinden, uns mal so richtig „auszukotzen“. Eigentlich stresst es uns, es lässt den Puls hochgehen, das Blut rast durch den Körper, wir regen uns maßlos auf ohne irgendwelche Ergebnisse oder wirkliche Entspannung hinterer. Stattdessen kann ich mich so zu mir selbst zurückholen. Und mich dabei auch noch besser kennenlernen.

Führt es nicht zu Distanz unter den Menschen?
Das dachte ich anfangs auch. Aber nein, im Gegenteil. Ich begegne diesen Menschen jetzt ganz anders. Ich fühle nicht mehr sofort dieses blöde Gefühl im Bauch. Ich weiß, dass ich eine gute Strategie in der Tasche habe. Und dass ich okay bin so wie ich bin. Und dass sie ja auch nicht perfekt sind. Ich schaue nicht mehr akribisch darauf, was sie falsch machen und lache höhnisch. Ich schaffe es wirklich besser ihnen einfach zu begegnen.

Und weil es mir damit so gut geht, habe ich das für Euch aufgeschrieben. Und wünsche Euch, dass Ihr das für Euch auch mitnehmen könnt. Als kleine Hilfestellung für die Wickeltasche, als Fallschirm für Spielplatzbesuche.

Also, wenn Euch mal wieder jemand nicht gut tut:

Ruhig einatmen

In Euch hinein spüren und fragen: Was empfinde ich?

Vielleicht auch fragen: Wo empfinde ich das? Im Herz, im Bauch, in der Brust?

Das Empfinden akzeptieren. Annehmen und mir erlauben: Ich darf mich so fühlen.

Mir bestätigen: Anderen geht es auch so. Ich bin nicht allein damit. 

Schauen und spüren, was passiert. 

Probiert es aus. Genießt es. Es kann kleine oder große Erkenntnisse mit sich bringen. Und garantiert ein wenig innere Ruhe und Kraft.

Dieser Beitrag hat 11 Kommentare

  1. Hilal

    Bin mit Kind noch sensibler geworden. Werde es demnächst probieren. Vielen Dank!

    1. buntraum

      sag mir wies dir damit geht!!

  2. lena

    Danke, das ist mir eine sehr feine (Gedanken-)Anregung und ich finde mich in einigen deiner Worte wieder.
    Wie gehst du die Situationen dann weiter an? (Wie) Reagierst du auf zB. den Kommentar mit dem Daumenlutschen, nach dem „in-dich-Spüren“?

    1. buntraum

      Ich reagiere ja eher selten auf die Kommentare der anderen. Ich muss da nur mit meinen Gefühlen und Emotionen umgehen. Eventuell bespreche ichs mit dem Kind, weil die das ja auch mitkriegen. und meistens komme ich da gut zu mir zurück und merke – ich steh ja dazu, dass sie Daumen lutschen (machen hier alle drei).

      1. lena

        Ich stehe auch zum Daumenlutschen (meines Sohnes). Und je konkreter ich über mir erlebte Situationen nachdenke, umso mehr merke ich auch, dass nicht unbedingt eine Reaktion von mir erforderlich ist. Ja. Vor allem bei Bekannten. Wobei ich auch von mir kenne, dass ich mich letztendlich schlecht fühle und es als Schwäche empfinde, weil ich nicht für mich/meine Überzeugung/mein Kind eingestanden bin.
        Richtig schwierig ist es für mich mit (meinen nahen) Freunden. Konfliktbegleitung der Kinder zB. Ich geh dem schon auch aus dem Weg und mach was alleine mit Kind, um mich dem Stress nicht auszusetzen. Obs für meinen Sohn Stress ist, weiß ich nicht…
        Tut mir leid, wenn das wirre Worte sind. Dein Post hat auf jeden Fall einen Gedankenprozess in Gang gesetzt und dafür dank ich dir.

  3. andrea

    bingo! danke fürs aufschreiben nadine.

    1. buntraum

      bitte gerne :)

  4. Ingrid

    Hallo Nadine, dein bunter „Lebenslauf“ gleicht dem meinem und ich möchte dir gern ein paar von meinen Gedanken zum o. g. Thema mitteilen, denn ich bin zur Überzeugung gekommen, dass es keine angeborene Hochsensibilität gibt, sondern diese durch schwierige Situationen, kranke Kinder und so vielseitige Erfahrungen, die du und ich machten, zu einer überhöhten Aufmerksamkeit im Aussen führen. Also zu einer Überempathie, die wiederum auf Dauer wahnsinnig anstrengend für einen selbst ist. So kam ich auch, auf der Suche nach: „Wie bleibe ich bei mir selbst“ auf deine Seite und finde deine ausführliche Beschreibung dazu sehr treffend wie auch hilfreich. Ich danke dir dafür. Meine Erkenntnis dazu: Man wird durch schmerzliche, schwierige Lebenssituationen in eine Hab-acht-Stellung manövriert und lebt deshalb viel zu sehr im Aussen. Deshalb treffen dann dumme, unqualifizierte Kommentare anderer einen auch so sehr ins Schwarze; der Schutz nach aussen fehlt. Bin ich aber ganz bei mir selbst (bei meinem wahren Selbst!), dann bekommt nur ernstgemeinte Kritik unserer Liebsten Raum in uns. Du siehst, Nadine, deine Gedanken bewegen andere zu neuen Gedanken. Alles erdenklich Gute wünsche ich dir; es grüßt dich, Ingrid

  5. Cyntia

    Liebe Grüße aus dem Tor zum Harz. Wunderschöner Blog und wichtiges Thema.

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