Erkenntnisse der Woche – Vergleich mich nicht

IMG_1899Seit Tagen liebt Frau Klein diese kleinen runden, einzeln verpackten Käse. (Und ja, ich kauf sie ihr. Asche auf mein Haupt). Sie sitzt ewig und versucht sie auszupacken. Neuerdings schafft sie das auch. Herr Klein hingegen hält mir diese Käse immer mit den Worten seiner Sprache „Eh eh eh eh eh!!!“ entgegen. Heißt soviel wie „Bitte aufmachen und zwar sofort.“ 

Ich musst schmunzeln. Die 20 Monate alte Schwester schafft in seeliger Ruhe, was er nicht kann, nicht will. Es fällt schwer hier nicht zu sagen „Schau Dir das an, Deine Schwester macht das ganz allein, und Du?“ Ich musste mir regelrecht auf die Lippen beißen, um nichts zu sagen. Denn was hätte es gebracht. Hätte es ihn dazu bewogen, es selbst zu versuchen (und womöglich auch zu schaffen)? Wenn ja, zu welchem Preis? Dem Bloßstellen vor seiner Schwester? Dem nackten Vergleich von Fähigkeiten?

Genau das ist es, was ich zwischen den beiden vermeiden möchte. Eigentlich möchte ich das mit allen Kindern vermeiden. Bei Geschwistern liegen diese Vergleiche nur sehr nahe. Denn auch umgekehrt geschieht das viel zu oft. „Er hat das in dem Alter schon gemacht.“  Jede kleine Fähigkeit, jeder Meilenstein, all das wird verglichen. Und bis zu einem gewissen Grad ist das ja auch normal. Es ist spannend zu beobachten, wie unterschiedlich sich Geschwister, Kinder aus dem eigentlich gleichen Erbmaterial, entwickeln. Aber es darf nicht dazu führen, dass man die Fähigkeiten des einen nimmt, um den anderen zu motivieren, bloß zu stellen oder unter Druck zu setzen.

Mein Bruder war schulisch immer besser als ich. Er hatte die super Noten, lernte kaum und konnte dennoch alles. Mir fielen vor allem die Naturwissenschaften zunehmend schwerer. Ich lernte anders und musste mich mehr bemühen. Auch wenn mir das nicht vorgeworfen wurde, so wurden jedoch meine eigentlichen Fähigkeiten, meine Stärken, nicht benannt. Ja nicht einmal bemerkt. Ich war also schüchtern und konnte nicht logisch denken. Das war eigentlich das, was mich durch die Schulzeit an Aussagen begleitete. Dass ich ein Gefühl für Sprachen hatte, schien keine Rolle zu spielen. Und wie das in unserem Bildungssystem so war, hinterfragte ja auch niemand, warum ich meine Schwierigkeiten mit den Naturwissenschaften hatte. Die Klausurnoten zählten. Sonst nichts. Und dass ich schüchtern war, war ausschließlich negativ. Dass es mir im Weg stand beim Lernen, dass es mich daran hinderte im Unterricht Fragen zu stellen oder bei anderen nachzuhaken, darauf kam niemand. 

Ich habe unter diesen unausgesprochenen Vergleichen immer gelitten. Wollte auch immer so gut sein, so gute Noten haben. Habe mich aus falscher Motivation heraus bemüht und bin meist doch gescheitert. Lediglich den Abiabschluss habe ich mit exakt selber Note geschafft. Aber was bringt mit das heute im Vergleich zu den vielen gedanklichen Ärgernissen, Zweifeln und Unsicherheiten?

Also versuche ich es bei meinen Kindern umgekehrt. Ich will sehen, was sie können, anstatt am Gegenbeispiel aufzuzeigen, wozu sie nicht in der Lage sind. Ich freue mich, dass Frau Klein schon so viel sprechen kann, dass sie so klar ist darin, ihre Gefühle und Emotionen auszudrücken und sonst so fröhlich und seelig durch den Tag geht. Hingegen liebe ich Herrn Kleins Phantasie, seine Motivation für Dinge, wenn er sie unbedingt will, seine Kunst sich abzugrenzen von dem, was er nicht will, ihn nicht interessiert. An beiden liebe ich die Leichtigkeit, das (scheinbar) schnelle Vergessen von Unangenehmen, das Momenten, das spätere Aufrollen dieser und Verarbeitung zu selbst gewählten Zeitpunkten. Ich liebe ihre Zärtlichkeit, die sie uns und sich gegenseitig äußern, wenn sie wollen. Ihr Gespür für Situationen und Stimmungen. Und natürlich ihre Faxen, ihren Unsinn und ihr Lachen.

Die zwei sind so gleich und doch so verschieden. Und eigentlich mag ich gerade das so sehr. Ich bin gespannt auf all das, was ich mit ihnen so unterschiedlich noch erleben werde. Und wünsche mir, dass sie sich nie verglichen sehen, sondern immer jede/r für sich. Ganz individuell. So, wie sie sind. Und wie ich sie liebe.

Dieser Beitrag hat 2 Kommentare

  1. Micha

    Danke für den wichtigen Beitrag. Es ist ja ganz schön schwer, nicht zu vergleichen bzw. es nicht auszusprechen. Das passiert mir leider viel zu oft. Da ich selbst zuhause die Ältere war, habe ich das nicht in negativer Erinnerung. Aber es stimmt schon, es kann natürlich kein gutes Gefühl sein, zu hören, was die älteren Kinder besser gemacht haben oder was ihnen leichter gefallen ist. Da werde ich zukünftig mal drauf achten.
    LG, Micha

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