Der Samstag war ein ganz normaler Samstag. Herr Klein hatte bei einem Nachbarsfreund übernachtet und lief in der Früh nur kurz ein um den Adventkalender zu öffnen. So ging das den Tag über weiter. Reinstürmen, Fußballschuhe schnappen, rausgehen. Reinstürmen, Schuhe wieder abstreifen, weiterflitzen. Gerade zum Mittagessen konnte ich ihn kurz für 20 Minuten zu uns an den Familientisch locken. Die Buben, meist 4-5 alle im gleichen Alter sind ständig unterwegs. Und selbst wenn sie sich schon enorm fadisieren, dann hängen sie immernoch genervt aufeinander.
Am Abend, als wir ihn einsammelten, um den Wochenende den Familienriegel vorzuschieben – sonntags haben wir nämlich „Familientag“, da darf kein anderes Kind spielen kommen, da bleiben wir unter uns – war er komplett durch den Wind. Hungrig, übermüdet, überreizt. Er jammerte und jaulte viel. Seine Schwester, selbst auch schon müde und am Ende, stachelte ihn an. Er flippte aus. Sie fand Spaß daran und machte weiter. Er schrie sie an, tobte, wollte auf sie einprügeln. Es half nur alle Kinder so schnell wie möglich in ihre Betten zu schicken. Als ich dann neben Herrn Klein lag, sagte er „Ich hasse Frau Klein!“ Und es kam tief aus ihm heraus.
Gefühlen Raum geben
Mein erster Impuls war zu sagen: „Nein, sie ist Deine Schwester, die hasst Du nicht.“ Aber ich verschluckte den und wich auf einen anderen aus: „Du hast Dich wahnsinnig über sie geärgert, hm?“ Er nickte. Ich sagte ihm, dass ich das verstehen würde. Ich wollte drauflegen, wie oft er sie anstachelte, wie oft sie sich über ihn ärgerte und dass er jetzt mal sehen würde, wie das so ist. Aber ich verschluckte auch das. Denn hier, in diesem Moment, ging es nicht darum ihn zu belehren und zu erziehen. Hier ging es darum einfach seinem Gefühlsausdruck Raum zu geben. Der durfte auch wortkarg sein, denn er war sowieso viel zu müde um viel zu reden.
Am nächsten Morgen wachten alle drei Kinder relativ gleichzeitig und sehr ausgeschlafen aus. Sie öffneten alle ihre Adventkalender, halfen sich gegenseitig dabei die Nummern zu finden, spielten dann selig zu dritt wie lange nicht mehr. Von Hass keine Spur mehr. Ich lächelte.
Aber was, wenn Geschwister diese Art von Emotionen öfter ausdrücken? Was tun?
Wir Eltern tendieren dazu hier sehr schnell die Befürchtung in uns zu tragen von Geschwistern, die sich als Erwachsene nur hassen. Die nicht miteinander auskommen. Die den Kontakt zueinander abbrechen oder sich bei Familienfeiern aus dem Weg gehen. Wir alle kennen vermutlich die eine oder andere sehr kaputte Geschwisterbeziehung – entweder aus eigener oder aus bekannter Erfahrung. Doch nur weil unsere Kinder sich dauernd streiten und rufen „Ich hasse Dich!“ heißt das nicht, dass das so ist und so sein muss.
Die Situation war einfach. Es war klar, warum er so agierte, wie er agierte. Er war einfach komplett fertig und erschöpft gewesen. Und ich wusste, dass er seine Schwester nicht hasste, sondern in dem Moment einfach nur wütend auf sie war.
Der Blick aufs KindD
Was hier hilft ist ein Blick auf die einzelnen Kinder. Wo stehen sie gerade? Was ist in ihrem Leben los? Was beschäftigt sie sehr? Was brauchen sie? Wann geht es ihnen gut und was braucht es dafür? Das kann in Kindergarten oder Schule Stress sein. Das können Entwicklungsschübe sein. Das ganz normale Leben eines Kindes, das unter anderem auch Geschwisterkind ist. Und wir können da hinschauen und überlegen: Was fehlt ihm vielleicht? Was sucht er wirklich in seinem Ärger oder seiner Wut? Was steckt hinter dem Streit und dem Losgehen auf seinen Bruder oder seine Schwester? Hat jedes Kind seine Freiräume, werden die Bedürfnisse des einzelnen gesehen/wahrgenommen? Und natürlich gibt es auch einfach die ganz verschiedenen Charaktere, die einfach sehr schwer zu vereinen sind. Ein sensibles ruhiges Kind und ein lautes wildes – das kann eine herausfordernde Mischung sein, die schwer im Alltag zu leben ist. Aber allein das zu wissen und immer wieder darauf zu schauen, kann helfen.
Der Blick auf die guten Zeiten
Wann streiten sich die Geschwister nicht? Was trägt dazu bei, dass sie sich so sehr hassen? Wann hat das angefangen und wie hat es sich sonst immer geäußert? Hier liegen ganz viele kleine Möglichkeiten zu schauen, wo der Ursprung liegen könnte, wenn der Streit nicht im derzeitigen Moment ist, sondern schon länger die Beziehung der Geschwister begleitet. Eltern neigen ja auch dazu zu sagen: „Das war schon immer so. Die haben sich schon immer gehasst.“ Aber stimmt das? Kinder kommen ja nicht voller Hass auf die Welt. Wo hat das angefangen und wann? Vielleicht war zu wenig Raum für Eifersucht. Vielleicht wurde sie dem Kind nicht ermöglicht, nicht gestattet. Dann ist es verständlich, dass diese sich weiter durchzieht, nicht verschwindet. Und natürlich – je länger so eine schwierige Beziehung besteht, umso tiefer frisst sie sich ein. Deshalb tut es gut da einmal genauer hinzuschauen. Ich biete das auch in meinen Emailbegleitungen immer wieder an.
Der Blick auf uns Eltern
Und natürlich tragen auch wir oft unseren Teil dazu bei, dass unsere Kinder sich streiten. Vielleicht vergleichen wir die beiden zu viel oder zu oft. Vielleicht ist bei einem im Leben gerade viel los – Schuleintritt ist das ein gutes Beispiel. Und das Kindergartenkind schaut zu. Die Eltern sind mit aufgeregt, das ganze erste Halbjahr ist ja oft voller neuer Dinge, womit dieses Kind immer wieder im Vordergrund steht. Da kann das kleinere schon mal ausagieren. Aber auch Krankheiten oder spezielle Neigungen (Sport, Musik etc…), die einfach Zeit und Aufmerksamkeit auch der Eltern fordern können da Grund mit sein. Es hilft zu schauen: Wie begleiten wir beide Kinder? Wie begleiten wir den Streit, die Emotionen der einzelnen Kinder? Können wir hier noch mehr auf jedes einzelne eingehen?
Und am Ende hilft immer eines: Gelassenheit. Beobachten und Abwarten. Manche dieser Phasen vergehen von selbst. Je weniger wir immer wieder darauf hinweisen, dass unsere Kinder sich ja dauernd und nur streiten, desto eher werden sie selbst auch mit diesen Streitereien umgehen lernen und ihnen wenig Aufmerksamkeit schenken.
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