Gestern abend waren wir mal wieder bei Nachbarn. Die wohnen nur ca 5m weiter. Dafür legen wir das Handy mit der Babyphone App hin und sind quasi sofort da, wenn ein Kind was braucht. Eigentlich ist ja nie was bis wir schlafen gehen. Aber wenn die Eltern das Haus verlassen… Und so hörte ich gegen 11 Türen klappen über das Babyphone. Klar, dass das nur Herr Klein sein konnte, der nicht ruft, sondern aus dem Zimmer kommt und uns dann sucht.
Er stand vor dem Kühlschrank, als ich kam. Hatte Durst. Wollte Milch. Ich gab ihm Wasser und schickte ihn zurück ins Bett, wo sich folgender Dialog abspielte:
„Wo warst Du?“
„Wir sind drüben bei Nachbars.“
„Ich mag nicht wenn Du wieder weg gehst.“
„Aber wir sind ja nur drüben, bei den Rs. Gar nicht weit. Da bin ich gleich da, wenn Du mich brauchst.“
Nur drüben. Letztendlich blieb ich bei ihm, bis er wieder schlief, was nur wenige Minuten dauerte. Und dachte über dieses kleine Wörtchen nur nach, das wir so oft verwenden, wenn es nur um unsere Kinder geht. Wenn sie sich nur geschreckt haben und nicht weh. Wenn sie nur noch das eine Stück essen sollen oder nur noch kurz warten, bis wir fertig sind. Wir fertigen sie mit einem kleinen Wort ab. Ein Wort so klein wie unsere Kinder? Das uns das Recht gibt, ihre Empfindungen zu verkleinern?
Gefühle und Gedanken von Kindern lassen sich nicht mit einem kleinen Wort abschmettern. Sie sind da und für sie so unsagbar und manchmal unbeschreiblich groß, dass sie sie selbst nicht begreifen und schon gar nicht artikulieren können. Dass sie in Tränen aufgelöst sind, hauen oder kreischen. Weil sie nicht anders können.
Hier sind drei kleine Beispiele dessen, was wir so oft unbedacht sagen, und was Kinder in diesem Moment aber womöglich denken:
„Er borgt es sich ja nur aus.“ – ‚Der nimmt mir mein Spielzeug weg!‘
„Es ist ja nur ein blauer Fleck.“ – ‚Ich bin umgefallen, habe mich erschreckt und es hat weh getan!‘
„Das ist doch nur Wasser!“ – ‚Das fühlt sich unangenehm an, ich kann es nicht zuordnen und fühle mich verloren darin.‘
„Das dreht sich doch nur ganz langsam. Das macht doch Spaß!“ – ‚Das ist mir neu, es bewegt sich auf unberechenbare Art und Weise und ist mir unheimlich.“
Das Wort nur vermittelt dem Kind, dass wir seine Gefühle nicht ganz ernst nehmen. Wir spielen sie herunter, machen sie kleiner und unwichtig.
Stellt Euch vor Ihr schaut einen Film, der Euch emotional sehr mitreißt. Tiefberührt seid Ihr womöglich in Tränen aufgelöst hinterher. Und Eure Gedanken kreisen ewig um die Szenen, die Ihr gesehen habt. Und es kommt jemand daher und sagt: „Das ist doch nur ein Film.“
Aber dieser Film hat Emotionen ausgelöst, die nicht einfach abzuschalten sind. Weil sie mehr mit sich tragen, weil sie etwas in uns angeschaltet haben, was verborgen war, was zufrieden ruhte und uns nun wachgerüttelt durchschüttelt. Das war nur ein Film, ja. Aber was in mir drin ist, das ist mehr. Und das kann ich nicht ausschalten, die DVD in eine Hülle verpackt in den Schrank zurückstellen.
Unsere Kinder erleben täglich solche Filme. Sie sind täglich mehrmals emotional aufgewühlt. Aus welchem Grund auch immer. Und es mag für uns so aussehen, als wäre es nur ein Kratzer oder nur ein kleiner unausgeschlafener Wutanfall. Aber für unsere Kinder ist es groß und nur allein durch das Weglassen des Wortes nur, können wir großes Bewirken. Nämlich unsere Kinder ernst nehmen. Mit all den kleinen nurs, die sie täglich mit sich tragen.
In ähnlicher Hinsicht aufgefallen ist mir vor einiger Zeit das Wort „einfach“ in Aufforderungen, ob ernst gemeint („Nimm doch einfach einen anderen Stift“) oder entnervt/rhetorisch („Mach doch einfach mal xy“.) Was für mich einfach scheint, ist für ein Kind noch lange nicht einfach, denn oft meine ich ja, dass es „einfach“ mal eben das wollen soll, was ich will.
Jetzt versuche ich mal, auf „nur“ zu achten :-)
Sehr schöner Blickwinkel! Bin leider erst so spät auf deinen Blog gestossen, finde ihn ganz großartig!
Wenn ich darüber nachdenke, wie oft ich genau so mit meinem Zwerg kommuniziere, wirds mir ganz schwer ums Herz (zuletzt vor 2 Stunden, als das gruselige Gespenst hinter der Tür „nur“ ein Schatten war). Danke für’s Augen öffnen!
Hallo, dich Zufall bin ich auf diesen schönen Blog gestoßen und gleich hängen geblieben. Deine Gedanken zum „nur“ sind echt toll. Meine Tochter ist noch sehr klein, dennoch werde ich versuchen dieses „nur“ zu vermeiden oder noch besser wenn dann ganz bewusst einzusetzen. Mit dem „eigentlich“ habe ich das schon geschafft! ;-) da habe ich mir immer wenn ich es verwendet habe gesagt: und uneigentlich?
Sei lieb gegrüßt! Ich werde jetzt öfter mal hier vorbeischauen. Katrin