Herr Klein hat einen Freund. Der wohnt hier im Haus und wenn wir aus dem Kindergarten heim kommen, dann führt sein erster Weg zu ihm. Sie spielen endlos glücklich und zufrieden, bis man sie aus unerfindlichen Gründen wie Essens- oder Schlafenszeiten trennt. Aber der Freund hat noch einen anderen Freund im Haus. Der ist ein Jahr älter und mit dem kommt Herr Klein nicht ganz so gut aus, ihr Spiel ist nicht ganz so harmonisch. Ihre Interessen und auch Charaktere sehr verschieden.
So geschieht es aber zuweilen, dass es zu einer Dreierkonstellation kommt. Die ist ja bekanntlich immer etwas schwierig und das merkt man dann auch. In letzter Zeit lief das oft darauf hinaus, dass Herr Klein etwas unglücklich in der Ecke saß und das Treiben, das ihn etwas davon treiben ließ, beobachtete. Und wenn ich ihn dann so beobachtete, brach es mir das Herz. Weil ich so mitfühlte. Und so mit ihm litt. Allerdings jedoch mehr litt, als er.
Denn meist war, sobald die anderen beiden Buben verschwunden waren, gar kein Leiden da. Es war eher, als wäre es ihm lieber allein zu sein, als zu dritt. Und ich spürte, wie schwer es mir fiel, das wiederum nachzuempfinden. Und erkannte, dass all das doch hauptsächlich meine Geschichte ist. Meine Gefühle sind. Die hier nichts verloren haben.
Denn unsere Kinder machen ihre Erfahrungen selbst. Das ist auch gut so. Wir können, nein wir dürfen sie nicht vor dem bewahren, was wir als schmerzhaft vermuten.
So geht es uns ja auch, wenn wir das kleinere Geschwisterchen vor dem größeren schützen wollen. Denn irgendwann, wenn sie nicht mehr wehrlos am Rücken liegen und jeder Attacke hilflos ausgeliefert sind, da ist es an der Zeit, dass wir uns zurücknehmen. Dass wir beobachten, was wirklich störend ist, was sie wirklich ärgert und in wie weit sie sich selbst wehren oder rausnehmen können. Und genau das ist ja wieder der Punkt: Beobachten. Weil wir nicht wissen, was den anderen wann stört. Weil wir es nur ahnen können. Und damit, mit dieser Ahnung, auch ziemlich daneben liegen. Manchmal. Je mehr wir also zulassen, je mehr wir uns rausnehmen, umso eher lernen Kinder, sich zu arrangieren. Sei es auch zu streiten und sich wieder zu vertragen. Sie lernen sich kennen, lernen ihre Grenzen, ihre Gefühle besser kennen.
Unlängst hat sich Herr Klein, weil sein Freund nicht da war, ein anderes Nachbarskind eingeladen. Wenig später stand dann doch sein Freund vor der Tür und das andere Kind war ihm plötzlich egal. Kindlich ehrliche Brutalität. Wir schauen dem mitleidig, entsetzt, irritiert zu. Doch was können wir tun? „Jetzt lasst ihn doch mitspielen.“ Was für ein unnötiger Satz. Wer möchte zum Spielen verdonnert werden? So ging letztendlich das andere Nachbarskind recht bald wieder heim. Enttäuschende Erfahrung, die dazu gehört. Und die stärkt, wenn sie von uns gut begleitet wird. „Das hat Dich geärgert / traurig / wütend gemacht. Das verstehe ich.“ Und das ist der zweite Punkt. Statt zu verhindern und zu schützen: wahrnehmen, ernst nehmen, auffangen. Dasein. Dann, wenn wir wirklich gebraucht werden.
Auch wie es mir ging als Kind, wenn ich drittes Rad oder kleine Schwester war. Oder im schlimmsten Fall beides, kann ich erzählen. Wie sehr ich es heute noch hasse zu dritt unterwegs zu sein. Oder zu zweit und eine dritte Person stößt spontan dazu. Wie enttäuscht ich bin, wenn Freunde mich hängen lassen oder andere Pläne haben. Aber ich darf all das nicht Grund sein lassen, mein Kind vor seiner eigenen Erfahrung zu bewahren. Denn meine Geschichte ist meine Geschichte und nicht seine Geschichte.
Das hast du wieder so schön erkannt und geschrieben. Danke!
Liebe Nadine, schön geschrieben , ich erkenne mich immer wieder bei dir. eine stille leserin die sich heute einfach mal bei dir bedanken möchte