Heute morgen las ich einen Artikel, den ich mal wieder gern der ganzen Welt vorhalten möchte. Es geht um das Thema Ablenkung. Im Großen eigentlich um das Thema der Gefühle von Kindern. Und deren Akzeptanz oder Nichtakzeptanz. Denn das ist es, was Ablenkung bedeutet – das Negieren von Gefühlen.
Während den Eingewöhnungen meiner Kinder habe ich immer wieder die selben üblichen Situationen erlebt. Weinende, schreiende, teils verzweifelte Kinder, die nicht wollen, dass ihre Eltern sie in der Einrichtung zurück lassen. Was ich jedoch nie – wirklich nie – erlebt habe, ist, dass jemand auf die Kinder zugegangen ist und gesagt hat, was eigentlich wirklich zu sagen war: „Du willst, dass die Mama wiederkommt. Du bist traurig, dass die Mama geht.“
Stattdessen läuft fast immer ein ähnliches Programm ab. Die Kinder werden auf den Arm genommen und von Spielzeug zu Spielzeug geführt. Sie werden animiert dies oder jenes zu machen und zum Lustigsein motiviert. Es wird ihnen vorgeführt, was die anderen Kinder alles tolles machen. Was die Kinder jedoch selten wollen ist Lustigsein. Sie wollen ernst genommen werden. Sie wollen wahrgenommen werden in ihrer Wut, ihrer Trauer, ihrer Verzweiflung. Dann kann es ihnen auch leichter fallen, sich fallen zu lassen. In die Arme der PädagogInnen, in den Tag und letztendlich sogar ins Spiel.
Warum geschieht das nicht? Warum werden Kinder immer wieder nur abgelenkt, oder bespaßt, wie man so sagt?
Ich glaube, weil es die einfachste Form ist auch für den Erwachsenen, mit den heftigen Emotionen umzugehen. Weil wir nicht lernen, oft einfach nicht wissen, wie wir auf Gefühlsausbrüche reagieren sollen. Weder bei Erwachsenen, noch bei Kindern. Nur scheint es uns eben bei Kindern noch eher möglich, diese zu lenken und von ihren eigentlichen Emotionen wortwörtlich wegzutragen.
Das ist es, was mit uns meist gemacht wurde, als wir Kinder waren. Wie sollen wir da anderes lernen? Wie sollen wir wissen, dass es auch anders möglich ist? Denn Fakt ist – früher oder später beruhigen sich die Kinder, egal auf welche Weise wir ihnen begegnen. Doch das Problem ist – durch Ablenkung beruhigen sich die Kinder nur äußerlich. Sie realisieren irgendwann, dass ihre Gefühlsäußerung nichts ändert an der Tatsache und dass sie keine Wahl haben.
Was ist also anders, wenn ich auf die Gefühle der Kinder respektvoll eingehe? Denn eine Wahl haben sie so oder so nicht. Meistens jedenfalls.
Der wesentliche Unterschied ist, dass Kinder, die erfahren, dass ihre Gefühle akzeptiert werden, sich nicht unnormal oder falsch fühle. Sie spüren – ich darf so reagieren. Ich darf traurig oder wütend sein. Es ändert zwar nichts an der Tatsache, dass Mama erst später wiederkommt. Aber ich werde so angenommen, wie ich bin. Und das beruhigt auch innerlich. Es ist der Moment, wo äußere Ruhe, meine äußere Gelassenheit, zu innerer Ruhe bei meinem Gegenüber, somit letztendlich auch zu innerer Ruhe bei mir selbst führt.
Wenn wir wütend sind, weil uns jemand verletzt hat, was hilft uns dann mehr? Jemand der sagt: „Jetzt stell Dich nicht so an, komm trink ein Bier und dann ist wieder gut.“ oder jemand der sagt: „Du bist wirklich enttäuscht / traurig / wütend.“
Mehr braucht es nicht. Keine Lösungsvorschläge, keinen langen Trost. Nur das Wahrnehmen dessen, was ist. Wenn ich weiß, dass ich jetzt, in diesem Moment, so sein darf, ohne bewertet zu werden, ohne Unverständnis zu begegnen, kann ich mich viel eher auf meine eigenen wirklich wahren real existierenden Gefühle einlassen und mit ihnen viel schneller und eher zurecht kommen, als wenn ich das Gefühl haben muss, dass mit mir etwas nicht stimmt.
Oft haben wir auch Angst, dass das Wahrnehmen dessen, was wir sehen, zu noch heftigeren Gefühlsausbrüchen führt. Das ist auch nicht selten. Aber es bedeutet nur, dass noch viel inneres Ungleichgewicht herrschte und dieses sich nun zurecht rückt. Ungleichgewicht, das wir von außen nicht sehen konnten. Das wir durch schnellen Trost nie sehen und nie ausgleichen könnten. Eine innere Unruhe, die nur durch die äußere Ruhe ausgewogen werden kann.
Oft glauben wir, dass wir im Alltag keine Zeit, keine Ressourcen haben für das Einfühlen in andere. Doch dabei denken wir nur im Jetzt, und nicht im Morgen. Denn Kinder, die heute wahrgenommen werden, die heute respektiert und ernst genommen werden, können morgen schon ein wenig besser begreifen, wie es ihnen geht und dass sie sich so fühlen dürfen. Sie können übermorgen schon ein wenig ihre Trauer halten und ausgleichen. Und können viel eher wirklich frei und gelassen durch den Tag balancieren.
weiterführende Artikel:
Erkenntnisse der Woche – Drüberfoan
Kleine Schritte ganz groß – wie Eingewöhnung gelingen kann
und mein Podcast zum Thema „Die Gefühle unserer Kinder“
bingo. genau so ist es. und ich finde, man kann es nicht oft genug weitersagen. danke dafür !!!
Ja, da steckt viel Wahrheit drin: Negative Emotionen werden überspielt oder wegdiskutiert, aber auf keinen Fall gespiegelt oder gar bestätigt/angenommen. Gilt ja nicht nur bei Trennungsschmerz, sondern ist auch oft zu beobachten, wenn Kinder sich weh tun oder Angst vor etwas haben.
Ich hoffe in solchen Fällen, dass es hilft und ausreicht, wenn unsere Kinder es daheim anders erfahren…
Danke für den guten Artikel!
Ich hatte schon immer ein komisches Gefühl, wenn es hieß, lenk ihn oder sie doch ab. Beim großen Sohn sagte eine Erzieherin immer: “Er muss sich erst mal ausweinen“. Das trifft es ganz gut, Zeit geben, sich auch selbst zu beruhigen und einfach da sein, ist besser als übertriebene Ablenkungsversuche.
LG, Micha
Hallo, ich bin eine von den „Erzieherinnen“ die eben genau nachfragt so wie du in dem Beispiel erwähnt hast. Meine Erfahrung ist allerdings, dass die Eltern eben gerade das nicht wollen….meistens wollen sie eben lieber die Erzieherin, die ihr Kind schnell“gekonnt“ ablenkt. So unterschiedlich erlebt man die Dinge, denn ich frage mich immer, warum nehmen sich die Eltern nicht mal 5 minuten die zeit um mal genau hinzuhören. Ich werde jedenfalls nicht aufhören diese kleinen Wesen ernst zu nehmen, und mir die zeit für sie zu nehmen die sie brauchen.