Aufmerksame Leser haben festgestellt, dass ich zwar sehr viel darüber schreibe, wie wir gut mit Kindern leben und Situationen meistern, aneinander wachsen und dabei dennoch bei uns bleiben. Aber ich erwähne dabei nie, was dabei wesentliche Essenz ist: Unsere Beziehung zum Kind.
Und während ich das natürlich immer als gegeben vorraussetze, so ist es doch hilfreich immer wieder zu schauen: wie schaffe ich das? Wie kann ich eine gute Beziehung mit meinen Kindern leben und beibehalten? Es ist ja ähnlich der Beziehung zum Partner. Am Anfang ist alles neu, wir sind hoffnungslos verliebt und möchten alles geben, damit es dem anderen – also dem Kind – gut geht. Doch nicht nur der Alltag schleicht sich ein, auch die Persönlichkeit unseres Kindes zeigt sich mehr und mehr, es stellt Herausforderungen an uns, denen wir nicht gewachsen scheinen und wir müssen immer wieder neu fragen: Wer bist Du? Wie können wir gut miteinander auskommen? Was braucht es?
Denn Beziehung bedeutet genau das. Dass ich mein Kind nicht zu einer Person forme, die mir vorschwebt, sondern dass ich sie so annehme, wie sie ist. Dass ich eben immer wieder bereit bin, sie neu kennenzulernen. Mit all ihren Facetten. Um nämlich diesem Kind immer wieder neu zu begegnen, immer wieder offen und ehrlich sagend: Wer auch immer Du bist. Ich liebe Dich. Genau so. Nur dann kann unser Kind auch ganz selbst sein, kann uns vertrauen und uns offen und ehrlich begegnen. Ist es nicht das, was wir uns wünschen von unserem heranwachsenden Kind?
Ich habe für Euch eine Liste erstellt, wie Ihr auf 10 einfache Weisen Eurem Kind im Alltag immer wieder neu begegnen könnt, mit ihm in Kontakt treten könnt und somit Eure Beziehung aufrecht erhalten und verbessern könnt.
1 – Ein neuer Morgen. Wenn wir unseren Kindern jeden Tag offen und neu begegnen, erwarten, dass die Welt täglich anders aussehen kann und die Macken und Vorlieben des letzten Tages heute komplett umgekrempelt sein dürfen, dann haben wir die Möglichkeit, dann können wir schon am Frühstückstisch entspannter in den Tag starten. Die Sonne geht auf, alles ist neu.
2 – Augenkontakt. Wir sehen unseren Kindern oft in die Augen, wenn wir wirklich wütend sind. Wir maßregeln oder schimpfen mit finsterem Blick und können starr daran festhalten. Aber was, wenn wir ihm etwas liebevolles sagen wollen? Oder nur ein einfaches „Ja, klar.“ entgegnen. Viel zu oft tun wir das beiläufig und in unser Handy, unser Buch oder auf die Tätigkeit schauend, die wir grad ausüben. Bewusster Augenkontakt lässt uns in ganz kleinen Momenten viel inniger begegnen.
3 – Fragender Blick. Wir müssen unser Kind nicht mit Fragen überhäufen um zu erfahren, wie es im Kindergarten, in der Schule, bei Freunden war. Wie es ihnen geht oder was sie beschäftigt. Alles, was es braucht, ist ein fragender interessierter Blick, wenn sie uns begegnen mit den Worten „Mamaaaa?“ oder „Papaaaa?“ Es ist nicht nur der Augenkontakt, der hier zählt, sondern auch die interessierte, immer wieder neu fragende „Was möchtest Du?“ Haltung, die unsere Kinder hier einladen kann, viel mehr, als nur ein einfaches Anliegen hervor zu bringen. Wenn sie spüren, dass wir ganz da sind, ganz interessiert sind, dann werden sie sich vertraut bereit sein, sich uns gegenüber zu öffnen.
4 – „Ja“ sagen. Im Nein sind wir klar. Deutlich. Manchmal laut. Das Ja hingegen murmeln wir vor uns hin. „Jaja.“ „Wie Du magst.“ „Ok.“ Schnell kehrt der Blick wieder zurück auf das, was wir gerade tun, wenn wir ihn überhaupt heben. Ein fröhliches „Ja.“ mit Augenkontakt, ein „Ja, klar!“ oder ein „Ja, gern.“ bringt Freude mit und wirkt entsprechend. Außerdem werden wir uns bei so einem Jahr bewusst, ob wir wirklich Ja meinen, oder ein eigentliches Nein umkehren, um „Ruhe“ zu haben.
5 – „Ich sehe Dich.“ Oft rufen uns unsere Kinder begeistert etwas zu. „Mama schau mal!“ Wir heben den Kopf, nicken, rufen „Jaha. Super!“ und versinken wieder im Tun. Im Montessorikurs sagte die Leiterin dann immer: „Tür zu. Chance vorbei.“ Und genau so ist es. Unsere Kinder öffnen hier die Tür für ein In-Kontakt-Treten. Und wir machen sie wieder zu. Indem wir nicht sehen, sondern sinnlos faseln. „Hey, Du bist ganz allein bis da rauf geklettert!“ oder „Du hast ein Polizeiauto gemalt.“ sind Sätze, die bedeuten, dass wir wirklich sehen, was unser Kind uns zeigen will. Oft schleudern wir ihnen ein leeres Lob entgegen, wo sie nichts weiter wünschen, als ein kurzes Kontaktaufnehmen. Weil sie sehen, dass wir abwesend sind, weil sie wissen wollen, ob wir sie sehen. Nicht immer gelingt uns diese Aufmerksamkeit. Aber ein „Es macht Dir Spaß, da immer wieder hinauf zu klettern. Ich sehe das.“ kann auch sagen: Genug, ich möchte jetzt weiter lesen, aber ich nehme Dich dabei wahr. Es ist mehr als ein halb abwesendes „Toll gemacht!“
6 – Worte schenken. „Du bist echt wütend.“ „Da bist Du abgerutscht und hingefallen. Das hat weh getan.“ Wenn wir unseren Kindern Worte schenken für ihre Gefühle und Emotionen, dann schenken wir uns damit Kinder, die sich artikulieren können. Und die, weil sei die Worte von uns bekommen haben, uns vertrauen und sie uns anvertrauen, wenn sie es brauchen. Wer wünscht sich nicht, dass seine Kinder ihm sagen, was sie beschäftigt? Dafür brauchen sie aber die Möglichkeit, das tun zu können und das Vertrauen, dass wir da sind.
7 – Nähe. Babys bekommen von uns gern sehr viel Nähe. Weil wir selbst diese Nähe gewinnen. Doch wenn die Kinder älter werden, beharren wir auf „Du kannst schon selbst gehen.“ oder „Nein ich trage Dich nicht. Du bist doch schon groß.“ Wir müssen unsere Kinder nicht tragen, bis uns der Rücken zerbricht. Aber wir dürfen sehen, wann sie uns brauchen. Sie sind nicht immer zu faul zum Gehen. Manchmal wollen sie einfach unsere Nähe, zeigen, wie klein sie dennoch sind. Das zu sehen heißt, unsere Kinder zu sehen so wie sie sind in dem Moment. Und nicht wie wir sie uns vorstellen in dem Alter. Herrn Klein habe ich manchmal gesagt: „Ok, mal sehen wie weit ich es schaffe.“ und heute sagt er oft: „Mama, kannst Du mich kurz tragen? Nur soweit Du kannst, ok?“
8 – Offscreen Time. Ein modernes Problem, dass uns, so glaube ich, wirklich ein wenig von unseren Kindern entfernt. Das ständige online sein, in Geräte starren und in andere Welten abtauchen macht Kindern Angst. „Mama, wo bist Du?“ hat Herr Klein oft gerufen, wenn ich neben ihm saß und ich dachte: „Was is das für eine Frage? Ich bin HIER.“ Dabei war ich das nur physisch. Bewusste Zeiten ohne mobile Geräte, ohne Computer, ganz im Hier und Jetzt, sind bereichernd für die Beziehung mit unseren Kindern. Weil wir uns viel bewusster sehen und wahrnehmen.
9 – Abwarten. Wenn wir unsere Kinder rufen, sie um etwas bitten, dann ist es wichtig zu verstehen, dass sie uns hören, aber Zeit brauchen, um aus ihrem Tun heraus aufzunehmen, was wir möchten. Es dauert manchmal bis sie reagieren, sie sind so im Moment, in ihrem Handeln vertieft, dass sie nicht alles stehen lassen um zu springen. Mir fällt das immer wieder auf, wenn der Liepste und ich die Kinder aus unterschiedlichen Ecken sehen, einer ruft und der andere sieht, dass das Kind sich längst bereit macht für das, was der eine Erwachsene will, der das aber nicht sieht und schon dreimal genervt nachfragt. Geduld. Das Zauberwort in jeder Beziehung, wird uns auch hier näher zusammenbringen. Weil eine Begegnung, die entsteht, wenn wir genervt nachgehakt haben, keine Qualität hat.
10 – ZubettbringZEiT. Ein langer Tag. Blanke nerven. Übermüdete Kinder und ein chaotisches Abendessen. Keine Seltenheit im Alltag. Jetzt nichts wie die Kinder ins Bett und Füße hoch – ehrlich, wie oft denken wir das? Aber wenn wir genau hier noch einmal durchatmen, inne halten und einen Moment Energie aus dem Nichts zaubern, wenn wir uns Zeit nehmen und Ruhe für das Zubettbringen, dann kann der Tag für alle doch irgendwie besinnlich zu Ende gehen. Und Kinder, die sich uns noch anvertrauen können am Abend, die nach vielem Chaos und Streit vor dem Schlaf spüren, dass doch alles irgendwie gut so ist, wie es ist, und sie okay sind, wie sie sind, die können ruhiger und entspannter schlafen. Und einem neuen Tag viel freudiger und fröhlicher entgegen blicken. Ein „Herrje, das war ein blöder Tag, was? Das schaffen wir morgen besser.“ schadet hier gar nicht. Und ehrlich: Uns geht es auch besser, wenn wir mit einer Umarmung, einem Kuss und lieben Worten die Kinder in die Nacht verabschieden. Erst dann kann auch uns wirkliche Entspannung überkommen.
Elternsein ist kein einfacher Nebenjob. Es ist Fulltime Nonstop Spot on sein. Kein Wunder, dass uns hier und da die Nerven durchknallen. Keiner verlangt, dass wir stets und ständig freudig strahlend unseren Kindern begegnen. Authentisches Wirsein ist genau so wichtig und wahrscheinlich der 11. Punkt in dieser Liste. Aber viel zu oft driften wir beim Abdriften ganz hinfort und vergessen, dass es auch ganz einfache, kleine Momente gibt, die uns in Beziehung mit unserem Kind treten lassen. Momente, in denen unsere Kinder uns die Türen öffnen und es an uns ist, hindurch zu treten, oder sie zufallen zu lassen.
Danke!
Du hast das gut in Worte gefasst!
ja der Punkt 11 bzw ich würd noch einen 12er dazusetzen:
uns unseren Kindern ehrlich zumuten – natürlich vor dem Hintergrund, dass wir uns tatsächlich bemühen unseren Kindern gute Mütter/Väter zu sein.. ;) – in unserem Menschsein zumuten und nicht nur den Anteil Mutter/Vater zeigen. Das war zumindest in unserer Familie DER Durchbruch zu viel lebendigerem fröhlichen und authentischen Miteinander.. Und ich habe festgestellt, dass meinen Kindern ein ehrliches (humorvolles) authentisches Scheitern viel besser getan hat, als ein immerwährendes angespanntes Bemühen um das ‚richtige‘ Verhalten. Dass das tatsächliche miteinander-gestalten viel schöner war, als die Mutter-Kinder-Kiste.
Und da meine Kinder mittlerweile 12 und 14 Jahre alt sind, würde ich es nicht mal mehr als Job bezeichnen, sondern als ein miteinander leben – und das genieße ich sehr!
wunderbar geschrieben, danke für das Erinnern an vieles und neue Ideen bzw. Inspirationen!
Ganz toller Text!!!
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