Als ich letzte Woche mit den Kindern zu Hause war, gingen wir das erste Mal gemeinsam auf einen Friedhof. In Wien hatten wir dafür bisher keinen Anlass und bei unserem letzten Spaziergang über den Zentralfriedhof waren die Kinder noch zu klein um sich für die Gräber zu interessieren.
Doch nun war Herr Klein höchst interessiert an dem, was er dort sah. Und dem, was sich dahinter und vor allem darunter verbarg. Für mich war es das erste Mal, dass ich mit einem Kind über Tote sprach. Aber es war eine wundervolle Erfahrung, die mich sehr berührt hat.
Beim ersten Besuch meiner Großeltern fiel ihm sofort auf, dass es kleine und große Gräber gibt. Dass Menschen nach dem Tod verbrannt werden können, fand er überhaupt nicht sonderbar, während ich dachte, dass die Vorstellung doch für ein Kind sicher gruselig sein muss. Er nahm das so hin und sagte dann bei den normalen Gräbern: „Aha, und hier liegen die ganzen Menschen.“
So nahm ich ihn einige Tage später mit auf den Friedhof, auf dem mein Bruder begraben ist. Er hatte begonnen Fragen zu stellen und schon auf dem Weg zum Friedhof wollte er wissen, warum er gestorben ist und wie alt er da war. „So jung?“ fragte er erstaunt, als ich sagte, dass er 19 war. Und sogleich schob er nach: „Aber wie habt Ihr erfahren, dass er tot ist?“ Und so begann ein Gespräch darüber, wie wohl der Vorgang bei einem Unfall ist und woher die Polizei weiß, wer dort gestorben oder verletzt ist. Und dass die Polizei alle Nummernschilder kennt, war für ihn unvorstellbar. Wie will man einem 7-jährigen auch Datenbanken erklären? Das spannende für mich war, dass er einfach normal alle Fragen stellte, die ihm einfielen. Es war keine Stille, kein betroffenes Schweigen, wie es bei Erwachsenen oft der Fall ist. Und das tat so gut.
Auf dem Friedhof ging die Fragerunde dann weiter. „Wie kommen die Toten da in die Erde?“ wollte er wissen. Es war ein Moment, in dem ich doch schlucken musste. Ich erzählte ihm vom Begräbnis, von dem bereits vorbereiteten Loch in der Erde, davon, wie die Friedhofsmitarbeiter den Sarg mit Seilen in die Erde lassen. Für ihn waren das Fakten und Informationen, völlig emotionslos. Für mich war es die pure Erinnerung an einen der schlimmsten Tage in meinem Leben. Aber gerade weil er so klar, so neugierig und kindlich unbefangen war, konnte ich ihm davon erzählen und spürte, wie gut mir das tat.
Ich bin aufgewachsen damit, dass man über den Tod und alles, was damit zu tun hat, nicht viel redet. Das ist schmerzhaft, unschön, schwierig und kein Wort kann etwas richten. Doch an diesem Tag spürte ich, dass es gut und richtig war, alles beim Namen zu nennen und in Worte zu fassen. Es macht die Dinge real, greifbar und tatsächlich. Und das ist der Tod nun einmal. Dann redeten wir über die Familiengräber, die er rundherum sah und wie da Menschen hineinkommen, die später sterben.
Daheim fragte er mich dann noch einmal, wie die Toten im Sarg liegen und führte seine Vorstellung vor. Ob sie die Augen offen haben und wie man die zu bekommt, als ich verneinte.
Ich spürte, dass ihn das Thema beschäftigte. Gleichzeitig war es nur das pure Interesse ohne der Schwere, die wir oft in uns tragen, wenn wir über den Tod reden.
Wir wollen unsere Kinder oft so lange wie möglich vor diesem Thema schützen und es von ihnen fern halten. Tatsächlich ist es aber sinnvoll, ihren Fragen und ihrem Wegweisen zu folgen. Wir müssen nicht von uns aus das Thema ansprechen, wir müssen nur warten, bis die Fragen auftauchen. Oft überlegen wir im Vorfeld: Wie erkläre ich es? Was sage ich? Doch ich habe mich hier erinnert an einen Hinweis, den wir in der Piklerausbildung gelernt haben: Warte auf die Fragen und beantworte diese einfach und klar. Denn diese Fragen deuten uns an, was ein Kind vertragen kann. So haben wir zum Beispiel auch nicht darüber geredet, wo die Toten sind, wenn sie tot sind. Weder über Himmel noch Gott oder irgendwelche anderen Vorstellungen und Phantasien. Herr Klein hat diese nicht angesprochen, ich hatte das Gefühl, dass sich für ihn die Frage nicht stellte, weil er so damit beschäftigt war, dass die Toten begraben sind. Und für mich war das stimmig, auch wenn ich gern an etwas mehr und darüber hinaus glaube. Aber das muss ich ihm nicht überstülpen, solange das für ihn kein Thema ist. Und vielleicht wird es das nie.
Was sind die Fragen, die Eure Kinder im Bezug auf den Tod stellen? Und wie geht Ihr damit um?
Wir wohnen direkt neben dem Friedhof. Der Papa meiner Kinder ist der zuständige Friedhofswärter. Unsere Kids wachsen hier auf, die Große lernt hier Fahrrad fahren, der Kleine freut sich an den vielen Vögeln. Vormittags ist jeden Tag Hochbetrieb. Die Arbeiter baggern, die Steinmetzen werkeln, die Besucher pflanzen und gießen, die Bestatter bringen die großen Kisten und dazwischen sind die Trauerfeiern und traurigen Menschen. Gegen Nachmittag wird der Friedhof zum großen Park.
Ich habe immer darauf gewartet, ob meine Tochter selbst nachfragt und sie das Thema Tod beschäftigt. Sie hat eine Himmeloma und weiß, dass diese vom Himmel aus auf uns aufpasst, uns aber nicht besuchen kann und wir sie nicht in die Arme nehmen können.
Lang dachte ich, sie weiß gar nicht, was der Friedhof ist, bis sie eines Tages im Frühjahr an drei Männern in schwarz vorbeikam, stehen blieb, beobachtete und mit ruhiger Stimme sagte: da ist jemand gestorben, die Männer sind traurig, aber im Himmel gehts dem Gestorbenen gut. Da sind viele Freunde bei ihm. … Die Männer haben genickt und ich betreten geguckt. War es mir peinlich? Unangenehm? Nein, meine damals Dreijährige hat nur geäußert was sie wahrgenommen hat und was sie darüber denkt und ich fand sie hatte ein Gespür dafür was angebracht war.
Kinder begreifen viel mehr als man denkt und ich finde der Ansatz: warte auf die Fragen und beantworte diese einfach und klar, genau der richtige ist.
Meine Liebingsaussage meines Sohns zu dem Thema auf die Frage, wo eigentlich der andere Opa sei und meine Antwort darauf, dass er leider schon lang vor seiner Geburt gestorben ist, war: Aha, wo ist er denn hingstorben??
gut, dass du darüber schreibst. das thema ist hier gerade präsent. ich glaube, meine nachbarin ist gestorben, bin mir aber nicht sicher. als jemand am zaun auftauchte fragte ich, ob alles ok sei…
ich mag die frage eh nicht, aber in diesem moment erschien sie mir noch unpassender. ein ‚ist die xy gestorben?‘ brachte ich einfach nicht heraus. ich merke wie ich mich um dieses thema winde. theoretisch gehört es fraglos dazu, aber praktisch ist man doch recht hilflos…so gut, dass herr klein dich hat zum achtsamen drüberreden:-)
Sarah wollte vor zwei oder drei Jahren (also mit neun oder zehn…) plötzlich konkret und genau wissen, woran denn ihr Opa (mein Vater) vor 30 Jahren „so plötzlich“ gestorben ist;Suizid ist schon ein sehr heikles Thema. Ihr Umgang damit war wunderbar, sie hat einige Tage sehr konkrete Fragen gestellt und dann wars vorerst erledigt.
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