Der Geruch von Leder

FullSizeRender-3Es war 1986 und ich freute mich wie Bolle auf die Schule. Ich war bereit. Im Kindergarten liebte ich die Vorschulstunden, lernte heimlich mit meiner Mama, meinen Namen zu schreiben und konnte es nicht erwarten, endlich lesen zu lernen und all das.

An meinen ersten Moment im Klassenzimmer erinnere ich mich ganz genau. Wenn ich die Augen schließe, rieche ich das Leder der neuen Federmäppchen und Schulranzen, frisch gespitzte Bleistifte und wahnsinnig viel Aufregung. Es war ein Samstag. Draußen wartete die Familie mit der großen Schultüte. Ich wäre gern länger im Klassenzimmer geblieben und hätte gelernt, wie man all die großen Buchstaben, die an der Wand hingen, schreibt.

Auf dem Klassenfoto halte ich stolz meine Schultüte vor mir und grinse meine Zahnlücken breit in die Kamera. Endlich war mein Tag gekommen.

Auf dem Arm konnte ich meine Schultüte nicht lange halten, dazu war sie zu schwer und bestätigte, was mir monatelang vorher prophezeit wurde: dass ich sie nicht halten könnte, wenn ich nicht aufessen würde… Zum Glück stand mein Bruder mir zur Seite.

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Und dann begann der Schulalltag. Ich saugte alles auf. Sehnte mich nach jedem neuen Buchstaben, neuer Zahl und wollte immer mehr. Zu Hause langweilte ich mich mit den Leseaufgaben, weil ich Mama und Mimi längst beherrschte. Ich spielte mit einer Freundin, die ein Jahr jünger war als ich, Schule auf einer alten kleinen Spieltafel. Leider teilte sie meine Leidenschaft nicht.

Ich erinnere mich an den Geruch von Vanillemilch aus Flaschen, die wir im Kasten über den Schulhof schleppten. Milchdienst, nannte sich das. Ich erinnere mich an den Werkraum in einer Baracke, doch nicht daran, was ich dort gewerkelt habe. Ich erinnere mich an das lachende Winken meines Bruders aus einem großen Fenster im Hauptgebäude, in dem die Oberstufe saß. Ich erinnere mich an die aufgemalte Schnecke auf dem Schulhof, in der wir fangen spielten, an die Fußballtore ohne Netz, um deren Stangen wir uns drehten, bis wir Blasen auf den Fingern hatten. Ich hatte ein schönes erstes Schuljahr, das viel zu schnell und zu endgültig endete. Mit einem Zeugnis voller Einsen verabschiedete ich mich aus dieser Schule und wir zogen um.

Von nun an wurde alles anders und ernster. Die Schule – in typischer DDR Bauweise modern eng. Die Lehrer an den Lehrplan gepresst und die Schüler gebeten zu folgen, zu lernen, was im Plan stand, zu sagen, was gefragt und zu schreiben, was diktiert wurde. Nach der Wende war Hinterfragen erwünscht, Verstehen aber ich wusste nicht, wie das geht. Kannte nur hören, mitschreiben und auswendig lernen. Die Noten gingen bergab aber mit etwas eingeflößtem Eifer schaffte ich die Schule mit akzeptablen Noten und ging meinen Weg… Einen steinigen, von dem ich Euch an anderer Stelle erzählen werde.

Herr Klein ist 5,5 Jahre alt und im letzten Kindergartenjahr. Er wird nächstes Jahr in die Schule kommen, die ersten Zähne sind gefallen, die nächsten kommen. Wir müssen eine Schule für ihn aussuchen und so Dinge wie Schulranzen und Co besorgen.

Aber was ich nun als erstes tun muss, bevor wir alles andere tun: Loslassen. Den Gedanken loslassen, dass Herr Klein so vorfreudig ist wie ich, dass er sich so auf die Schule freut, wie ich es getan habe. Denn ich merke, wie sehr ich mich auf dieses Ereignis freue und es öfter anspreche, als notwendig. Ein Thema gestalte, was ich damit eventuell größer mache, als es für ihn ist. Weil ich es so erlebt habe, weil ich es so wollte. Und wer weiß, vielleicht ist er auch gar nicht so lerneifrig wie ich. Und vielleicht geht er auch gar nicht so gern in die Schule wie ich. Ich muss nicht nur mein kleines Kind ins große Gefüge loslassen – und oh boy, davon habe ich mir heute zwei angeschaut… – ich muss auch wieder mal meine eigene Geschichte loslassen und lösen von seiner eigenen. Aber hin und wieder schließe ich einfach die Augen, atme den Geruch von neuem Leder und frischer Vanillemilch. Ach, war das schön.

Wie war das bei Euch? Seid Ihr gern in die Schule gekommen und gegangen? Welche Erinnerungen habt Ihr an Eure Schulzeit?

Dieser Beitrag hat einen Kommentar

  1. margreth

    ach, ich hab sehr klare Bilder im Kopf, von diesem ersten, aufregenden Tag…ENDLICH lernen…kurz kam in den ersten Tagen noch die Angst, die Buchstaben doch nicht unterscheiden zu können. Aber es waren dann doch wunderbare Jahre, mit sehr guten, warmherzigen LehreInnen.
    Der Lehrer der 2. Klasse hat Ziharmonika gespielt und hat mit uns einen Ausflug zu seinen Bienen gemacht.

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