Mein Polster

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Er erholt sich am Tage, wölbt sich zurück in seine ursprüngliche Form, atmet tief durch und auf. Des nächtens plattgedrückt, geboxt, geknautscht und gefaltet, in Ecken gedrängt und schwer tragend liegt er am Morgen erschöpft in meinem Bett und stöhnt. Mein Polster.

Überzogen in rot, orange oder bunt geblümt verbirgt er die nackte Schaumheit seiner Existenz. Durch kleinste faserige Poren wandert zu ihm, was aus meinem Ohr über Nacht aus meinem Kopf schleicht. Ein übler Traum. Schlaflose Gedanken an Vergessenes, Dringendes oder Unangenehmverdrängtes. Der Polster schluckt, was zu ihm durchdringt. Was der Bezug, die Plazenta der Nacht, nicht zu filtern vermag. Plattgedrückt, geboxt, geknautscht und gedrängt muss er einsaugen und endlos aufnehmen. Ohne je antworten zu können. Zu wollen. Und erst am nächsten Morgen, wenn mein leergeschlafenes Ohr sich erhebt, kann er hastig Luft holen. Einatmen. Durchatmen. Aufatmen.
Bis die Kinder kommen. Ihn werfen, als Versteck missbrauchen. Ihn ent- und verziehen und lautstark seine Erholung stören. Tja, willkommen in meinem Leben, Polster.

Und dennoch liegt er am Abend liebevoll auf seinem meinem Platz. Lädt mich ein mich an ihn zu schmiegen, erholsam stöhnend die Last des Kopfes an ihn zu drücken. Abend für Abend, Nacht für Nacht ist er das Tonband meines Inneren. All die Geräusche, die tagsüber in meine Ohren hineinwandern, schleichen sich dann heimlich durch die Poren des Bezuges in die Tiefen des Schaumstoffes. Beleben ihn. Erzählen ihm von mir. Und so lebt in ihm ein zweites Ich. Ein vergangenes Ich. Das des Tages, den ich längt hinter mir zu lassen versuche. ER schluckt und saugt auf und lässt auf Nimmer Wiedersehen verschwinden. Und ich danke ihm und sollte anstatt der vielen Hätte, Wenn und Wäre in meinem Leben hin und wieder den Polster nehmen und ausschütteln und frisch und freigeatmet den neuen Tag liebevoll in Empfang nehmen. Wie mein Polster mich. Abend für Abend. Danke, lieber Polster!

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