Mit meinem Attachment Parenting kritischen Post vor einigen Wochen habe ich ja in ein ziemliches Wespennest gestochen. Neben viel Zuspruch und Dankbarkeit erhielt ich natürlich auch Kritik. Immerhin habe ich eine große Bewegung in Erziehungsfragen angegriffen.
Ein Kritikpunkt, der immer wieder aufpoppte, war die Sache mit dem Bauchgefühl. Frauen sollten einfach weniger dogmatisch irgendwelchen Erziehungsstilen folgen, sondern sich mehr auf ihr Bauchgefühl und ihre Intuition verlassen. Sie sollten weniger mit anderen vergleichen und sich an denen messen und stattdessen mehr auf ihr Kind hören.
Nunja, das ist ja prinzipiell nicht falsch. Aber die Sache mit dem Bauchgefühl halte ich eben für besonders schwierig. Denn ehrlich gesagt bin ich froh, dass ich in vielerlei Hinsicht nicht auf mein Bauchgefühl gehört habe. Sonst hätte ich so einige Dinge anders gemacht.
Hätte ich auf mein Bauchgefühl gehört, hätte ich
- Herrn Klein nie so früh in sein eigenes Zimmer gelegt, wonach sowohl er als auch wir besser schliefen
- ihnen Mobiles, Wippen und blinkende Spielsachen gekauft und um sie herum platziert, damit ihnen nicht langweilig wird.
- alle meine Kinder gelobt und bestraft was das Zeug hält. Erziehung eben.
- meine Kinder aufgesetzt, bevor sie das selbst gekonnt hätten und an den Händen geführt, bevor sie Laufen konnten
- meine Kinder auf viel zu hohe Klettergerüste gehoben und sie panisch aufgefordert vorsichtig zu sein
- ihnen großartige ganz eigene Erfolge genommen
- kleine Wehwehchen abgetan als „Ist doch nichts passiert.“
- ihnen immer wieder vermittelt sie müssten doch lieb zueinander sein
- unzählige Machtkämpfe mit ihnen ausgeführt
- viel weniger echte Beziehung und Kontakt mit ihnen gelebt
Warum? Weil das all das gewesen wäre, was in mir drin gewesen wäre. Aus der Erfahrung heraus, was ich selbst erlebt habe als Kind. Und aus dem (nichtvorhandenen) Wissen heraus, das ich über Kindererziehung wirklich hatte.
Ich bin so heilfroh und dankbar, dass mein damaliger Chef mir so begeistert und fasziniert von der Piklerpädagogik erzählt hat. Und ja, auch ich bin da anfangs dogmatischer mit umgegangen, als ich es heute lebe. Weil eben mein Bauchgefühl komplett verquer lag. Durch die Geburt durchgerüttelt, aus meiner Vergangenheit gerissen und mit all dem neuen Wissen, das ich mir angelesen und ausgetauscht hatte verquirlt. Es war quasi nicht vorhanden. Und manchmal, wenn es sich bemerkbar machte, dann versuchte ich es wirklich zu umgehen. Ich wollte nicht sinnlos loben, aber die Sätze kamen aus mir heraus. Ich war zerrissen zwischen Abstillen und Weiterstillen – zwischen meinem Bedürfnis, meinem Bauchgefühl und dem sollte und „am besten wäre“. Ich war wenig ich und mehr Internet. Und das ist vermutlich gar nicht so unüblich.
Und deshalb kann ich die Rede von dem Bauchgefühl so banal nicht mehr hören. Ich halte es für wertvoll, wenn wir uns selbst hinterfragen und offen reflektieren, anstatt ungehindert geradeaus zu sprinten. Das heißt aber auch, dass wir uns immer wieder selbst fragen: Was ist jetzt für mich gut? Was braucht hier wer? Was funktioniert bei uns und was nicht? Wer ist mein Kind wirklich? Und wer bin ich?
Aber da muss man erst einmal hinkommen als junge Eltern. Mit all den Einflüssen von da draußen. Und wenn man dann da ist, dann muss man lernen umzugehen mit dem, was man getan oder nicht getan hat. Dem hätte und wäre. Wir sind letztendlich alles kein Zen Mönche, die dankbar annehmen, was war und in liebevollem Selbstmitgefühl warmherzig mit sich selbst sind.
Obwohl letzteres gar kein so schlechtes Ziel ist…
Wie steht’s um Euer Bauchgefühl? Hat Euch das immer gut geleitet oder war das auch öfter mal durchgeschüttelt von der Blase bis zum Magen?
Interessanter Artikel!
Ja, unser Bauchgefühl führt uns zurück in unsere eigene Kindheit, die leider oft von schwarzer Pädagogik geprägt war.
Das Problem mit dem angelesenen Wissen über den vermeintlich richtigen Umgang mit den Kindern ist m.E., dass dieser Umgang sehr oft aufgesetzt und nicht echt wirkt.
Die Kinder spüren aber unsere innerste, uns selbst oft unbewusste Einstellung zu ihnen. Ob sie gewollt, angenommen, geliebt sind etc. Und diese innerste Einstellung kommt eben von unserer Beziehungserfahrung aus unserer Kindheit.
Aus meiner Sicht hilft gegen dieses Dilemma nur das Bewusstwerden der inneren Haltung gegenüber den Kindern. Und das schafft man meiner Meinung nach am besten in einer langen tiefenpsychologischen Therapie, bei der man seine Beziehung zur eigenen Mutter aufarbeiten kann.
Liebe Grüße
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Danke. Viele andere haben auch schon über das Thema geschrieben und vielen so genannten AP-Bloggerinnen geht es ganz ähnlich, wie Dir.
Das mit dem verquirlten Bauchgefühl kenne ich auch. In dem Zustand bin ich immer besonders anfällig für noch eine Meinung von außen, die mich dann noch mehr verunsichert.
Ich glaube, als Eltern muss man einfach viel ausprobieren und durch die Erfahrung lernen, was zu einem selbst und der Familie passt. Letztendlich ist mein Gefühl dafür aber trotzdem wichtig. Um – nach allem Wissenanhäufen und aller Reflexion- nachzuspüren, was für uns langfristig passt… bis zum nächsten Entwicklungsschritt, ab dem wieder alles anders ist. ;)
Liebe Nadine, schön, dass ich übers Teetrinken zu dir gespült werde!
Das mit dem Bauch… ach drückst du das schön aus! Ich bin Grundschullehrerin und kann nur bestätigen – nicht alle Eltern ahben ein gutes Bauchgefühl. Man sollte mit Kindern schon immer mal wieder den Kopf auch strapazieren und sich hinterfragen. Und auch mir hat Emmi Pikler im ersten Jahr sehr geholfen. Mein Bauchgefühl hat zum Beispiel beim Wickeln gaaaaanz oft und laut „Bäh!!!“ gerufen – aber der Kopf hat sich dazwischengeschaltet – hat meine Hände weiterhin sanft und möglichst angenehm sein lassen. Der Bauch alleine hätte das nicht hingekriegt.
… ach ja – du verstehst den Begriff Volksschullehrerin eh… ind er Blogszene gewöhnt man sich so ein paar deutsche Ausdrücke an um Hääääs zu vermeiden…
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