Genieße den Tag rückwärts

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Sonntag. Ich habe Sonntage noch nie gemocht. Sie suggerieren uns: Heute ist frei. Heute ist Zeit. Genieße sie. Genieße diesen einen freien Tag ohne Arbeit. Carpe diem, denn morgen ist Montag und das Rad des Alltages rattert fröhlich weiter. 

Leider funktioniert das bei mir so nicht. Wenn ich mir morgens vornehme: Genieße den Tag! Dann ist vermutlich das Frühstück schon chaotisch. Da fliegt mir vielleicht die Kaffeetasse um. Da fällt mir die Zahnbürste samt Zahnpasta ins Waschbecken. Da sind die Kinder unausgeschlafen gelaunt. Und dann ärgert mich das doppelt. Zum einen, weil mich das sowieso ärgert. Und zum anderen, weil ich doch diesen Tag genießen wollte, und nun macht der Tag einfach nicht mit.

Also immer davon ausgehen, dass das ein mieser Tag werden wird? Damit dann alles glatt läuft? Nein, ich glaube auch das funktioniert nicht. Weil eigentlich das Leben weder in die eine, noch in die andere Richtung funktioniert. Das Leben geht einfach dahin. Natürlich können wir wahnsinnig unzufrieden und schlecht gelaunt sein, immer nur jammern und dann wird meist das Leben auch nicht wirklich bunt und schön. Denn wenn wir das Bunte und Schöne nicht einladen in unser Leben, dann will es dort auch nicht sein. Denn dann programmieren wir uns auf das Schlechte und auf die Wahrnehmung dessen. Überlegt doch mal, warum Menschen, die immer nur schimpfen und jammern, auch immer nur unglaubliche Dinge passieren, über die sie weiter schimpfen und jammern müssen. Genau.

Nun jedenfalls funktioniert das aber auch nicht, dass ich mich auf einen guten Tag einstelle. Was also tun, damit diese Sonntage dennoch gute Tage werden? Damit aber auch ein Montag ein guter Tag werden kann?

Wieder einmal hilft mir die Achtsamkeitspraxis sehr. Ich gehe nicht zwingend davon aus, dass der Tag gut wird (aber auch nicht, dass er schlecht wird). Ich gehe einfach offen in den Tag und mache mir die guten Momente bewusst. Im Moment sammle ich täglich auf Instagram einen guten Moment. Aber nur einen dort, denn ich will nicht alle fotografisch festhalten. Weil mich das ja oft aus dem Moment holt und wegbringt in den Social Media Wahnsinn. Ich überlege nun oft am Abend: Was war schön. Was war angenehm? Im MBSR Kurs letzte Woche sollten wir jeden Tag einen angenehmen Moment aufschreiben. Vor allem das Wort angenehm statt schön oder fröhlich hat mich dabei angesprochen. Denn angenehm kann so vieles sein. So unaufregend, so klein. Natürlich kann so ein Moment lustig sein, bereichernd, aber auch berührend oder einfach wohlig und warm. Und damit wird manchmal ein Tag, der eigentlich gar nicht so großartig erschien, im Nachhinein doch sehr wertvoll und erinnerungswürdig. Und dann genieße ich den Tag. Rückwärts eben.

Wichtig ist doch nicht, dass ich mir jeden Tag vornehme, ich würde ihn genießen als wäre er der letzte. Wichtiger ist doch, dass ich auch an dunklen Tagen kleinen Momente finde, die angenehm waren. Und dass somit auch ein Montag, ein Mittwoch ein guter Tag werden kann. Wenn auch erst zum Mittag, oder am Abend. Carpe diem rückwärts ist doch auch ein Carpe diem. Oder nicht?

Jetzt ist ein bisschen Druck gefallen vom Sonntag. Jetzt muss der nicht mehr toll werden. Einzigartig und schön. Jetzt darf der einfach sein. Ruhig auch mal ein bisschen grau. Aber mit Glitzer dabei.

 

Dieser Beitrag hat einen Kommentar

  1. andrea

    oh je, du sprichst mir sowas von aus der seele. so unstrukturierte sonn- und ferientage machen mich immer ganz kirre. wenn ich mich schon auf montag freue schauen mich alle seltsam an. und urlaub ist erst so schön, wenn er vorbei ist und ich gesund & munter wieder zuhause bin :-)

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