Gestern fetzte mir Herr Klein, der eigentlich längst nimmer klein ist, einen Folder auf den Tisch mit den Worten „Hier, aus der Schule, sollen wir Euch geben.“ Es stand in großen Buchstaben „Keine Gewalt an Schulen“ drauf und ich las weiter. Letztendlich war es ein einfacher Flyer, der Werbung machte für eine Webseite, auf der kaum mehr Informationen zu finden waren zu oben genannten Thema.
Dabei halte ich das Thema ja für sehr wesentlich. Natürlich bin ich nicht nur als Mutter, sondern als Mensch generell gegen Gewalt. Gegen Gewalt gegen jeden. Aber hier geht es also um Gewalt an Schulen. Von LehrerInnen gegen Kinder und Jugendliche und umgekehrt. Und natürlich auch Gewalt untereinander. Kinder gegen Kinder. Jugendliche gegen Jugendliche. Und vermutlich auch LehrerInnen gegen LehrerInnen. Leider fand ich wenig Informationen dazu. Klar, da steht welche Rechte und Pflichten Kinder, Eltern und LehrerInnen haben und wie die Vorgehensweise ist bei eventuellen Zwischenfällen. Aber mir fehlte ein entscheidender Aspekt.
Seit der Staatsoperntragödie (für alle, die es nicht mitbekommen haben, an der Balletschule der Wiener Staatsoper wurden haarsträubende Unterrichtsmethoden aufgedeckt) stellt sich für mich hier eine ganz wesentliche Kernfrage: Was kann ich als Mutter, als Vater, als Elternteil tun, um mein Kind zu stärken? Ich kann ja als Mutter hier mein Kind nicht per se davor beschützen Gewalt an der Schule zu erleben, auch wenn ich mir das natürlich wünsche. Und sicher ist es gut zu wissen, welche Rechte ich dann habe und wo ich mich hinwenden kann. Aber was bringt mir das, wenn mein Kind vielleicht gar nicht davon erzählt? Wenn es so eingeschüchtert ist oder sich schämt? Wenn es verunsichert ist oder wenn es selbst nicht weiß, was richtig und falsch ist?
Keine Gewalt. Immer.
In erster Linie gilt natürlich dem Kind zu vermitteln: Gewalt ist nie okay. Nie. Klar ziehen sich Geschwister gern mal eins über, sie raufen auch gern. Und solange hier die Grenzen des anderen gewahrt werden, ist das auch okay. Aber wir Eltern sollten immer wieder vermitteln: Gewalt ist nicht die Lösung. Zu oft höre ich: Geschwister müssen sich auch mal kloppen. Vor allem bei Brüdern ist das recht verbreitet. Aber sie in ihrem aggressiven Frust sich allein zu überlassen, weil das eben dazu gehört, ist eben genau die Gefahr. Dann wird Gewalt zur Möglichkeit, führt zu noch mehr Frust und noch mehr Gewalt.
Ich erlebe auch Eltern, die ihre eher schüchternen Kinder dazu animieren: „Dann musst Du mal zurückhauen.“ Weil sie sich sorgen, dass ihre Kinder ewige Bullies werden. Dabei ist das der falsche Weg. Wir müssen sie innerlich stärken, dann werden sie sich auch wehren können. Eben nur anders als aggressiv gewalttätig.
Irgendwie klingt das alles so selbstredend, wenn ich das schreibe. Aber da ich auch immer wieder aus meiner Blase herauskomme und sehe, dass so vieles, was ich für selbstverständlich halte, nicht überall normal ist, muss es wohl doch erwähnt werden. Gewalt ist absolut keine Lösung für irgendein Problem. Wenn ich grob bin zu meinem Kind ist das Gewalt. Wenn ich es anschreie ist das Gewalt. Und genau das ist hier in diesem Kontext so wesentlich, denn wenn mein Kind von Anfang an weiß, dass Anschreien Gewalt ist oder jemanden grob anzufassen, dann sieht es auch in der Schule recht schnell, wenn ein Lehrer gewalttätig den Schülern gegenüber ist. Jetzt müssen wir nur noch die Kinder dazu bringen, dass sie das dann auch äußern, was sie als falsch empfinden.
Emotionen ernst nehmen. Immer.
Von Anfang an ist es wichtig, dass wir die Gefühle unserer Kinder ernst nehmen. Nicht nur, um entsprechend darauf reagieren zu können, sondern auch um unseren Kindern zu signalisieren: Ich sehe Dich. Du bist okay, so wie Du bist. Du empfindest gerade Wut/Angst/Trauer/Freude etc. und das ist okay, das darf sein. Nein es geht vor allem auch darum dem Kind zu zeigen, dass es immer mit seinen Emotionen willkommen ist. Dass es nicht verurteilt wird für seine Wut oder seine überschwängliche Freude. Dass es bei uns sicher ist und geborgen. Und sein darf, wie es ist.
Das fängt mit dem Weinen als Neugeborenes an – stoppen wir es nicht sofort, sondern sind wir anwesend, liebevoll, wohlwollend. Und es geht weiter mit den kleinen banalen Wewehchen, die eben einfach da sind. Statt „Ist doch nichts passiert“ einfach trösten und da sein. Vermitteln: Das hat Dir weh getan, ich sehe das.
Es klingt oft so übermässig beschützend und zu viel Wind um nichts, wir betüdeln unsere Kinder zu sehr, heißt es. Aber es sind eben genau diese Momente, in denen ein Kind erfährt, dass es ernst genommen wird und jederzeit äußern kann, was es beschäftigt. Wenn es das weiß und kann, dann muss es keine anderen „Dramen“ spielen, um auf sich und seine Bedürfnisse aufmerksam zu machen. So einfach ist das.
Vertrauen. Immer.
Dem Kind vertrauen, dass es uns sagt, was es beschäftigt. Was in ihm los ist. Dem Kind vertrauen, dass es nichts aus böser Absicht tut. Klar, es probiert aus, es macht Fehler, es testet Grenzen. Aber nichts davon geschieht aus purer Boshaftigkeit. Es sind vielmehr oft verzweifelte Hilferufe.
Aber dieses tiefe Vertrauen in ihre Fähigkeiten, in ihre Einzigartigkeit, in ihre Entwicklung hilft uns und ihnen ein Stück entspannt zu bleiben, auch wenn mal etwas nicht so rund läuft.
Kinder in Ruhe sein lassen. Immer.
Nein, nicht Kinder allein lassen. Was ich fordere: sie einfach in ihrem Wesen so sein lassen, wie sie sind. Zu nichts drängen, wozu sie nicht bereit sind. Jedes Kind entwickelt sich zauberhaft auf seine Weise und in seinem Tempo. Es wird gehen lernen und es wird allein aufs Klo gehen. Es wird sprechen und schreiben und lesen. Aber nicht dann, wenn es das Kind der Freundin kann oder der große Bruder schon längst konnte. Kinder, die immer wieder animiert und motiviert, gedrängt und gefordert werden, spüren dabei vor allem eines: Ich bin so, wie ich bin, nicht gut genug. Das führt dazu, dass sie sich von sich, von ihrem ganz eigenen Wesen entfernen und da draußen in der Welt nicht spüren, wer sie sind, was gut und richtig für sie ist. Und dann können sie auch nicht erkennen, wenn ihnen etwas unrecht getan wird.
Was mir aber auch wichtig ist, vor allem in diesem Zusammenhang: Die Kinder in Ruhe lassen, wenn sie aus dem Kindergarten, aus der Schule kommen. Statt einen Fragenkatalog herunterzurattern einfach vertrauen, dass sie uns erzählen, was für sie wesentlich war. Manche reden unaufhörlich über jede Begegnung mit anderen Kindern, manche erzählen erst nach Wochen, dass die alte Lehrerin aus dem Krankenstand zurück ist. Nur indem wir unsere Kinder zum Reden drängen, werden sie uns nicht mehr erzählen.
Offen sein und reden. Immer.
Es mag das hundertste Mal sein, dass Herr Klein mir einen gehalten Fußball im Wohnzimmer zeigen will. Es interessiert mich wenig, aber ich bin dankbar: Für ihn ist das wichtig, aufregend, interessant. Und mich lässt er teilhaben an seiner Freude, an seinen Interessen. Wenn wir hier nicht dran bleiben, dann müssen wir uns nicht wundern, wenn sie mit 16 nix mehr erzählen. Ich meine nicht, dass wir jede Erzählung mit größter Begeisterung beklatschen sollen. Aber offen sein dafür, klar können wir auch sagen: „Du, ich hab grad keinen Kopf dafür, ich freu mich, wenn Du mir das später erzählst.“ Wir müssen ja auch authentisch bleiben und bei uns. Wichtig ist zu vermitteln: Ich sehe Dich, ich freue mich, dass Du mich teilhaben lässt, ich höre Dir gern zu.
Und noch wichtiger ist es auch von uns zu erzählen. „Wir haben früher immer einen Eintrag ins Mitteilungsheft bekommen, wenn wir in der Schule Mist gebaut haben.“ Herr Klein schaut mich groß an. „Echt? Hast Du viele bekommen?“ fragt er. Tja, da kann ich dann mal antworten. Nein, es waren nicht viele, ich war ja brav. Aber das, was ich gemacht habe, darf ich hier mal erzählen. Das sind Geschichten, die uns zusammenbringen als Familie. Wo unsere Kinder spüren: Hey, die Eltern sind keine Wunderwesen ohne Fehler, die haben auch Mist gebaut. Ehrlichkeit spielt hier eine große Rolle. Das sind wertvolle wichtige Erfahrungen. Und je mehr wir wieder von uns erzählen, umso mehr erzählen sie auch wieder von sich.
All das hat ganz viel mit Beziehung und Vertrauen zu tun. Die Basis dafür legen wir von Geburt an. Die ersten Jahre sind hier schon entscheidend, aber das heißt nicht, dass ich nicht später noch was richten kann. Es ist nie zu spät, aber wir können keine Beziehung erzwingen. Wir können sie nur zulassen, wachsen lassen, mit ihr mitschwingen. Darum geht es. Immer wieder. Und immer. Und dann können wir auch darauf vertrauen, dass unsere Kinder erkennen, was in der Welt falsch läuft und dass sie uns dazu befragen oder uns von ihren Beobachtungen erzählen. Nicht immer. Aber dann, wenn es wichtig ist. Das wünsche ich uns.