Kürzlich waren wir mit den Kids Zug fahren. Dampflok, um genau zu sein. Wir sind eine Weile zum Bahnhof spaziert und haben dort noch warten müssen. Frau Klein lag die ganze Zeit wach im Kinderwagen und als es endlich los ging, war sie bereits recht übermüdet. So folgte auf das Pfeifen der Schaffnerin nicht nur das Zischen und Rauchen der Dampflok, sondern auch ein Schreikonzert in Waggon 3.
Es gab nun aber kein Zurück mehr und so nahm ich sie auf den Arm. Und fühlte mit ihr. Die alte Bahn schaukelte sehr und machte auf den schmalen Gleisen einen ziemlichen Lärm. Je mehr ich mich in Frau Klein’s Schreien einfühlte, umso mehr spürte ich selbst, was sie wohl so aus der Bahn warf. Die Geräusche kamen nun auch mir erstmalig unglaublich laut vor, das Schaukeln und Rattern der Räder auf den Gleisen heftiger als je zuvor.
Da ich die Strecke gut kenne, wusste ich, wann der letzte Halt hinter uns und ein Stück ununterbrochene Zugfahrt vor uns lag. Vorsichtig legte ich Frau Klein in den Kinderwagen. Natürlich schrie sie noch einmal mehr auf, aber ich kenne sie. Auf meinem Arm biegt sie sich durch und kommt nicht zur Ruhe. Das gleiche im Tragetuch. Also lehnte ich mich so weit in den Kinderwagen hinein, dass sie mich trotz des Zuglärms hören konnte. Ich redete langsam mit ihr, streichelte ihren Kopf und legte eine andere Hand auf ihre Brust. Ganz sanft. Zwei Minuten später war sie dort, wo sie dringend hingehörte – im Traumland.
Herr Groß erklärte mir danach, dass er bewunderte, wie ruhig ich das geschafft hatte. Und wie gelassen ich ihr genau das gegeben habe, was sie brauchte: einen ruhigen Halt zum Einschlafen. Den Fels in der Brandung.
Natürlich war ich beim ersten Kind nicht so gelassen. Zu sehr hat mich das Weinen irritiert und verängstigt. Viel mehr war ich darauf bedacht es sofort zu stoppen oder den Grund dahinter zu finden. Und es stimmt schon, dass man beim zweiten Kind etwas gelassener ist. Vor allem auch, weil man die Zeit nicht mehr hat, sich um wortwörtlich jeden Pup intensivst zu kümmern. Aber was viel größer ist, ist die Erleichterung über die Erkenntnis, dass es Momente gibt, in denen man nicht mehr machen kann als eben dieser Fels zu sein. Obwohl das ja nicht nix ist. Für uns nicht. Und für das Kind auch nicht.
Denn es gibt sie einfach, diese Momente, in denen Babies weinen oder schreien. In denen sie eigentlich satt und sauber, warm eingepackt und unserer Meinung nach bestens versorgt sind. Und stattdessen schreien sie. Wir wissen, dass sie abends oft den Tag verarbeiten und die Eindrücke, die ihnen zu viel waren, hinausschreien. Dennoch überkommt es uns wie eine unerwartet hohe Welle am Strand. Eine, die uns die Füße wegreißt. Aber es hilft nichts. Die Sandburg ist hinüber und wir umgeben von einem Haufen Sand, Schaufeln, Steinen und Muscheln. Wir können versuchen die schönsten noch zu finden und einzusammeln in den kurzen Momenten zwischen den Wellen. Und immer wieder salziges Meerwasser schlucken. Wir können aber auch einfach innehalten, uns auf unsere Füße konzentrieren und warten, bis der Sturm nachlässt. Und morgen neue Muscheln sammeln. Vielleicht ein paar weniger, nur so viele, wie in unsere Taschen passen. Dann haben wir auch einmal einen Moment Zeit die Wellen genauer zu erkennen, und können vielleicht mit ihnen gemeinsam Schritt für Schritt in den Strand zurückwandern. Bis sie nur mehr sanft unsere Füße umspülen. Und das Rauschen leiser wird.
Denn wenn unsere Kinder weinen, kann es für sie sehr anstrengend sein, wenn wir als Eltern nun alle Hebel in Bewegung setzen, den Grund für das Weinen zu finden und es zu stoppen. Häufig haben wir ein ganzes Repertoire an Tätigkeiten, die wir unternehmen, damit das Kind sich beruhigt. Oder versuchen wir damit vielleicht sogar manchmal unbewusst, uns selbst zu beruhigen? Etwas zu tun, damit wir nicht das Gefühl haben, hilflos dazustehen? Doch meistens erschöpft all das sowohl sie als auch uns. Es stoppt jedoch weder das Weinen, noch hilft es uns, die Ursache zu erkennen. Denn es gibt sie einfach, diese Momente, in denen wir nichts weiter tun können, als ihr Weinen anzunehmen, hineinzuhören und es zuzulassen. Was wir unseren Kindern damit vermitteln ist ein „Deine Gefühle sind in Ordnung.“ was soviel bedeutet wie: Du bist in Ordnung. Was wir dabei erleben ist ein noch intensiveres Kennenlernen unserer Kinder. Je mehr wir sie anhören und uns in sie einfühlen, umso mehr erfahren wir, was sie wohl fühlen. Und warum. Aus einem Du und Ich wird ein Wir. Und gemeinsam bauen wir morgen eine neue, eine noch schönere Sandburg. Bis die nächste Welle kommt.
Das hast du ganz wunderbar auf den Punkt gebracht. Beim ersten Kind war ich auch viel mehr darauf bedacht, das Weinen abzustellen, als dem Kind mitzuteilen, dass seine Gefühle in Ordnung sind. Beim dritten Kind war es dann wirklich leicht. Aber es hat sehr, sehr lange gedauert, bis ich das drauf hatte, das Annehmen. Und es hat mir auch keiner erklärt, ich musste selbst darauf kommen.
Lieben Gruss!