Morgen steht mal wieder die jährliche Herzuntersuchung im Krankenhaus an. EKG, Sauerstoffsättigung, Blutdruck, Ultraschall. Für uns mittlerweile Routine. Und nichts, was uns beunruhigen sollte, denn Herrn Klein geht es gut. Und ganz nüchtern betrachtet sind all die Untersuchungen keine „schlimmen“ Sachen. Denn sie tun ja nicht weh. Aber genau da stehe ich an.
Wenn ich Herrn Klein wie kürzlich auf eine Impfung vorbereite, kann ich mit gutem Gewissen sagen „Das wird kurz weh tun. Und Du kannst dabei ganz laut schreien.“ Aber was sage ich, wenn es aus meiner Sicht nicht weh tut ? Denn woher weiß ich, was ihm weh tut, was ihm unangenehm ist ? Beim EKG werden ihm kleine „Aufkleber“ auf die Brust geklebt. Beim Blutdruck drückt eine Manschette zu. Das Stethoskop kann kalt sein. Beim Ultraschall kommt kaltes Gel auf seine Brust und dann ein Schallkopf, der darauf rumfährt, während eine Frau im weißen Kittel gebannt auf einen Bildschirm starrt. Sie achtet dabei nicht auf jede Bewegung und drückt vielleicht unbewusst das eine oder andere Mal etwas stärker auf.
Und wenn ich ehrlich bin – ein Besuch beim Frauenarzt tut auch nicht wirklich weh. Er ist aber so unglaublich unangenehm, dass auch ich vorher nervös bin und heilfroh, wenn es geschafft ist.
Ich schaffe es also einfach nicht ihm zu sagen, dass es ok sein wird. Weil ich weiß, dass es das nicht sein wird. Denn hinzu kommt die Umgebung. Das sterile Krankenhaus mit all seinen Gerüchen und der Anspannung, die in der Luft liegt. Abgesehen davon, dass Herr Klein eine ausgewachsene Ärztephobie hat, die so weit führt, dass er sich nicht einmal auf eine Waage oder an die Messlatte stellt beim Kinderarzt. Es sind also nicht nur die physischen Schmerzen, die ihn ängstigen.
Von Anfang an habe ich es vermieden Herrn Klein zu sagen, wie sich etwas anfühlt. Wenn er fällt und gleich wieder aufsteht und weiterläuft, lache ich ihn an. Wenn er fürchterlich weint, tröste ich ihn. Egal wie banal der kleine Stolperer oder Stoß aussah. Ich sehe einen Sturz ja nur von außen. Er erlebt ihn ganz anders und selbst der Schreck kann ihn so sehr aus der Bahn werfen, dass er lange schreit.
Immer wieder erlebt man Eltern, die ihren Kindern, nachdem sie hingefallen sind, als erstes die Hose sauber klopfen. Das Kind steht noch völlig benommen vom Schreck weinend da, und jetzt werden ihm quasi auch noch die Beine geklopft, während es noch versucht zu verdauen, was soeben passiert ist. Das ist gar keine böse Absicht der Eltern. Es ist eher ein Mechanismus. Wieder „Normalzustand“ herstellen. Und vielleicht auch ein wenig „Selbstberuhigung“. Und vielen fällt vielleicht gar nicht auf, dass ihr Kind statt einer sauberen Hose erst einmal eine Umarmung gebrauchen könnte.
Manchmal löst ein Sturz auch eine scheinbar endlose Serie an Weinattacken aus. Dann war es der bekannte Tropfen, der irgendein Fass, von dem wir vielleicht gar nicht wussten, dass es existiert, zum überlaufen brachte. Dann kommt noch viel mehr hoch. Wut, Ärger, Müdigkeit, Angst oder irgendein Weltschmerz, der ihn an diesem Tag beschäftigt hat. Und dann ist es gut, dass es ein Ventil gab, der ihn freigesetzt hat.
Nein, ich sage Herrn Klein nicht, dass etwas „gar nicht schlimm“ war oder „schon wieder gut“ ist. Ich puste nicht auf Wunden und ich rufe nicht „Steh wieder auf!“ Ich bin da und halte ihn, solange es nötig ist. Und das ist wohl auch alles, was ich morgen tun kann.