Vor 7 Jahren wäre ich eine andere Mutter gewesen

You are currently viewing Vor 7 Jahren wäre ich eine andere Mutter gewesen

Nun bin ich seit fast 7 Jahren Mutter. Es scheint mir noch nicht so lange her, dass wir auf Island waren mit dem Fahrrad. Unser letzter Urlaub ohne Kinder. Wir hatten extra noch einmal eine Reise gewählt, die wir mit kleinen Kindern lange nicht machen könnten. Island war toll.

Damals freute ich mich einfach auf das Abenteuer Elternwerden und Elternsein. Nie hätte ich geglaubt, dass es mich so verändern würde. Dass ich mich so verändern würde.

Erziehungsratgeber lesen. Da streiten sich ja die Elterngeister. „Braucht kein Mensch. Ich mache das ganz nach Bauchgefühl.“ sagen viele. Andere verschlingen alles, was es gibt auf dem Markt. Und das ist vieles. So viel, dass ich heute kaum noch einen Ratgeber lese. In den ersten 2-3 Jahren war das noch anders. Und das war gut so.

Sicher hätte ich meine Kinder auch nach Bauchgefühl „erziehen“ können. Ich würde sie sicher genau so unglaublich lieben. Würde ihnen ein genau so gemütlich liebevolles Zu Hause bieten. Aber es gibt vermutlich viele Dinge, die ich anders machen würde.

Ich würde mehr erziehen. Wirklich erziehen.
Ich würde ihnen sagen, was sich gehört und was nicht. Verbal.
Ich würde sie vermutlich strafen und natürlich würde ich sie ständig loben für alles, was sie tolles tun.
Ich würde sie mit ihren Freunden vergleichen, die Geschwister untereinander und ihnen regelmässig aufzeigen, wo sie Defizite haben.
Ich würde ihnen viele Dinge zeigen, die sie heute selbst entdecken.
Und vermutlich würde ich ihre Welt mehr gestalten als sie sich ihre.
Ich würde sie zum Grüßen, Bitten und Danken auffordern.
Ich würde sie fördern und fordern.
Ich würde sie anfeuern und motivieren, anspornen und unter Druck setzen.

Warum ich mir sicher bin, dass ich das tun würde?
Nun, wenn ich all das nicht tue, weil ich es bewusst nicht tue, merke ich, dass das Dinge sind, die ich selbst erst lernen musste. Sie erfordern ein wirkliches bewusstes Nicht-tun. Zu oft steckt in mir ein Satz, den ich verschlucke, weil ich weiß, dass er eigentlich nicht gut tut. Manchmal, in Stresssituationen kommen solche Sätze auch heraus und ich muss dann über mich selbst den Kopf schütteln. Weil ich auch direkt sehe, wie sinnlos das Gesagte manchmal ist. „Wenn Du nicht sofort aufhörst damit, dann gehst Du gleich ins Bett.“ Der Liepste und ich schauten uns an und lachten. Was für ein Quatsch. Das Kind nun ins Bett zu jagen weil es sich „falsch benommen“ hat, ja, das sind Dinge, die ich tun würde, wenn ich mich nicht damit befasst hätte wie Kinder ticken, wie sie sich entwickeln, was sie wirklich tun, wenn sie etwas tun, was sie wirklich brauchen und wie ich ihnen respektvoll begegnen kann.

Ich bin dankbar, dass ich so manche Ratgeber verschlungen habe. Aber die wirkliche Arbeit war die Umsetzung des Gelesenen. Vermutlich ist all das eine Arbeit auf Lebenszeit, denn es gibt immer Baustellen, an denen es zu arbeiten gibt hier in diesem 5-köpfigen Gefüge. Das ist okay. Aber ich mag jetzt schon, was all das mit mir gemacht hat. Nicht nur mit mir als Mutter meinen Kindern gegenüber. Sondern auch mit mir als Frau vom Liepsten. Und mit mir ganz selbst als Nadine. Denn es hat mich in so vielerlei Hinsicht verändert.

Vieles hat mich aus der Bahn geworfen und dann direkt auf den Boden geschleudert. Geerdet saß ich dann da und konnte mich neu orientieren. Ich bin oft gefallen. Dann lag ich da eine Weile und bin irgendwann wieder aufgestanden. Anders. Größer. Gewachsener. Ich habe mehr zu mir selbst gefunden. Denn die Auseinandersetzung mit den Kinderthemen bringt immer eine Auseinandersetzung mit sich selbst mit. Die kann schmerzvoll sein, aber sie ist wichtig und tut gut. All das hat natürlich auch für unsere Beziehung geholfen. Wir haben ein anderes Wir gefunden. Ein Wir, das ich sehr mag, sehr liebe. Und an dem wir ebenfalls stetig arbeiten. Auch hier hätte uns das Bauchgefühl vielleicht einfach so zusammengehalten. Denn das Wir auf Island, das war auch ein sehr schönes. Aber eben ein Nichtelternwir.
Die Arbeit mit uns an uns wirkt sich nicht nur auf uns als Paar aus, sondern auch auf unser Elternsein. Und das dann wiederum auf uns als einzelne Personen. Es spielt alles zusammen, wir sind ein großes Gefüge.

Und deshalb ist es gut sich mit so manchen Themen zu befassen. Es heißt immer entspannte Eltern machen entspannte Kinder. Aber wir sind nicht immer von Natur aus entspannt. Und wir können auch nicht plötzlich entspannt sein nur weil wir wissen, dass sich unsere Kinder dann besser entspannen können.

Ich mag diese Reise, auf der wir uns seit 7 Jahren befinden. Sie ist abenteuerlich, mal steil und kurvig, mal eben und gerade. Eigentlich ist sie ähnlich der Radtour damals auf Island. Man wusste nie, wie das Wetter ist, wenn man um die Kurve biegte. Aus Asphaltstraße wurde kurzum Schotterpiste. Es ging steil bergauf, dann wieder sausend bergab. Mit Rückenwind dem Ziel entgegen um nach der nächsten Kurve wieder mehr rückwärts als vorwärts zu strampeln. Die Landschaft immer ein Traum, immer wieder neu, jeden Tag anders und wunderbar. Am Abend fielen wir erschöpft um und sammelten Kraft für den neuen Tag. Die Reise selbst eine bleibende Erinnerung.

Wie gefällt Euch Euer Blick auf Euer Elternsein? Wofür seid Ihr dankbar? Was glaubt Ihr hättet Ihr anders gemacht, wenn Ihr so manche Texte, Bücher und Artikel nicht gelesen hättet?

Dieser Beitrag hat 3 Kommentare

  1. Carla

    Mir gefällt, wie du das beschreibst.

    Ich selbst habe auch zig Ratgeber gelesen und frage mich manchmal, ob das gut ist. Denn oft verunsichert mich das Gelesene auch. Beeindruckt davon, wie sinnvoll und zwingend alles in so einem Buch klingt, laufe ich dann erziehungstechnisch los in die Richtung des Autors um dann doch wieder in der Realität stecken zu bleiben.
    Da es mir generell häufig schwer fällt, klar zu sein, in dem, was ich will und von anderen erwarte, wird dies durch die unterschiedlichen von mir aus Büchern umgesetzten Herangehensweisen manchmal noch verstärkt. Langsam – nach 5 Jahren als Mama – wird mir klar, dass jede Familie doch ihre ganz eigenen Wege finden muss.

    Aber du hast Recht – man bekommt neue Denkanstöße und hinterfragt sich mehr, was grundsätzlich sicher wichtig ist. Und eine Inspiration können die Bücher auf jeden Fall sein!

  2. Melanie

    Ich freue mich auf den Zeitpunkt, in dem ich das auch so gelassen im Rückblick sehen kann wie du. Derzeit sind viele Veränderungen und der scheinbar ewig Diskurs über „wie machen wir das jetzt“ und „ich will das aber so“ sehr kräftezehrend für mich, da ich diejenige bin, die viel liest und dadurch (oder prinzipiell) vieles anders machen will. Dabei stark und bei mir zu bleiben ist nicht leicht. Dennoch hätte ich es wohl nicht anders gemacht (also weniger gelesen bzw. den Widerstand gegen „klassische“ Modelle gesucht). So bin ich nun mal. ;-)
    Doch generell stimme ich deinen Aussagen zu. Das Wachsen mit Kindern hat eine andere Dimension als alleine oder als Paar. Denn man hinterfragt sich nicht nur für sein eigenes Weiterkommen.

  3. Marianne

    Seit bald 8 Jahren Mama sehe ich im Rückblick einen unglaublichen Reichtum. Das Mutterwerden und Begleiten der Kinder hat auch mich definitiv verändert und weitergebracht. Ich habe Seiten an mir selbst kennengelernt, die vielleicht ohne Kinder gar nie so ausgeprägt worden wären.
    Auch ich habe viel gelesen und dadurch sicher einiges dazugelernt, aber auch Bestätigung erfahren. Und ich durfte dankbar feststellen, dass bereits meine Eltern mir viel Gutes mit auf den Weg gegeben haben. Gelassenheit und Vertrauen, dass jedes Kind seinen eigenen Weg gehen wird, sind mir sehr wichtig geworden.

Schreibe einen Kommentar