Unlängst, als Herr Klein seine Brotdose in seine Schultasche packte, erschrak er und lief verzweifelt mit drei Blättern Papier zum Küchentisch. „Ach Mist! Ich hab das vergessen zu machen!“ Eilig holte er seine Stifte heraus und begann auf den Zetteln mit Texten zu den verschiedenen Österreichischen Bundesländern die rotgedruckten Wörter rot zu unterstreichen. Ich fragte ihn ungläubig, ob das die Aufgabenstellung gewesen sei. „Ja. Und ich hab’s vergessen.“ antwortete er zerknirscht. Sprachlos stand ich daneben und konnte nicht glauben, welch Unsinnigkeit ich da beobachtete.
Heute schrieb er Wörter aus dem Wörterverzeichnis im Deutschbuch ab. Alle Namenwörter unter den Buchstaben A – G. Mit Artikel. Ich verstehe, dass Kinder den Unterschied zwischen Namenwörtern und Verben und Co unterscheiden sollen, Artikel lernen etc. Aber das stupide Abschreiben von Wörtern vor allem in dem Umfang ließ mich mal wieder verzweifeln.
Verzweifeln an dem System, in dem unsere Kinder heutzutage, 2018, noch immer lernen. Verzweifeln an diesen Unsinnigkeiten, die Lernen genannt werden. Dabei sind es in meinen Augen oft nicht mehr als Beschäftigungstherapien. Und Verzweifeln auch daran, wie brav und pflichtbewusst er diese Aufgaben erledigt. Ja, andere Eltern wären froh, wenn ihre Kinder so wären, wenn sie sich nicht wehren würden gegen das Lernen und die Aufgaben, die ihnen gestellt werden. Aber ich denke, dass Kinder uns hier etwas ganz wichtiges mitteilen: Dass das System nicht richtig ist. Dass man nicht alle Kinder unter gleiche Anforderungen stellen darf. Dass Kinder lernen wollen, aber nicht so, nicht unter den Bedingungen, dem Druck und dem Stress.
Heute nahm ich mir dann endlich das Buch „Lernen ist wie Atmen“, das schon seit geraumer Zeit hier liegt wieder in die Hand. Ich wusste, warum ich das Lesen dieses Buches aufgeschoben habe. Warum ich es unter anderen Büchern begraben hatte. Weil ich ahnte, was es mit mir machen könnte. Das Verzweifeln vergrößern. Ein schlechtes Gewissen formen, dass ich meine Kinder diesem System aussetze, obwohl ich weiß, dass es Alternativen gibt.
Aber es kam anders. Ich begann das Buch zu lesen, tauchte in die unterschiedlichen Geschichten ein. Las darüber, wie wunderbar das stille Örtchen ist, wenn Kinder am Klo mit Klopapier Rollen selbst Mathematik „lernen“. Wie ein Friedhofsspaziergang zu statistischen Erkenntnissen führt. Mit welcher Freude und Begeisterung Kinder lernen, wenn es ihrem jetzigen Interesse entspricht. Welch wundervollen Begegnungen zwischen Eltern und Kindern entstehen, wenn beide einander achten und sich aufeinander einlassen. Ohne Zwang, ohne Lernens- und Leidensdruck. Und ich fühlte mich wohl und warm.
Das Buch ist keineswegs nur eine farbige Darstellung des Freilernens und wie es funktionieren kann. Es zeigt viel mehr auf wie Kinder lernen. Wie wenig es dafür braucht. Weniger Erwartungen. Weniger Stress. Weniger Müssen und Sollen. Stattdessen braucht es nichts als Einlassen und Zulassen, Vertrauen in unsere Kinder, Offenheit im Kopf und die Bereitschaft diesem unfassbaren Anfängergeist der Kinder zu folgen. Gespannt und begeistert. Dann kann so viel entstehen. Dann lernen nicht nur unsere Kinder, sondern wir mit ihnen. Über sie und über uns. Und über unsere wundersame wundervolle Welt.
Das Buch zeigt auch auf, was kleine Sätze anrichten können in den Seelen unserer Kinder. Sätze, die LehrerInnen unbedacht herausposaunen. Und es zeigt damit, wie sensibel das Thema Lernen ist.
Miniklein zupfte mich am Hosenbein. „Kacki!“ rief er. Beseelt von dem, was ich gerade gelesen habe, ging ich ganz ruhig und entspannt (und nicht wie sonst zur Zeit so oft genervt vom Windelwechseln) mit ihm ins Bad. Zog ihm die Windel aus. „Klo!“ rief er und ich folgte ihm. Er saß und drückte, machte laute Pupsgeräusche und lachte und ich lachte mit ihm. Ja, dachte ich, das stille Örtchen ist wirklich ein wundervoller Ort. Zum Rechnen, zum Lesen (bei uns hängt der Familienplaner am Klo und Herr Klein will öfter wissen was die gekürzelten Termine in unseren Spalten bedeuten), zum Lachen.
Freilernen ist für mich zur Alternative geworden. Nicht jetzt, aber prinzipiell. Herr Klein geht noch gern in die Schule. Er hat dort wertvolle Freunde, es gibt keine gröberen Probleme außer eben so manchen fragwürdigen Aufgaben. Nächstes Jahr wird Frau Klein ihm folgen. Und sie freut sich auch schon darauf. Derweil passt alles soweit und ich habe noch das Gefühl, dass ich ihr Lernen gut abfangen kann daheim. Ich kann nur allen Eltern raten sich mit dieser Thematik auseinander zu setzen. Frühzeitig. Denn Lernen beginnt nicht erst mit Schulbeginn, sondern mit dem ersten Atemzug auf dieser Welt. Lernen ist wie atmen. Wir können nicht nicht lernen. Lernen ist immer da.
Das Buch könnt Ihr hier bestellen. Es ist ein wahrer Schatz an Erzählungen und Erfahrungen von Eltern und Kindern, aber auch von Großeltern und PädagogInnen und ich möchte ihn in meinem Bücherregal nicht missen.
Danke für den Tipp – ich hab das Buch gleich bestellt! Eine wahre Fundgrube dein Blog ;-D
Da beneide ich dich darum, dass es in Österreich diese Alternative gibt. Hier in Deutschland heißt es ja nur, Schule oder auswandern – und das käme für mich aus verschiedenen Gründen nicht in Frage.
Meine älteste Tochter kommt im Sommer in die Schule und ich hoffe so sehr, dass die Umstände für alle Beteiligten zufriedenstellend sind!
Liebe Nadine
danke für das Vorstellen dieses Buches. Ich glaube, dass brauche ich auch.
Wir sind auch dahin gekommen, dass Freilernen/Homeschooling für uns zur Alternative wurde.
Als unser Älterster vor beinahe 2 jahren in den Kindergarten kam. In der Schweiz ist der Kindergarten verpflichten, spätestens mit 5 zwei Jahre lang.
Doch schon nach zwei Wochen, war es der Horror. und es wurde immer schlimmer. So viel Frust. So viel Leid bei unserem Kind.
Im Kindergarten war er sehr angepasst und machte super mit. Und zu Hause kam dann alles raus.
Unser Sohn lernt jetzt seit über einem Jahr zu Hause, frei. Und hat so zum Beispiel das schreiben gelernt. Ohne Unterricht. Jetzt und nicht zu dem Zeitpunkt, den die Schule bestimmt.
Ich hoffe dieses Buch kann uns bei unserem Entscheid bestärken, denn in der Schweiz ist das Reglement für Homeschooling in jedem Kanton anders und gerade in unserem sind wir die ersten und die Bewilligung haben wir bis jetzt nicht erhalten, weil sie das nicht wollen.
Somit Willkür des Amtes.
Das Gericht hat jetzt zu unseren Gunsten entschieden (im März) doch die Bewilligung haben wir immer noch nicht.
Liebe Grüsse Eva