Lasst die Kinder spielen

IMG_6228Meine Kinder besuchen beide Montessori-Kindergärten. Und ich bin damit mehr oder weniger zufrieden. Als ich vor 3 Jahren den Diplomlehrgang Montessori-Kinderhaus absolvierte, konnte ich mir einfach nichts anderes vorstellen für meine Kinder. Es schien schlüssig und ganz wunderbar, so kindorientiert und respektvoll, dieses Konzept und die Materialien.

Die Umsetzung ist leider oft fragwürdig. Woran es liegt, hat sehr viele Gründe und die will ich hier auch gar nicht beleuchten. Was mir viel mehr Sorgen bereitet, ist das, was ich in letzter Zeit immer wieder beobachte in verschiedenen Gruppen, Foren oder auf sonstigen sozialen Kanälen.

Da werden Bastelideen für Montessorispielzeuge ausgetauscht, und gefragt, was für welchen Entwicklungsstand optimal ist. Und das ist auch gar nicht so verkehrt. Aber immer mehr habe ich den Eindruck, dass Kinderzimmer einem Kinderhaus gleichen, dass Eltern jeden Entwicklungssprung mit einem gewissen Material unterstützen wollen. Viel mehr noch – sie wollen diese fördern, teilweise sogar herausfordern. Weil sie sich Sorgen machen, ein Zeitfenster zu verpassen. Weil das Nachbarskind das alles schon kann. Und weil doch die vielen anderen tollen und reflektierten Eltern das auch tun. So basteln oder kaufen sie verschiedene Arten von Farbmaterial für Zweijährige, Zahlenmaterial für Dreijährige.

Prinzipiell sind diese Materialien nicht schädlich. Natürlich nicht. Sie haben einen pädagogischen Wert und sehen oft noch schön aus. Sie wirken sinnvoller, als das Plastikzeug im Spielzeugladen. Und vermutlich sind sie das auch. Was ich für bedenklich halte, ist die Einstellung, mit der wir unseren Kindern Materialien bereitlegen. Um gewisse Dinge zu lernen, um Fähigkeiten zu erlangen. Schüttübungen für das alltägliche Leben, Steckpuzzle für die Feinmotorik, Farbpuzzle zum erlernen eben dieser, Zahlenstäbchen und Perlen, Buchstabentäfelchen.

All das ist gut gemeint, aber was Kinder in erster Linie machen sollten ist: spielen. Ja klar, das sind Materialien zum spielerischen Lernen. Aber sie haben einen didaktischen Hintergrund. Und wenn die Kinder sie nicht so anwenden, wie geplant, dann wird korrigiert, dann wird neu gezeigt und erklärt oder die Eltern verzweifeln.

„Mein Sohn ist 4 und ich brauche Eure Hilfe. Er mag nicht malen und wenn er malt, tut er das mit Faustgriff (obwohl er vor kurzem schon mit dem richtigen Fingergriff gemalt hat). Ich hab schon folgendes probiert: auf Sand malen, unterschiedliche Stifte anbieten. Das einzige was ihn noch motiviert sind Tiermasken zum Ausmalen, aber trotzdem macht er das mit viel Gemecker und eben dem Faustgriff. Was soll ich tun?

Die Frage ist doch: Warum muss ein Kind malen? Und warum geraten wir in Stress, wenn ein Entwicklungsschritt ausbleibt, sich verzögert? Wo bleibt das Vertrauen in unsere Kinder? Ein Nachteil des großen weiten Internets und den unzähligen Gruppen und Foren, in denen man schöne Anregungen, aber leider auch viel Verunsicherung findet.

Unsere Kinder sind – in welchen Kindergärten auch immer – tagtäglich didaktisch und pädagogisch gefordert. Sie müssen sich anpassen und gewissen Regeln folgen. Sie lernen viele Dinge, manche unbewusst, vieles wird ihnen bewusst beigebracht. Sie haben gewisse Vorgaben zu erfüllen, die die lokalen Bildungspläne vorschreiben. Wenn sie dann nach Hause kommen, sind sie müde und erschöpft. Sie wollen einfach nur sein. Lassen wir sie. Geben wir ihnen Spielsachen, mit denen sie frei und unbefangen spielen können. Mit denen sie nichts sollen außer einfach nur spielen. Offenes Material ohne didaktischen Hintergrund, ohne Lernziel, ohne Erklärung, Begleitung und Beschreibung. Ohne Falsch oder richtig. Einfach nur frei.

Denn fakt ist: Kinder lernen Farben überall. Beim Spielen mit Autos oder Bausteinen, beim Essen von Obst und Gemüse, Auf der Straße, im Supermarkt. Zählen lernen sie in den Gesprächen mit uns, Lesen lernen sie, indem sie beginnen Buchstaben zu erkennen und uns dann, wenn sie es wollen, fragen: „Mama, was steht da?“ „Papa, welcher Buchstabe ist das?“ Feinmotorik üben sie, indem sie die Krümel vom Tisch oder Kieselsteine aus dem Sand picken, Schüttübungen können sie machen, wenn wir ihnen vertrauensvoll kindgerechte Gläser und Krüge zum Essen hinstellen, anstatt Plastikbecher und Geschirr. Übungen des täglichen Lebens lernen sie im täglichen Leben. Und unzähliges mehr lernen sie aus Büchern, die sie mit uns gemeinsam anschauen, wobei nicht nur der natürliche Drang nach Wissen, sondern gleichzeitig das Bedürfnis nach Nähe und Zuneigung befriedigt werden.

Aber wenn die Kinder keinen Montessori Kindergarten besuchen, warum soll ich ihnen zu Hause nichts anbieten, was es dort gibt? 
Ich kann das tun, ja. Aber ich sollte dabei hinterfragen, was meine Haltung, meine Erwartung ist. Und vor allem, am allerwichtigsten (und was eben in vielen Kindergärten untergeht) sollte ich dabei mein Kind beobachten und mich fragen: Wo steht es gerade, was braucht es gerade und was mag es gerade? Wie kann ich ihm etwas bieten, was ihm Freude bereitet und womit es auch anders und frei spielen kann. Bleibt bei Euren Kindern, egal was ihr kauft oder bastelt.

Habt Vertrauen in Eure Kinder. Sie werden sich entwickeln, und sie tun das besser, je weniger wir darin Einfluss nehmen. Je weniger wir bieten und erwarten. Seien wir bereit, da, wenn sie etwas brauchen und ihre unzähligen und unermüdlichen Fragen an uns richten. Aber lassen wir sie um Himmels Willen bitte einfach Kind sein und spielen.

 

 

 

 

Dieser Beitrag hat 7 Kommentare

  1. ann-ka

    danke!!!! tolle gedanken zum weiterdenken.

  2. Sandra HH

    JA, du hast so Recht. Alle Kinder entwickeln sich – in ihrem Tempo und das Lernen und Entwickeln hört zum Glück nie auf!!!

  3. elisabeth

    wunderbar, danke wieder mal! :-)

  4. Sarah

    Dazu passt vielleicht die Pädagogik von Rebeca Wild – die von Montessori inspiriert noch einen weiteren Schritt in Richtung Freiheit und Vertrauen geht.

    Ich erinnere mich daran, dass meine Kinder jegliches Montessori-Material in ihr freies Spiel einbauten und fast nie dazu verwendeten, wofür es vorgesehen war. :-)

    1. buntraum

      Ja, die Gedanken von Rebecca Wild mag ich auch sehr gern. Ich finde eben wirklich, dass sie im Kleinkindalter noch unbedingt sehr viel Freiraum im Spiel brauchen und wenig Anleitung.

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