Hausgeplauder I Der begehbare Adventkalender

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Kurz nach dem Einzug vor einem Jahr sagte ich zu einem Nachbar: „Wir brauchen einen Tag der offenen Tür. Ich würde so gern mal alle Wohnungen sehen.“ Darauf sagte er: „Ich hab ne bessere Idee: Wir machen zu Weihnachten einen Adventkalender, bei dem sich jeden Tag eine echte Türe öffnet.“ Ich war begeistert und 11 Monate schlummerte die Idee in mir, bis wir sie endlich umsetzen konnten.

Im November schrieb ich einen Doodle aus für alle, in dem sie eintragen konnten, an welchem Tag sie ihre Türe aufmachen würden. Der Doodle war in nullkommanix voll. Von der Idee alle begeistert und irgendwie – so schien es – alle hungrig nach ausschließlich sozialen Kontakten. Ohne Arbeitstreffen, ohne Dinge besprechen zu müssen. Ohne Agenda. Denn dieses erste Jahr hier im Haus, das hat uns Energie gekostet. Ach, eigentlich hat es das seit Beginn der Planung des Projektes. und immer sprachen wir: „Wenn der Wettberwerb mal gewonnen ist, dann machen wir Pause.“ Doch dann mussten wir schnell die Gruppe erweitern. Dann glaubten wir, dass wir mit 40 statt 14 Leuten ja endlich weniger Arbeit hätten. Doch es ging an die Wohnungsplanung und Einreichung. „Nach der Einreichung wird’s ruhiger werden.“ Doch dann…. Irgendwann glaubten wir selbst alle nicht mehr daran, dass es irgendwann ruhiger werden würde. Wir irgendwann weniger zu tun, zu überlegen, zu besprechen, zu beschließen hätten. Aber das erste Jahr im Haus, das toppte wohl alles. Es ging nicht mehr nur um Planung und Überlegung. Wir standen vor wirklichen Problemen, vor Tatsachen und vor allem vor großen Themen, die so ein Haus mit 39 Wohneinheiten mit sich bringt. Es war keine leichte Aufgabe. Wir mussten organisieren und handeln, mussten schnell entscheiden und uns Wissen aneignen, das uns völlig fremd war. Liftwartung. Lüftungsanlagen. Brandschutz. Sicherheit. Hausverwaltung. Gästeapartmentvermietung. Veranstaltungsraumverwaltung. Und nebenbei sollte unsere Gemeinschaft weiter bestehen. Es war eine Herausforderung.

Und so kam dieser Advent mit seinem begehbaren Adventkalender für viele wie ein Erholungsurlaub. Endlich einmal zusammensitzen und einfach nur gemütlich sein. Punsch trinken. Kekse essen. Blödsinn tratschen. Lachen. Singen. Und vor allem: Anderen Menschen im Haus begegnen, mit denen ich sonst wenig zu tun habe. Die nicht in meinen Ags sitzen, die einen so anderen Tagesrhythmus haben, dass man sie kaum begegnet.

Und so gings am 30. November schon los mit dem ersten Türchen. Denn wir haben mehr als 24 Wohnungen, die wollten wir in 24 Tagen dennoch unterbringen. Es musste ein paar Doppelbelegungen geben, wiederum nehmen aber auch nicht alle teil. Es ist ja schließlich keine Zwangsveranstaltung.
Und seitdem geht es rund. Jeden Morgen spaziere ich ins Foyer und schreibe auf den Kalender, welches Türchen heut geöffnet hat. Und jeden Morgen strolchen die lieben NachbarInnen auf dem Weg in die Arbeit, zum Einkaufen, in den Kindergarten oder zum Joggen um den Kalender und sind gespannt, wer heute die Türe aufhält. Denn den Überblick habe nur ich allein. Wie ein richtiger Adventskalender soll es eine Überraschung sein, welche Wohnung sich hinter welchem Türchen verbirgt.

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Gestern gab es einen freien Abend. Kein Türchen offen. Es hatte sich niemand gefunden. Und es war niemand traurig. Denn um ehrlich zu sein: es ist zuweilen anstrengend, jeden Abend Punsch zu trinken, in Gesellschaft zu sein. Auch wenn es kein Muss ist, so ist es doch fein und lustig. Man mag so gern und wer weiß, wen man heute alles wieder trifft. Und wer hat wohl den besten Punsch? Und ja, ein Abend allein in Ruhe wäre fein, aber ach, so ein Gläschen geht noch. Ein Kekserl… Na los, komm schon. Es ist doch immer lustig…

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Bis zum 23.12. geht es nun durch. Noch 6 Abende. Wer hält durch?

Ich glaube, eines haben wir gelernt: Arbeiten gehen, Alltag leben und ein begehbarer Adventskalender – das ist zu viel. Nächstes Jahr nehmen wir uns einfach alle den Advent komplett frei und feiern jeden Tag den ganzen Tag ein Türchen. Hoch die Tassen!

Dieser Beitrag hat 6 Kommentare

  1. Jela

    Was für eine wunderbare Idee! Das ist so toll!!! Leider nicht überall denkbar… aber die Idee für nächstes Jahr würde ich sofort übernehmen – frei machen und den Advent einfach nur genießen… ein Traum…

  2. Ingrid Scherney

    Ich weiß nicht mehr genau, wie ich das Wohnprojekt Wien entdeckt habe. Jedenfalls bekam ich einige Aktivitäten immer wieder einmal über Facebook mit. Die Idee finde ich ganz toll! Gemeinsam statt einsam, mit Werten wie Nachhaltigkeit, Ressourcenteilung …. Ich habe vor zwei Jahren mit einigen anderen Menschen eine Zeittauschbörse in unserem Bezirk ins Leben gerufen http://wgll.wordpress.com/, in der auch das soziale Miteinander, die Nachbarschaftshilfe im Mittelpunkt steht.
    Dass die Verwirklichung eures Wohnprojektes viel Herzblut, Engagement und Nerven brauchte und weiterhin brauchen wird, steht außer Frage und ist auch in diesem Blogeintrag über den Adventkalender nachvollziehbar. Ich wünsche euch, dass eure Begeisterung und Vision von einem guten Lebens(t)raum weiterhin alle Schwierigkeiten überwindet. Und nach den stressigen Adventkalendertagen ein ruhiges, besinnliches Weihnachtsfest!

  3. Anne

    Sowas haben wir bei uns im Dorf auch: einen lebendigen Adventskalender. jeden Abend öffnet jemand im Dorf (s)ein Fenster, lädt ein zum Singen, liest vor oder spielt Theater. Ich finde das eine ganz tolle Idee und wir sind oft mit unseren Laternen durchs Dorf gewandert und haben uns hinterher bei Punsch und Keksen gestärkt. Und wir waren auch selber Gastgeber – da gab´s dann Bratäpfel vom Grill und ein wunderbares Gedicht von Brecht
    Aber auch hier gilt: alles kann, nichts muss. Wenn´s zeitlich nicht hinhaut, dann eben nicht. Vielleicht findet Ihr ja für nächstes Jahr auch einen anderen weg, zusammen zu kommen :-)

    Herzliche Grüße,
    Anne

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