Heute ist der Tag der Geschwister. Ein Tag, an dem ich mich natürlich an meinen Bruder erinnern könnte und traurig sein könnte, dass es ihn für mich nicht mehr anders gibt als in meiner Erinnerung. Aber ich denke so oder so jeden Tag an ihn, erinnere mich gern an ihn und bin natürlich immer wieder traurig. Aber das bin ich, wenn ich es einfach so aus tiefstem Herzen empfinde. Aber heute nicht. Heute bin ich dankbar, dass ich ihn hatte und lenke meine Aufmerksamkeit auf die Geschwister, die hier neben mir heranwachsen. Herr Klein, Frau Klein, Miniklein.
Dieser gebündelte Haufen Freude, Lachen, Streiten, Schreien, Zwicken, Kichern. Dieser irre Haufen Liebe.
Was diese drei Nasen hier vereint ist tatsächlich eine wunderbare Geschwisterliebe. Natürlich nicht täglich. Nein, natürlich können sie sich auch so richtig schön streiten, anschreien, treten, kratzen, beißen, hauen… Das volle Programm. Egal, wie oft ich sage, dass körperliche Gewalt nicht ok ist. Und letztendlich bleibt dann immer noch die verbale. „Du blöde Scheißkuh!“ Kinderkram, ja. Aber im Moment verletzt es doch.
Doch darüber hinaus gibt es unzählige Momente des plüschigsten Miteinanders. Wenn Herr Klein morgens für Frau Klein ein Frühstück richtet. Wenn sie ihre Spielsachen ausverhandeln wer wann wie damit spielen darf. Wenn sie kichernd „Mutter, Vater, Kind“ spielen. Aber natürlich war das nicht von Anfang an so.
Herr Klein tat sich anfangs sehr sehr sehr schwer mit seiner kleinen Schwester. Natürlich. Er hatte sie nicht bestellt. Doch sobald sie gehen und reden konnte, wurden sie ein Herz und eine Seele. Wir haben ihn nie zu irgendetwas gezwungen. All die romantischen Vorstellungen von dem großen Bruder, der seine Schwester unterhält, der hilft sie zu wickeln oder zu füttern – nichts. Heute sitzen sie kichernd in der Badewanne und setzen das Bad unter Wasser.
Frau Klein kämpft noch immer mit ihrem kleinen Bruder Miniklein. Er ist noch sehr auf uns fixiert und natürlich – da er noch nicht gehen kann – sehr abhängig von uns. Das gefällt ihr gar nicht, das lässt sie sowohl uns als auch ihn spüren. Da drückt sie hier einmal fester zu, alle Spielsachen, die er sucht, entreißt sie ihm gern empört, da beißt sie ihm dort in den Zeh. Und in den Momenten, in denen er schläft und wir Zeit für sie hätten, schreidiskutiert sie um Süßigkeiten. Es ist nicht leicht, es ist offensichtlich, dass es um Miniklein geht. Aber tun können wir nichts. Denn dass sie ihn ja doch mag, dass sie ihn akzeptiert und ihn auch irgendwann herzlich lieben wird – das spüren wir in winzig kleinen Momenten zwischendurch. Dann, wenn wir es nicht merken sollen. Wenn sie mit ihm ihr Eis teilt zum Beispiel.
Geschwisterliebe ist nichts, was man erzwingen kann. Geschwisterliebe muss wachsen und von ganz tief innen heraus gedeihen. Ein „Es ist doch Dein Bruder, Du musst doch lieb zu ihm sein.“ Oder „Jetzt bist Du eine große Schwester, da musst Du ein Vorbild sein.“ bringen rein gar nichts. Im Gegenteil, sie bewirken oft, dass Kinder das Gefühl bekommen, dass sie nicht so sein und empfinden dürfen, wie sie das eben tun. Hingegen kann ein „Es nervt dich, dass wir uns immer so viel um Deine Schwester kümmern müssen.“ Wunder bewirken. Wenn Kinder einmal merken: Sie sehen mich, sie verstehen mich, es ist okay, dass ich so empfinde.“ Dann fühlen sie sich in sich selbst wieder etwas besser und das kann ihnen helfen, auch mit der Situation besser umzugehen zu lernen.
Das wirklich anstrengende und schwere erste Jahr mit Herrn und Frau Klein hat mich gelehrt, dass nur eines hilft: Geduld. Dass dann eine wundervolle Geschwisterliebe heranwachsen kann, die so intensiv und langlebig ist, wie keine andere. Auch über den Tod hinaus. Denn wenn ich an meinen Bruder denke, da spüre ich noch immer die tiefe Verbundenheit. Ich sehe sofort uns zwei Lachen und Kichern. Ich spüre den Zusammenhalt. Das macht das Vermissen nicht leichter. Aber ich bin auch so unendlich dankbar dafür, dass ich ihn hatte in meiner Kindheit. Wir hatten so viele schöne Jahre umgeben von so viel Humor und Blödsinn. Er ist und bleibt in vielerlei Hinsicht mein Vorbild. Aber vor allem mein Bruder, den ich liebe. Immer und immer.
Dass meine Kinder so etwas haben, das finde ich wundervoll. Und ich habe tiefstes Vertrauen, dass sie es sich bewahren können, so wir sie gut begleiten und ihnen immer wieder vermitteln: Das, was ihr empfindet, ist ok. Wie ihr es äußert – da müssen wir manchmal einfach ein Auge drauf haben.
Bei drei Kindern wird sich diese Liebe sicher immer wieder verschieben, verlagern und mal nach hier und mal nach da mehr sein. Aber ich wünsche ihnen, dass sie schlussendlich wissen, dass sie sich haben und aufeinander bauen können. Und ich freue mich unendlich, ihnen dabei zusehen zu dürfen.
Mehr über Geschwisterliebe und vor allem auch den Umgang mit schwierigen Geschwistersituationen könnt Ihr in meinem Buch „Hand in Hand – Geschwisterbeziehungen verstehen und begleiten“ lesen. Und wer es schon hat, der darf mir gern eine Rezension auf amazon schreiben.