Unlängst hatten Herr Groß und ich eine eher bescheiden gute Woche. Bei ihm in der Firma ging es drunter und drüber, was uns beide ziemlich beschäftigte. Obendrein waren die Abende von einigen Wohnprojekt Sitzungen „geblockt“, so dass wir uns etwas abhanden kamen. Ich wartete sehnlichst auf Freitag und etwas Gemeinsamkeit. Doch Freitagabend rief ein Kollege von Herrn Groß an und wollte spontan mit ihm auf ein Bier gehen. Ich war nur wenig begeistert, aber ein Satz sagte mir deutlich, dass ich Herrn Groß nicht hätte abhalten können: „Das ist mir jetzt wirklich wichtig.“
Denn das war es ihm. Dringend wollte er mit dem Kollegen die Geschehnisse in der Firma besprechen. Er sagte das auch gar nicht genervt oder rechtfertigend. Einfach nur bestimmt. Es war ihm wichtig. Punkt.
Ich bin diese Art von Kommunikation aus meiner Familie nicht gewohnt. Was ich kenne, sind ewiges Betteln und mehrmaliges Nachfragen. „Na was ist nun. Sollen wir das machen?“ Anstatt zu sagen: „Ich möchte gern… Weil…“ „Ich würde mir wünschen dass… Weil…“
Aber so sind die Reaktionen dann meistens ein langfristiges Grummeln, unzufriedenes Brummen und ein am Ende genervtes „Ok dann.“ Anstatt zu sagen: „Nein, ich würde gerade lieber… Weil…“
Diese Art von Nicht-Kommunikation wird in meiner Familie heute noch so gelebt. Und sie ist mühsam. Zermürbend. Wie oft denke ich mir „Kannst Du nicht einfach sagen was Du willst??? Oder was nicht???“
An dem besagten Abend mit Herrn Groß fiel mir auf, dass viel zu viele Ängste unsere Kommunikation bewachen. Dass wir uns nicht klar ausdrücken aus Angst andere zu verletzen. Oder selbst verletzt zu werden. Abgelehnt zu werden. Und Ablehnung ist etwas, was uns verletzt. Weil wir nie gelernt haben, damit umzugehen. Dabei geht es doch gar nicht immer um uns und die Ablehnung unserer Person. Es geht – wieder einmal – um die Wahrung der eigenen Grenzen. Um das Erkennen und Akzeptieren der eigenen Bedürfnisse. Gegenseitig. Im Wechselspiel.
Kinder sind dabei – wieder einmal – die wunderbare Möglichkeit, genau daran zu arbeiten. Denn auch sie brauchen eine klare – gewaltfreie – Kommunikation. Herr Klein lieferte dafür neulich das Paradebeispiel: Wir waren am Land bei den Schwiegereltern. Er wollte, dass ich mit ihm mitkomme nach draußen. Ich hatte überhaupt keine Lust und obendrein gerade Frau Klein im Arm. Ich war dabei, sie ins Bett zu legen, stattdessen nutzte ich sie als Vorwand und sagte „Du ich muss erst noch mit Frau Klein brabbel brabbel.“ Ich weiß gar nicht mehr genau, was ich sagte. Er fragte wieder „Mama, kannst Du mitkomm?“ wieder sagte ich: „Ich hab grad noch Frau Klein…“ Als er zum dritten Mal fragte, merkte ich schon, dass ich mich hier nur selbst hinters Licht führte und sagte einfach: „Nein.“ Er antwortete fröhlich „Ok.“, drehte sich um und lief allein nach draußen. So klar. So einfach.
Wir scheuen uns vor Ablehnung und trauen sie deshalb auch unseren Kindern oft nicht zu. „Ich muss aufs Klo.“ „Ich muss noch Wäsche machen.“ „Ich will erst…“ All das, was ich im Post über die Erleuchtung schon beschrieb. Ausreden und Hinhalten, statt Klarheit und Ehrlichkeit. Dabei würde es uns auch im Leben so viel weiterbringen. Den Freunden mal zu sagen, dass es uns wirklich viel bedeuten würde, wenn sie an diesem Ereignis dabei wären. (Ich denke da z.B. an meine Diplomverteidigung, zu der ich meine engsten Freunde als mich ermutigend anlächelnden Balsam einlud). Wenn wir Kollegen sagen könnten, dass wir leider wirklich keine Zeit / Ressourcen haben, ihnen einen Teil Arbeit abzunehmen, anstatt uns selbst noch mehr aufzuladen. Wenn wir akzeptieren könnten, dass unser Partner uns immer noch liebt, auch wenn er den 4. Abend die Woche lieber unterwegs ist, als bei uns daheim.
Aber auch wenn wir das wissen, so fehlt uns oft das Handwerk dazu. Gerade Sätze wie „Ich würde mir wünschen, dass…“ oder „Es ist mir wichtig, dass…“ fehlen so oft in unserer heutigen Kommunikation untereinander. Da wird Ablehnung verletzt hingenommen. Persönliche Grenzverletzungen weggeschwiegen. Aber diese Sätze kann man niemanden lehren und auch nicht auswendig lernen. Da hilft nur sie immer wieder ins Gedächtnis zu rufen. Diese Sätze bewusst einzusetzen, so, wie eine neue Vokabel in einer anderen Sprache. Bis sie ganz automatisch Teil des Wortschatzes ist.
Und dann schaffen wir es auch, unseren Kindern diese Kommunikation, aber auch die innere Haltung dazu – nämlich das bewusste Beachten unserer Bedürfnisse und Grenzen – natürlich und authentisch vorzuleben. Eine Haltung, mit der sie gestärkt in die Welt gehen können. Durch die, begleitet durch die Kommunikation, die sie mittragen, sie die Möglichkeiten kennen, abzulehnen, was sich nicht gut anfühlt. Und damit umgehen können, abgelehnt zu werden. Wenn sie klar äußern können, was sie wollen. Und was nicht. Und dann brauche ich mich auch nicht zurückgewiesen fühlen, wenn Herr Klein morgens auf dem Stiegenabsatz ruft: „Mama ich brauch gar kein Bussi. Komm Papa, geht los!“ Dann kann ich nur lächeln und hoffen, dass er sich diese (noch kindliche) Klarheit und Ehrlichkeit bewahrt.
danke. die nicht-kommunikation ist gerade auch mein thema, an dem ich arbeiten will…