Weitergehen

IMG_5731Heute morgen wurde das Daumenlutschen von Herrn Klein mal wieder kommentiert: „Na, bist Du nicht schon zu alt dafür?“ Ich lächelte Herrn Klein an und schob ihn in den Bus, der uns vor die Nase fuhr. Wir waren auf dem Weg ins Krankenhaus und das Daumenlutschen für ihn unabdingbarer Halt.
Eine Weile überlegte ich an einer passenden Antwort, und als ich diese („Sind Sie nicht ein bisschen fremd, sich da einzumischen?“) auf Twitter postete, erhielt sie enorm viel Zuspruch. Aber nein, ich habe sie nicht ernsthaft ausgesprochen. Und das ist auch gut so.

Warum ich meistens nicht reagiere liegt zum einen eben an jener zu langsamen Konterfähigkeit. Andererseits habe ich auch immer weniger das Bedürfnis mich zu rechtfertigen. Die Menschen, die uns in irgendeiner Weise bewerten, sind selten an ernsthaften Diskussionen oder Erklärungen interessiert. Sie bekunden lediglich ihre Meinung, nach der sie selten jemand gefragt hat. Es kann also – auf beiden Seiten – nur zu Unmut, Ärger, Frustration, ja sogar Wut oder Tränen führen, hier in Diskussionen und Rechtfertigungen einzusteigen.

Das ist meiner Meinung nach Energieverschwendung. Viel wichtiger ist doch, dass man bei sich und – in dem Fall – seinem Kind bleibt. Wer nämlich in irgendeiner Art und Weise von irgendeiner Norm oder alteingesessenen Vorstellungen abweicht – sei es, weil das Kind „zu lange“ gestillt wird, verwöhnt wird, „zu viel“ getragen wird, mit 3 noch Windeln trägt oder oder oder – muss damit rechnen, dass ungebetene Kommentare zu ihm geflogen kommen. Über diese kann man sich immer und immer wieder auslassen, an möglichen Antworten feilen und damit unsagbar viel schlechte Laune herumschaukeln. Aber man kann diese Leute nicht alle zum Schweigen bringen. Es wird sie immer geben. Diese Menschen und diese Kommentare.
Wenn ich also all dies (nicht) tue, was ich (nicht) tue, weil ich voll und ganz, 100% hinter dem stehe, was ich tue und nicht tue, brauche ich mich nicht zu rechtfertigen. Nicht dafür, dass mein Kind nicht ohne meine Hand einschläft, nicht dafür, dass es mit xy Monaten noch immer nichts Festes essen will und nicht dafür, dass es mit 3,5 noch am Daumen lutscht. Nein, ich kann einfach mein Kind anlächeln und ihm die Unterstützung geben, die es in dem Moment braucht – Zustimmung, dass es ok ist, so wie es ist. Und mit dem, was es tut.

Es hat natürlich eine Weile gedauert, bis ich dahin gekommen bin, wo ich bin. Und – wie man an meinen morgendlichen Überlegungen sieht – bin ich noch immer auf dem Weg und nicht ganz da. Aber ich habe bereits einen wundervollen Nebeneffekt gespürt: Ich kommentiere ebenso wenig. Ich werfe keine wertenden Kommentare mehr ab. Weder im realen Leben, noch in sozialen Netzwerken. Wenn andere Eltern da oder dort von Dingen erzählen, die ich komplett anders machen würde, nehme ich das wahr. Aber es steht mir nicht zu, dies zu bewerten. Hingegen beobachte ich immer mehr, wie eben genau diese Kommentare von anderen zu Verwirrungen, Unsicherheit und hetzigen Diskussionen führen. Auf Grund ihrer sehr holprigen Anfänge jedoch selten fruchtbar und achtsam enden.

Ich kann also nur raten solche Kommentare zu überhören. Über die Menschen hinweg das eigene Kind anzulächeln und mit ihm in Beziehung zu bleiben. Weil es immer da ist, während die Fremden bereits kopfschüttelnd um die nächste Ecke gebogen sind.

Dieser Beitrag hat 3 Kommentare

  1. Schani

    Mein Sohn hat sich mit seinem Daumen getröstet und beruhigt bis er 6 Jahre alt war. Und wir haben das nie verhindern wollen, im Gegenteil: eigentlich hab‘ ich fast noch ein bißchen nachgeholfen, als er noch ein sehr kleiner Mensch war… weil ich dachte, das ist doch viel praktischer als ein Schnuller, den man immer suchen muss und der ständig rausfällt.
    Ja, und wir fanden es immer beruhigend, dass er sich selbst mit dem Daumen trösten konnte. Ist das nicht wunderbar?
    Und er hat keinen schiefen Kiefer davon bekommen. Die Kinderärzting, ganz relaxed, meinte auch nur ganz trocken: „Zahnschiefstand kommt nicht unbedingt vom Daumenlutschen. Er kann oder kann nicht kommen, es ist eher eine Sache der Veranlagung. Und wozu haben wir denn heute so viele Kieferorthopäden?“ ;).
    Aber wie gesagt, unserem Sohn hat’s nicht geschadet. Ganz im Gegenteil!

    Liebe Grüsse,
    ich lese sehr gerne in deinem Blog

Schreibe einen Kommentar