Warum hören die nicht?

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Wir haben das lange Wochenende auf einem Reiterhof verbracht. Da waren wir natürlich nicht die einzigen Familien. Und so sehr ich mich auch bemühe den anderen Eltern nicht zu begegnen und ihr Elternsein nicht zu bewerten – die Kinder begegnen sich ja doch und Kontakt und Beobachtungen bleiben nicht aus.

Ein Mädchen war meistens mit beim Essen, wenn wir es waren. Sie war aufgeschlossen, neugierig und ja, resolut. Wenn sie etwas wollte, nahm sie es. Im Notfall auch unter Körpereinsatz. In den Augen vieler wäre sie wohl als eines der „unerzogenen“ oder „schlimmen“ Kinder betitelt und beschubladet worden.

Was mich – womöglich immernoch die Nachwirkungen des Piklerkurses spürend – beschäftigte, war die Frage nach dem Warum. Denn einem Kind zu sagen, es müsse fragen, bevor es ein Spielzeug nimmt, anstatt es wegzunehmen, empfinde ich ab einem gewissen Alter als verlorene, überflüssige Liebesmüh. Womöglich hat nämlich dieses Kind auch schon 1000x diese Belehrung erfahren. Warum aber handelt es nicht entsprechend?

Ich glaube dafür gibt es zwei Gründe.

Vorbildwirkung
Kinder orientieren sich an uns, sie ahmen uns nach und tun, was wir tun und nicht immer, was wir sagen. Wenn Kinder nicht gebeten werden, etwas zu tun, sondern nur Befehle und Kommandos hören – wie sollen sie selbst Bitten und Höflichkeit in ihren Wortschatz und vor allem auch Sprachgebrauch aufnehmen? Schließlich lernen wir eine Sprache nicht nur über Vokabeltraining, sondern auch über Kommunikation und Kultur.

Zutrauen von Frust und Ärger
Viele Eltern – mich bis dato einbegriffen – mögen nun sagen: „Ich bitte meine Kinder, ich lebe es ihnen vor. Dennoch verwenden sie es nicht.“ Dafür kann es einen weiteren Grund geben: die Kinder haben Angst vor einem Nein als Antwort. Warum um ein Spielzeug bitten, dass ich dadurch womöglich nicht bekomme? Was für ein Ärger, den ich doch gleich umgehe, indem ich nehme, was ich brauche.
Warum aber fürchten die Kinder die Zurückweisung? Nicht selten, weil wir als Eltern ihnen nicht zutrauen, dass sie genau damit zurecht kommen können. Weil wir von Anfang an schauen, dass die Kinder zufrieden sind. Ihnen versuchen zu geben, was sie wollen, bei jedem Ruf eilen. Ohne das überspitzt zu meinen – auch ich bin in diese Falle getappt. Auch wir haben oft überempathisch versucht jeden Wunsch zu erfüllen. Nicht, weil wir das immer wollten, sondern sehr oft, weil wir mit dem Gejammer, Geweine, Gekreische – den Emotionen der Kinder, nicht fertig geworden sind. Weil sie uns zu viel waren, zu anstrengend. So unerträglich schienen. Für alle. Wenn wir einmal ehrlich sind – wie oft geben wir unseren Kindern etwas, helfen ihnen, richten für sie, weil ihr Frust, ihr Ärger in unseren Ohren so schmerzhaft ist. Fakt ist aber – je mehr wir ihnen zugestehen, dass sie damit zurechtkommen werden, wir sie damit nicht allein lassen, sie aber auch nicht sofort davon befreien werden, umso besser können sie damit umgehen. Und umso mehr sie spüren, dass sie sich dabei auf uns als Stütze verlassen können, umso weniger werden sie eben jene Emotionen fürchten.

Nun bin ich ja nicht ganz naiv. Ich weiß, dass meine Texte hauptsächlich Menschen lesen, die dafür offen sind, die das verstehen (wollen) und bereit sind für Gedankentwists. Und dass oft die, die es „brauchen könnten“, keinerlei Interesse haben an solchen Inputs. Was also kann man tun, wenn man solchen Kindern begegnet? Die häufigste Reaktion ist Zurechtweisung und Ausschluss. Allerdings ist das ja eben genau das, was sie oft daheim erfahren. Was wir geben können ist das, was ihnen fehlt. Kommunikation. Wahrnehmung. Sprache. „Du wolltest das Spielzeug gern haben. Er braucht es aber noch dringend. Finden wir vielleicht etwas anderes für Dich?“

Es wird sicher nicht immer fröhlich angenommen. Aber darum geht es auch gar nicht wirklich. Vielmehr geht es um die Wirkung unserer Art, unserer Haltung. Dass diese Kinder spüren: Die Welt ist nicht nur so – sie geht auch so. Wenn wir solche Wirkung nur hin und wieder erzielen können, ist mehr getan, als wenn wir versuchen zu erziehen, wo andere Erziehung längst nicht mehr greift.

Wir können die kleinen Bäume nicht mit großziehen. Aber wir können Raum machen, dass auch auf sie etwas Licht fällt.

Dieser Beitrag hat einen Kommentar

  1. Meeresrauschen

    Liebe Nadine, du schreibst mir aus der Seele. Unser Sohn ist sehr willensstark, er akzeptiert schlecht ein Nein und weil ich es für mich so anstrengend finde, wenn er zetert, lasse ich ihm oft seinen Willen. Ich weiß genau, wie falsch es ist. Weiß, dass ich konsequenter sein sollte. Aber es ist so anstrengend. Besonders wenn wir Abends am Tisch sitzen. Ein ewiger Teufelskreis.
    Viele Grüße,
    Kathrin

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