Schritt, Atemzug, Besenstrich :: Wenn alles auf einmal kommt

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Kinder sind ja die Meister des „Im Moment seins“. Selbst im größten Stress schaffen sie es, sich in Seelenruhe den Kieselstein anzusehen oder den Schnürsenkel zu besingen. Uns Eltern gelingt das meistens überhaupt nicht. Dabei ist es irgendwie doch die Zauberformel für Gelassenheit.

Am Wochenende hat sich der große Le seinen Vorderzahn halb abgespalten. Das sind Momente, in denen wir schnell die Nerven schmeißen und panisch werden. Da ist Blut, das Kind schreit oder weint und nach und nach sickert uns ein, was da grad passiert. „Wäre ich nicht mit dem Scooter…“ fängt das Kind an zu heulen. Ich halte ihn fest. „Das bringt jetzt nichts. Es ist jetzt so, wie es ist. Damit müssen wir jetzt umgehen.“

Am nächsten Tag muss er also in die Uniklinik. Ich fahre hinterher, will dabei sein, wenn er da wurzelbehandelt werden muss. Doch kaum bin ich im Krankenhaus angekommen, klingelt mein Handy. Frau Klein hat sich in der Schule übergeben und muss abgeholt werden. Ich nehme also die nächste Straßenbahn zurück und eile in die Schule.

Klar tauchen die alten Programme auf. „Wäre ich gar nicht ins Krankenhaus gefahren. Der Mann war ja eh dabei. Dann bräuchte ich nicht so lange zurück zu Schule.“ Doch was bringt’s. Ich sitze also in der Straßenbahn und schließe die Augen. Das ist einer dieser Momente, denke ich. Das ist doch alles eine Mistkacke, denke ich. Wieso muss das alles auf einmal passieren. Denke ich schon nicht mehr. Das ist jetzt so. Atmen. Da kann ich jetzt nichts machen, nur da sein. Fokus auf das, was grad passiert. Das Kind aus der Schule abholen, auf den Arm nehmen und heim tragen. Fokus.

So wie gestern auch, als Frau Klein sich dann nochmal kräftig vom Hochbett hinunter übergab. Im Moment bleiben. Das Kind aus dem Zimmer tragen. Wischer holen und Boden wischen, im Halbdunkel, denn der kleine Bruder soll ja nicht aufwachen. Das Bett abziehen, dabei das Kind im Auge behalten, trösten. Das Bett neu beziehen und die versaute Wäsche in die Waschküche bringen. Matratze auf den Balkon. Kind ins Schlafzimmer umverfrachten. Eins nach dem anderen. Einfach tun.

So oft verfangen wir uns im Jammern, im Schimpfen, im Verzweifeln. Im „Wieso ausgerechnet heute?“ oder „Wieso passiert mir das alles?“ und natürlich nicht zu vergessen „Hätten wir doch besser…“

Bringt alles nichts. Das einzige, was wirklich hilft, ist der Moment. Ja, das ist jetzt anstrengend. Das ist anders, als ich mir den Tag vorgestellt habe. Und nein, das heißt nicht, dass ich nicht mehr schimpfen darf. Ich darf einfach jetzt im Moment einsehen, dass das wahnsinnig anstrengend ist. Kräftezehrend. Für mich und für die Kinder. Aber es heißt nicht, dass wir uns in diesem Gejammer verlieren müssen. Denn das kostet uns noch mehr Energie. Negative Energie. Das macht ja die Situation auch nicht besser.

Ich merke, dass ich so mit stressigen Situationen immer besser umgehen kann. Weil ich mich nicht mehr mitreißen lasse in den Strudel, den Gedankenirrsinn, das Chaos aus Sorge, nicht mitzukommen. Weil mich alles auf einmal überrennt. Ich halte lieber einmal kurz inne, richte meinen Fokus wieder neu aus und tue, was ich tun kann. Eines nach dem anderen. Schritt. Atemzug. Besenstrich. So wie Beppo, der Straßenkehrer in Michael Endes „Momo“. Und so habe ich es auch im mbsr Kurs gelernt. Und es hilft. Sehr sogar.

Le trägt nun eine Schiene über seinen Vorderzähnen, damit alles wieder gut verheilt und kein Zahn ganz ausfällt. Er hat das tapfer ausgehalten alles. Seine Schwester hat ihren Magenvirus scheinbar auch gut verdaut. Ich habe letzte Reste davon nun auch auskuriert. Der Alltag wird sich wieder einstellen. Und wenn er da ist, darf ich mich kurz freuen und Schritt für Schritt kehren.

Am Ende wird alles gut. Und darauf freue ich mich immer heimlich, auch wenn ich versuche im Moment zu bleiben. Zumindest ist es ein zuversichtliches Abschweifen. Das darf auch sein.

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