Man kennt das ja, wenn man sich freut, wie routiniert einem etwas von der Hand geht. Oder wie routiniert ein Kind schon etwas kann. Naja, geht es dabei um motorische Fähigkeiten, so mag das ja gut sein. Sobald aber der Geist gefordert ist, halte ich Routine für gefährlich, sehr gefährlich.
Als man uns nach der Diagnose von Herrn Kleins Herzfehler immer wieder sagte, dass diese OP letztendlich ja ein Routineeingriff sei, war ich nie wirklich beruhigt. Gerade wenn etwas so routiniert ist, verlässt man sich gern darauf, dass man das ja drauf hat, dass es flutscht und fast von selbst geht. Das will man dann doch nicht hören, wenn das Herz des Kindes stillgelegt und aufgeschnitten wird. Ja letztendlich ging doch alles gut während der 6 Stunden dauernden Operation.
Was danach gar nicht gut ging, war die Routine auf der Station. Wo Schwestern gestresst umherliefen und ernsthaft besorgte Eltern um jede Information und Unterstützung selbst kämpfen mussten. Wo die Informationen, die kamen, einem wie wilde Pfeile um die Ohren flogen, gespickt mit kleinen Fetzen aus medizinischen Vokabelheften. Unverständlich und überfordernd für Mütter, die ihr Wochenbett auf der Herzstation verbrachten, für Väter, die zwischen Job, krankem Kind und halb wahnsinniger Ehefrau schwankten.
So routiniert wie die Abläufe waren, so unpersönlich und hektisch wurden sie gelebt. Jeder Tanz aus der Reihe war zusätzlicher Stress. Für alle Beteiligten.
Beim Kinderarzt nichts Neues. Das kennen wohl alle, die der allgemeinen Betriebskrankenkassen anhängen und sich keinen privaten Arzt mit ruhigen atmosphärischen Wartezimmern, die man kaum streift, weil man gleich drankommt, leisten können. Stattdessen steht man dort zur ersten Mutter-Kind-Pass-untersuchung nur wenige Tage nach der Geburt mit seinem kleinen Wesen und ziehenden Dammrisswunden am Schalter und buchstabiert den eigenen Namen, den des Kindes, die gesamte Adresse und bei etwas Pech noch die ganze Großfamilie und alle Bezirke Wiens dazu. Danach sitzt man, endlich. In einem Raum voller kranker und nichtkranker Kinder, genervter Eltern und höchstmotiviert umherfliegenden Viren und Bakterien. Endlich der Aufruf. Jetzt ists bald geschafft. Denkt man. Stattdessen beginnt nun der richtige Stress. Ein Arzt, der routiniert (!) zwischen zwei Behandlungszimmern navigiert, an zwei Computern zwei Patienten ins System hackt, Rezepte tippt, Herzen abhorcht, Hüften schallt, Hoden prüft und mütterliche Hände schüttelt. Wenn überhaupt. Alles Routine. Läuft ja auch alles. Das Wartezimmer bummvoll, damit genug Geld reinkommt.
Eine Freundin besichtigte auf der Suche nach einer geeigneten Krippe für ihren Sohn verschiedene Einrichtungen, wobei sie in Gespräche mit PädagongInnen verstrickt wurde, die sie im Traum nie angedacht hätte. „Ja wissen Sie, nach 30 Jahren in dem Beruf hat man manchmal auch einfach keinen Bock mehr.“ Danke. Auf Nimmerwiedersehen. Menschen, die unsere Kinder betreuen, eine neue Generation ins Leben begleiten. Menschen, die stattdessen dem Alltag, der Routine, der eigneen inneren Lähmung zum Opfer gefallen sind.
Ist das das Ziel, wenn man einen Beruf wählt, der mit Menschen zu tun hat? Dass man eine Routine entwickelt, die so viel Fließbandarbeit ermöglicht, dass man vergisst, dass das keine Zahlen, keine Betonklötze sind, sondern Menschen?
Der traumhafte Gedanke ist, dass man Kinderarzt wird, weil man Freude an Kindern hat, einen guten Zugang zu ihnen, einfühlsam, sensibel und empathisch ist. Die Realität ? Zumindest bei den Kassenärzten ernüchternd. Ebenso beim Pflegepersonal im Krankenhaus. Bei KinderbetreuerInnen. Bei der kassenärztlich verschriebenen Physiotherapie.
Ich wünsche mir, dass ich keine Routine finde. Jedenfalls keine, die meine Tage und Wochen im Leben 2.0 so vereinfacht, so gleich aussehen lässt, dass ich diese Freude, diese Motivation und Begeisterung, die ich momentan empfinde, auf der Strecke verliere.
Ich freue mich darauf, dass jeder Mensch, der mir beruflich im Leben 2.0 begegnet, anders ist, einzigartig, neu. Und dass ich nun, anstatt ihnen mit routinierten Arbeitsabläufen ganz individuell entgegentreten darf. Sogar soll. Keine exceltabelle, keine Maschine, kein Script kann mir die Arbeit erleichtern. Und darüber bin ich jetzt schon froh.
Hallo. Ich habe deinen Blog heute erst empfohlen bekommen und bin nun ganz am Anfang, ihn zu lesen, aber jetzt schon begeistert :)
Diesen Eintrag muss ich nun quasi kommentieren. Ich bin selbst Krankenschwester und arbeite mit – unter anderem – herzkranken Kindern. Ich habe vor meiner Mutterschaft schon versucht, Erlebnisse wie die von dir geschilderten zu vermeiden. Aber nun, da ich selbst so einen Zwerg zu Hause habe, kann ich erst wirklich nachvollziehen, was das mit Eltern machen muss :( Bald gehts für mich beruflich wieder los und ich hoffe, ich kann weiterhin den ein oder anderen Lichtblick in die Routine zaubern :)
Hallo Janine,
danke für Deinen Kommentar. Es ist natürlich schön zu sehen, wenn meine posts auch genau da ankommen, wo sie hinzielen.
Mir ist natürlich bewusst, dass auch oft die gegebenen Rahmenbedingungen passen müssen (also gerade hier im KH war es Personalmangel und so). Aber gewisse Dinge gehen einfach gar nicht. Und so ein Lichtblick in die Routine gezaubert geht ja auch einen langen Weg und bringt oft zumindest ein wertvolles Lächeln zurück :)
Danke!