Die gute Seite des schlechten Gewissens

IMG_0795Heute musste Herr Klein mal wieder ins Krankenhaus, weil sein Zeh sich entzündet hatte. Er hatte sich letzte Woche eine Tür drüber gezogen und nun tat ihm der Zeh weh. Die Hausärztin, die uns überwies, hatte mich gewarnt, dass sie wohl den Zeh betäuben und reinigen müssten. Keine leichte Sache, schon gar nicht für unseren kleinen Bruchpiloten mit Arztphobie. Und ich mit beiden Kindern allein. Also rief ich den Liepsten an, der dann schnell die Arbeit verlies und sich auf den Weg ins KH machte. Als er ankam, waren wir bereits im Untersuchungszimmer. Ich hatte bereits die Untersuchung mit beiden Kindern ganz gut und ohne gröbere Schwierigkeiten geschupft.

In dem Moment plagte mich das schlechte Gewissen. Dass ich so „dramatisiert“ hatte. Dass der Liepste nun ausgerechnet die Arbeit verlassen hatte. Für nichts. Aber war es wirklich nichts. Waren die letzten Krankenhausbesuche nicht schwierig und dramatisch genug? Die vielen Gipswechsel letztes Jahr, die ich mit zwei schreienden Kindern irgendwie gerade so durchstand, hingen mir einfach noch sehr an.

Das schlechte Gewissen kommt uns als Eltern oft besuchen. Meist klopft es abends an und schleicht sich nicht selten mit in unser Bett. Es hält uns abends wach und grinst uns immer wieder breit an. Tut es uns sonst eigentlich noch etwas gutes? Ist es sinnvoll?

Ich habe da schon oft drüber nachgedacht und glaube, dass das schlechte Gewissen ganz gut sein kann. Wenn wir es denn annehmen und erkennen, was es für uns tun kann.

Reflexion
Ein schlechtes Gewissen dient nicht selten der Selbstreflexion. Immerhin hinterfrage ich in diesen Momenten mich selbst. Habe ich wirklich so reagieren müssen? So handeln? So reden? Dann kann ich die Situation von vorn bis hinten beleuchten. Wichtig ist, dass ich in kein HätteWäreWennUndAber abtauche. Denn das bringt uns nicht weiter. Die Situation können wir nicht ändern. Die liegt in der Vergangenheit. Ich kann aber schauen, was dazu geführt hat, dass die Situation entstanden ist. Und so verlaufen, wie sie verlaufen ist. Ich muss mich dann nicht immer schlecht fühlen für alles. Es kann auch sein, dass so eine Reflexion dazu führt, dass ich erkenne, dass ich gar nicht so schlimm reagiert habe.

Ich hatte mal eine Begegnung mit einer Freundin. Sie begann – wie so oft – über Probleme zu jammern, die ich nicht als Probleme empfand und die mich in dem Moment auch etwas nervten. Weil sie immer wieder besprochen wurden. Im Nachhinein hatte ich erst ein schlechtes Gewissen, dass ich ihr so wenig Unterstützung gegeben habe, so wenig zugehört habe. Doch bei weiterem Nachdenken kam ich drauf, dass ich zu der Zeit selbst meine eigenen Päckchen mit mir herumtrug, diese nie zur Sprache kamen und es eigentlich die Wut darüber war, dass das immer unter den Tisch fiel, die mich so wenig einfühlsam reagieren ließ. Es tat gut, das schlechte Gewissen guten Gewissens wieder abzustreifen. Und meine Wut zu erkennen. Die mich dann in ganz andere Richtungen führte.

Annehmen, was ist
Allzu oft jedoch erkennen wir, dass wir nach wie vor gern anders reagiert hätten. Etwas anderes gesagt oder früher eingegriffen hätten. Mit einem „Hätte“ kommen wir da nicht weiter. Das einzige, was uns hilft, ist also die Annahme dessen, was war. Das fällt uns meist besonders schwer, weshalb ja das schlechte Gewissen, wenn es einmal auf Besuch ist, gern bleibt, bis es stinkt. Umso wichtiger also, dass wir es als Chance sehen, dieses Annehmen zu lernen. Zu akzeptieren, dass es keine Rückreise gibt und wir schlichtweg nur mitnehmen können, was wir für weitere solcher Situationen erfahren haben. Eine Erfahrung, aus der wir lernen durften. Ein Lernprozess.

Klarheit
Dieses Annehmen wird auch unseren Kindern gut tun. Denn was, wenn mein Kind morgens oft weint, wenn ich es im Kindergarten abgebe, ich aber keine andere Wahl habe, als es so früh am Morgen dort abzugeben? Wenn meine Arbeitszeit so gelegt ist und ich keine Möglichkeit habe, den Tag anders zu gestalten? Wenn ich niemanden sonst habe, der mein Kind später dort hinbringen kann? Oder früher abholen? Dann kann mein schlechtes Gewissen mir und meinem Kind im Weg stehen. Wenn ich aber akzeptiere, dass das nun meine Lebensumstände sind, dass es diese Schichten, die Arbeitszeiten, diesen Alltag und diese Lebensphase gibt und ich jetzt im Moment nichts daran ändern kann, dann kann ich das so auch meinem Kind vermitteln. Ja, das fällt Dir schwer und ich mag es so auch nicht. Aber es gibt keinen anderen Weg gerade. Es ist jetzt so. Mit dieser Klarheit wird unser Kind weniger verwirrt sein. Es wird hinter dem täglichen Ablauf nicht mehr unsere Trauer und unser schlechtes Gewissen spüren, sondern merken, dass das eben nun jetzt die Situation ist und sich daran hinkünftig nichts ändern wird. Es wird sich dieser Situation anpassen, so, wie sich Kinder sämtlichen und unmöglichsten Situationen anpassen können. Wenn wir diese klar vermitteln. Und wenn wir die Regeln, die Grenzen und die Gründe dafür klar und deutlich aufzeigen. Ohne Schwankungen, ohne kleinen Engelchen und Teufelchen auf unseren Schultern.

Das schlechte Gewissen darf uns ruhig besuchen kommen, es darf auch kurz bleiben und sich setzen. Aber wie jeder Gast, der sich selbst einlädt, darf es auch zur rechten Zeit wieder gehen. Wir müssen ihm nur das Tor zeigen und die Tür öffnen.

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