Der wohlwollende Blick

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Unlängst hatte ich ein Elterngespräch im Kindergarten wegen Miniklein. Ein ganz normales Gespräch, das ein- bis zweimal im Kindergartenjahr stattfindet. Das ist immer sehr spannend, weil ich ja selbst nicht weiß, was der kleine Zwerg da alles so anstellt und ich ihn nur von daheim kenne. Deshalb war ich auch sehr überrascht über all die Dinge, die mir da erzählt wurden.

Denn Miniklein ist im Kindergarten – so wie seine Geschwister es auch waren – ein ruhiger Zeitgenosse, der eher beobachtet. Er beteiligt sich aber auch am Spiel und lässt sich vor allem eher auf die kleineren Kinder ein. Wenn ein Kind weint, dann bringt er Taschentücher und überhaupt kennt er sich gut aus, mag die Routinen und Abläufe und lacht sehr viel. Daheim kenne ich Miniklein wild und laut. Kleinere Kinder hat er bisher gern umgestoßen, anderen reißt er gern Spielsachen aus der Hand. In meinen Augen war er ein kleiner wilder Rabauke. Gern laut. Sehr laut.

Seit dem Gespräch betrachte ich ihn anders. Ich sehe ihn mit den Augen einer gespannten, überraschten, freudvollen und offenen Mutter. Die ihre Schublade ausgeleert hat und die ganze Kommode auf den Sperrmüll gestellt hat. Weil Schubladen eng und unbequem sind und die anderen beiden da auch längst nicht mehr hinein passten.

Seitdem fällt mir immer öfter auf, wie sehr fixiert mit einer Meinung Eltern ihre Kinder betrachten. Sie schauen sorgenvoll hinterher, ob es sicher nicht wieder irgendwo herunterfällt oder stolpert. Und das Kind hängt in dieser Schublade fest und stolpert oder fällt. Es kann ja nicht anders. Eltern schauen mit hochgezogenen Augenbrauen ihrem Kind hinterher, die Frage des „Was stellt sie denn jetzt wieder an?“ groß auf der Stirn. Und das Kind stellt an. Eltern sind besorgt, weil ihre Kinder so sensibel sind und sich nicht wehren und die Kinder sind ganz unsicher und sensibel. Und die Kinder, die wohl nie gut schlafen werden, schlafen nie gut.

Im Spielraum erlebe ich Eltern, die überrascht werden. Weil ihr Kind dort Dinge tut, die es noch nie getan hat. Weil es über Wochen hinweg jedes Mal aufs Neue die Chance bekommt, ganz es selbst zu sein. Da ist das Kind, das wochenlang schüchtern auf dem Schoß der Mutter sitzt, sich kaum weg traut, schon gar nicht ohne Blickkontakt zur Mutter. Das Kind, das plötzlich aufsteht und in den Raum hineingeht, dass wir fast den Atem anhalten. Da sind Kinder, die ganz sicher und ruhig auf den Dreiecksständer klettern und heile wieder hinunter kommen. Weil die Blicke der Eltern wohlwollend sind. Ihnen vertrauen und zutrauen, dass sie heute anders sind als gestern. Dass sie Dinge schaffen können, die letzte Woche unmöglich waren. Dass sie andere nicht mehr tun, weil sie gelernt haben, dass das schmerzhaft ist oder unangenehm.

Der wohlwollende Blick ist eines der größten Geschenke, die wir unseren Kindern machen können, ohne dabei viel tun zu müssen. Wir müssen einfach nur jeden Abend den Tag verstreichen lassen, dürfen dankbar sein für die Erfahrungen und dem Morgen die Chance geben, ein ganz neuer Tag zu werden. So wie Kinder uns jeden Morgen aufs Neue anstrahlen und uns die Chance geben, die liebevolle Mutter, der achtsame Vater zu sein, der wir vielleicht gestern Abend müde und genervt nicht mehr waren.

Dieser Beitrag hat 2 Kommentare

  1. manu

    Besonders den letzten Absatz finde ich sehr eindrücklich. Du hast völlig recht mit dem, was du schreibst 😊 danke für die Erinnerung!

  2. lena

    Stimmt für mich auch ganz genau so. Danke!

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