Die Hausaufgabe für den mbsr Kurs, den ich gerade mache, sollen wir wenn möglich den Bodyscan täglich machen. Und wie ich da so lag, auf meiner Decke am Boden, und in meine Zehen hinein spüren sollte, hatte ich das dringende Bedürfnis meine Zehen zu bewegen. Wie jedesmal. Bei keinem Körperteil ist das Verlangen des Bewegens so groß, wie bei den Zehen. Und ich ertappe mich jedes Mal bei dem Gedanken „Darf ich das?“
Wie blöd, dachte ich gestern. Was soll daran falsch sein, dem inneren Trieb und Verlangen nachzugehen, mit den Zehen zu wackeln. Zumal es immer dazu führt, dass ich sie dann viel besser spüre. Wie blöd, dachte ich, dass wir so geleitet sind von der Angst etwas falsch zu machen.
Vor zwei Jahren nahm ich einmal an einem Theaterworkshop teil. Ich hatte so etwas noch nie gemacht, Rampensau war nicht meins, Verkleiden gar nicht und in andere Rollen schlüpfen kann ich schreibend viel besser. Aber ich wollte es unbedingt probieren. Wir machten verschieden Übungen mit unseren Namen. Und dann sollten wir auf die anderen zugehen, einfach so, irgendwie und ich weiß nicht mehr genau – eine Emotion loslassen oder so etwas. Jedenfalls packte es mich und ich lief auf eine andere Teilnehmerin zu und rief „Mensch verdammt nochmal Birgit!!!“ und rüttelte an ihren Schultern. Es war ein wirklich authentischer gespielter Gefühlsausbruch, der da aus mir rauskam. Und ich war erstaunt, dass ich mir das so laut und einfach so getraut hatte. Dann sagte der Trainer „Ja cool! Aber versuch das mal nur mit „Birgit Birgit Birgit!“ zu machen. Wir sollten keinen Text verwenden, nur den Namen. Aber das ging nun nicht mehr. Ich hatte es falsch gemacht, ich schämte mich, es war mir furchtbar peinlich. Ich ging nie wieder Theater spielen. Und noch heute ist dieser bittere Beigeschmack da, wenn ich an den Abend denke, der doch eigentlich bis dahin total lustvoll war. Aber ich hatte etwas falsch gemacht.
Diese Angst etwas falsch zu machen erlebe ich immer wieder, auch in vielen Schreibkursen, die ich besuche. „Soll ich jetzt eine Szene beschreiben oder nur den Charakter?“ Egal. Schreib! Wieviel soll ich schreiben? Muss es eine runde Geschichte werden? Egal! Schreib! Immer diese Angst. Richtig? Falsch?
Woher kommt das?
Schon früh wird uns eingetrichtert, was wir richtig und falsch machen. Es wird uns gezeigt, wie wir richtig mit dem Auto spielen, wie wir richtig einen Turm bauen. „Nein schau, so spielt man damit.“ Ich habe schon Mütter beobachtet, die ihren Kindern immer wieder erklärt haben, wie sie „richtig“ den Sand in die Sandförmchen pressen, damit auch eine Form bleibt beim Hochziehen. Bald muss man den Stift richtig halten und im Kindergarten wünschen sie die „richtige Hand“ zum Grüßen. Und so werden wir erzogen alles richtig zu machen und am Ende werden wir Erwachsene, die stets fürchten etwas falsch zu machen. Und wenn sie es dann tun, dann sind sie beschämt. Weil uns auch niemand gesagt hat, dass Fehler dazu gehören, dass wir aus ihnen lernen können.
Klar, es gibt Naturgesetze, die gelten einfach. Ich kann die Plutimikation nicht wie Pippi Langstrumpf einfach so machen, wie sie mir gefällt. Was kann ich aber tun, damit mein Kind nicht ein ängstlicher Mitläufer wird, der immer nur versucht alles richtig zu machen? Der nichts selbst ausprobiert, nichts wagt, nichts riskiert?
Weniger kritisieren
Ja, es gibt Dinge, die sind richtig oder falsch. Wie eben in der Mathematik, in der Sprache, im Alltag. Aber es macht einen Unterschied, ob ich als Mutter mein Kind im Krankenhaus anfahre: „Nimm die Finger da weg! Des is ein Krankenhaus und was glaubst wohl was da für Leut herkommen?“ oder ob ich sage „Du, fass das lieber nicht an. Im Krankenhaus leben viele Keime. Bleib lieber hier sitzen und schau dir deine Bücher an.“ Wenn ein Wasserglas zu Boden fällt und zerbricht, werden Kinder oft geschimpft. Wenn ein Erwachsener ein Glas zu Boden wirft, ärgert er sich meist selbst genug. Wir beschämen da die Kinder oft, vermitteln ihnen: Du machst was falsch. Du bist falsch. Dabei haben wir in jeder Situation die Wahl a) dem Kind zu erklären, was es anders machen könnte, statt es zu beschimpfen oder b) das Kind zu lassen, weil es nicht so dramatisch ist oder uns als Erwachsener auch passieren könnte. Unterwegs mit den U-Bahnen in Wien höre ich oft genug wie Eltern sagen „Geh jetzt komm ausm Weg, die Leut wolln da durch!“ Aber wie viele Erwachsene stehen oft so richtig blöd und ignorant im Weg herum?
Weniger loben
Und während Kinder einerseits so viel kritisiert werden, werden sie an anderer Stelle sehr viel gelobt. Für das, was sie richtig machen. Für das, was sie den Erwartungen entsprechend leisten. Egal ob Kinder klatschen, ganz normale motorische Bewegungsentwicklungsetappen meistern oder „brav“ mit dem Stift an der Linie entlang malen. Sie werden gelobt für Dinge, die ihrer Entwicklung entsprechen. Über die sie sich selbst mehr freuen und unser Mitfreuen genießen, als dass sie Lob erwarten. Wir loben sie fürs richtige Verhalten in unserer Gesellschaft anstatt darauf zu vertrauen, dass sie von uns abschauen, wie wir uns verhalten. Apropos Vertrauen
Mehr lassen
Vertrauen wir doch unseren Kindern einfach ein bisschen mehr. Sie entwickeln sich schon. Sie lernen was richtig und falsch ist am besten, indem sie ausprobieren. Indem sie beobachten und wahrnehmen, aufsaugen und umsetzen, was sie sehen. Sie orientieren sich an uns. Nein, sie mögen nicht von Anfang an „Guten Tag“ sagen oder „Danke!“. Aber deshalb muss man sie nicht als unhöflich abstempeln oder kritisieren. Sie lernen, dass der Löffel nicht auf den Boden gehört, wenn wir ihnen das sagen oder den Löffel nach dem zweiten Mal einfach weglegen, anstatt sie auszuschimpfen, dass sie den Löffel dauernd runterwerfen.
Weniger vergleichen
Und obendrein hilft es, wenn wir unsere Kinder nicht offensichtlich mit anderen vergleichen. „Schau wie brav das Kind seine Mütze aufhat.“ oder „Alle haben sich Mühe gegeben das schön zu schreiben, schau wie das bei dir aussieht.“
Immer wieder fahren wir mit dem „Du bist falsch.“ Hammer über unsere Kinder drüber. Und jedes Mal sinkt ihr inneres lebendiges kreatives Ich ein Stück weiter nach unten, wird immer kleiner und immer ängstlicher der großen Waagschale mit Richtig und Falsch bestückt gegenüber. Welche wird heute auf mich niedersausen?
Na, was habt Ihr heute alles falsch gemacht? Was habt Ihr richtig gemacht? Und Eure Kinder?
da schreibst du was, nadine! so gut kenn ich das. und bin statt des kritisierens auch immer ins gegenteilige loben verfallen, dabei kommt doch beides aus der gleichen mentalen ecke des bewertens & vergleichens. alles unnötig. lieber streicheln, kuscheln, kitzeln, lachen, lieben.
Nadine, ich liebe deine Texte!!!! Besonders in letzter Zeit schreibst du mir aus der Seele. Danke!!!!!!