Danke, Tinnitus!

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Ruhig ist es hier geworden. Der letzte Artikel liegt viele Wochen zurück. Dazwischen lagen lange heiße Sommerferien. Und ein emotionaler Wahnsinn.

Schon lange schreibe ich davon, dass ich erschöpft bin, müde und ausgelaugt vom Alltag. Wie sehr, das habe ich glaube ich jetzt erst begriffen. Weil ich es nicht wahrhaben wollte. Weil ich es mir nicht erlaubt habe. Und weil in unserer Gesellschaft alles irgendwie funktionieren muss. Die anderen schaffen das doch auch. Also muss das doch gehen. Ein bisschen zusammenreißen, durchbeißen, Fokus und weiter geht’s. Jeden Tag aufs Neue.

Jeden Tag aufs Neue aber mittags das Tief. Durchtauchen. Noch ein Kaffee und geht schon. Einkauf muss ja wer erledigen. Die Kinder holen. Achja die Wäsche, die will aufgehangen werden. Was essen wir eigentlich heute abend? Und ist noch genug zum Frühstück da? Emails poppen im Postfach auf. Hüpfen ungeduldig vor meiner Nase. Jetzt nicht, kümmere ich mich später drum. Ist aber als gelesen markiert. Rutscht durch. Poppt irgendwann wieder auf. Gern nachts um 3, wenn ich eh mal wach liege. Da kommen sie, die panischen Erinnerungen. Ach ja, da muss ich ja noch anrufen, den Termin ausmachen. Die Kinder sollten zum Augenarzt. Hautarzt. Sind alle Impfungen aktuell? Meine Eltern sollte ich auch mal wieder anrufen. Und am nächsten Tag: nicht schon wieder Läuse! Noch mehr Wäsche. Und hier ein neuer Grafik Auftrag. Da müssen die Entwürfe mal raus…

Atmen, atmen, atmen…

So vergehen die Wochen. Die Monate. Frau funktioniert. Irgendwie. Aber doch. Der Tinnitus klingelt leise im Ohr. Leise, aber stetig. Wird schon wieder werden.
Doch er wurde lauter. Immer lauter. Bis ich eines morgens in Tränen in der Küche stand und dachte: Ich kann nicht mehr. Ich halte das nicht mehr aus.

Das war letzte Woche.

Seitdem handle ich. Gehe langsamer. Lasse es langsamer angehen. Ruhe mich aus, wo es geht. Liege mittags kurz auf dem Sofa. Gehe abends früher schlafen. Klappe den Laptop früher zu. Jetzt habe ich noch einen Koffeinentzug begonnen, weil der Kaffee dem Tinnitus nämlich auch nicht gut tut. Blutdruck & Stress gehen rauf, die Ohren klingeln. Jetzt gilt: Alles, was gut tut. Viel Tee, viele Suppen, viel Ruhe. Und erst jetzt sehe ich: Das darf jetzt nicht nur sein, das muss jetzt sein.

Heute sagte meine wertvolle Therapeutin: „So gesehen hat ja der Tinnitus seine Aufgabe erfüllt.“ Ich überlege und lächle. „Ich habe den gebraucht, hm?“ frage ich sie. Rein rhetorisch. Sie zuckt die Schultern. „Was hätte sie sonst dahin gebracht, dass Sie reagieren?“ fragt sie. Ich überlege nicht lange. „Ich hätte vermutlich umfallen müssen.“ Und sie nickt.

Warum ich das erzähle? Weil ich immer mehr Müttern begegne, die am Limit sind. Die nicht mehr können. Die sich aber selbst nicht eingestehen, dass sie erschöpft sein dürfen. Weil es viel ist. Und oft auch zu viel. Weil das Leben mit Kindern stressig ist. Vor allem in einer großen Stadt. Wobei ich keiner Mutter am Land abstreiten möchte, dass es viel ist, was sie tut. Wir tun alle viel. Unser bestes. Aber wenn wir immer nur tun und funktionieren, dann geht das auf unsere Kosten. Dann streikt irgendwann der Körper. Und meist auch die Seele.

Wann ich mich zum letzten Mal über etwas so richtig gefreut habe? Ich weiß es nicht. Freude steht grad nicht ganz oben auf meiner Emotionsliste. Da ist zu viel Müdigkeit.

Am Montag fahre ich eine Woche weg. Ich. Allein. Weg. An die Ostsee. Meine geliebte Ostsee. Schreiben werde ich dort. Und einfach nur sein. Stille genießen. Aufatmen. Auftanken. Dem Tinnitus weiterhin den Kampf ansagen. Aber heute, heute bin ich ihm dankbar. Denn er hat mich wachgerüttelt. Ich bin erschöpft. Und das ist jetzt einfach so. Wegrennen geht nicht. Akzeptanz ist angesagt. Stille. Und Achtsamkeit.

Dieser Beitrag hat 5 Kommentare

  1. Constanze

    Ja genau, ist lange her, Kinder 5 und 2,5 Jahre alt. 40 Stunden Job, ganz früh anfangen, damit ich schon wieder um 16 Uhr bei den Kindern sein konnte.
    Tinnitus und Kippschwindel: ich hatte so viel um die Ohren, dass mir schon ganz schwindlig war…
    Da hab ich verstanden. Hab gelernt auf meine Ohren zu hören. 😊
    Ist mir nie wieder passiert, obwohl das Leben noch einiges zu bieten hatte…
    aber meine Ohren wurden mir Wegweiser und Grenzenhüter.
    Mögen sie dir auch so gute Begleiter sein!

  2. N. Aunyn

    Eine erholsame Zeit an der Ostsee mit allem, was Sie brauchen und was stärkt.

    1. buntraum

      vielen lieben Dank!

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