Auf Grund meiner Erfahrungen werde ich immer wieder von Eltern angesprochen, deren Kinder vor einer Operation stehen. Egal ob große Eingriffe oder kleinere Sachen wie Mandeln oder Polypen – sowohl für Eltern als auch für Kinder ist es eine herausfordernde Situation, die schwer fällt. Unser Kind wird in fremde Hände übergeben, ihm werden – wenn auch nur kurz – durch eine Betäubung Schmerzen zugefügt, es hat Angst und es fühlt sich unsicher und ausgeliefert. Wie gern würden wir es davor bewahren.
Doch wir sind nunmal keine Ärzte, zumindest nicht die, die unser Kind gerade braucht, und so hilft es nichts als einen Weg zu finden, wie wir alle gemeinsam einigermaßen unbeschadet durch diese Zeit hindurchgehen können.
Vertrauen in uns
Aus besagter Erfahrung – sowohl mit großer stundenlanger HerzOP als auch mit minimalem Eingriff einer Frakturrichtung – kann ich eines versichern: Wir Eltern wachsen an diesen Ereignissen. Wir entwickeln Kräfte, die wir uns im Vorfeld nie zugeschrieben hätten. Das geschieht oft auch erst in letzter Minute, wir spüren es kaum und es wird uns vielleicht auch erst hinterher bewusst.
Als der Liepste am Morgen vor Herrn Kleins HerzOP selbst in Tränen ausbrach, sah ich plötzlich meine Stütze schwinden. Bis dahin hatte ich mich voll und ganz darauf verlassen, dass er mich auffangen könnte, wenn ich es nicht mehr schaffe würde. Wenn meine Kräfte aufgezehrt wären. Doch in dem Moment wusste ich: Hier muss ich selbst durch. Ich muss das schaffen. Und als ich dann mit meinem 6 Monate altem Baby allein auf die AnästhesistInnen wartete, während der Liepste draußen wartete, weil nur ein Elternteil mit hinein durfte (hilfreich, wenn solche Details im Vorfeld geklärt sind, wir waren da sehr überrumpelt, dass einer draußen bleiben musste), da war ich plötzlich ruhig und stark. Da hielt ich ihn im Arm und erklärte ihm in Ruhe, was nun mit ihm geschehen würde. Und als die Ärzte kamen, da gab ich ihm einen Kuss und gab ihn voller Hoffnung und Zuversicht zum ersten Mal für mehrere Stunden weg von mir. Die wohl schwersten und längsten Stunden meines Lebens. Natürlich fiel dann draußen alles von mir ab und die Tränen flossen nur so, aber da war der Liepste und wir stützten uns gegenseitig. Und als wir wieder ruhiger wurden, da waren wir sogar fröhlich. Erleichtert, dass dieser Tag endlich da war und bald hinter uns liegen würde.
Hätte mir das im Vorfeld jemand gesagt – ich hätte nie geglaubt, dass ich so stark sein könnte. Dass ich das so schaffen würde. Wir können darauf vertrauen, dass wir an den Herausforderungen, die uns gestellt werden, wachsen.
Positive Gedanken
Für uns scheint dieser schwere Tag, der uns bevorsteht, immer nur dunkel und grau. Dabei hilft es uns viel mehr, wenn wir erkennen: Das wird ein guter Tag. An diesem Tag bekommt unser Kind die notwendige Heilung, die es braucht. Und letztendlich ist es der Tag, der die lange Zeit des Wartens beendet. Je länger sich eine OP hinauszögert, umso mehr zehrt sie an unseren Nerven, umso mehr sind wir erfüllt von Fragen, Ängsten und Sorgen.
Vorbereiten
Es kann – je nach OP – im Detail wirklich schwer sein zu erfahren, was genau mit unseren Kindern geschieht. Aber es hilft uns zu verstehen und unser Kind entsprechend auf den Eingriff vorzubereiten. Es gibt viele Bücher und darin kann man dann immer ein paar Bilder finden, die zeigen, was auf unsere Kinder zukommt. Natürlich bringen diese Bücher bei kleinen Säuglingen noch nichts, aber sie können dann Jahre später helfen die OP zu verarbeiten.
Manche Eltern meinen, es wäre besser den Kindern nichts zu sagen und sie mit der OP zu überrumpeln. Weil sie meinen, die Kinder würden unnötig zu viele Ängste haben. Oder weil sie selbst Angst haben ihren Kindern mit der Wahrheit zu begegnen. Weil sie selbst voller Ängste sind.
Bei uns im Zimmer lag nach der OP ein Junge aus Rumänien. Sein Vater war mit ihm bis nach Wien gekommen für eine Herzkathederuntersuchung. Der Junge, der im Schulalter war, hatte keine Ahnung, warum er wirklich da war. Sein Vater hatte nur eine Untersuchung erwähnt, aber nicht, dass er eine Narkose bekommen würde und dass man ihn am Herzen untersuchen würde. Die Nacht ging ganz gut, doch als der Junge am Morgen nichts mehr essen durfte und dann noch ein OP Hemd anziehen sollte, merkte er, dass etwas nicht stimmte. Dass da mehr, schwerwiegenderes auf ihn zukam. Man sah, dass er immer ängstlicher und panischer wurde.
Wie mag es dem Jungen gehen in einem Krankenhaus, dass so schon Angst vermittelt. Unwohlsein. Wenn er dann noch vom eigenen Vater so hintergangen wird. Der Vertrauensbruch kann für Kinder schwerer zu verdauen sein, als wenn sie von ihren Eltern gut und einfühlsam durch einen Eingriff und alle damit zusammenhängenden Ängste und Sorgen begleitet werden.
Die Kinder verstehen ja noch nichts? Nun, Kinder verstehen mehr, als wir glauben. Auch Säuglinge kann man auf Untersuchungen vorbereiten. Auch wenn sie nicht jedes Wort verstehen, nicht alle Zusammenhänge begreifen, so spüren sie: Ich bin hier wichtig, Ich werde ernst genommen, es geschieht etwas mit mir und ich kann mich darauf vorbereiten. Letztendlich hilft es auch uns Eltern, wenn wir mit dem Kind über seine Ängste reden. So verstehen wir besser, was in ihm vorgeht. Und je mehr wir uns damit auseinander setzen, umso heilsamer ist das für uns selbst.
Das bedeutet nicht, dass wir dem Kind nun von früh bis spät von der OP erzählen. Aber in ruhigen Minuten, am Abend. Dann, wenn wir auch die Zeit haben, auf ihre Reaktionen einzugehen.
In Kontakt bleiben
Im Krankenhaus sind Ärzte oder Schwestern nicht immer darauf aus die Kinder in das, was sie mit ihnen vorhaben, aktiv einzubeziehen. Dort wird oft auf die Ablenkungsmethode gebaut. Auf den Überraschungseffekt von hinten. Ich halte davon nichts. Ich bin dafür, dass wir die Kinder auch während der bewussten Eingriffe wie Röntgen, EKG, Venflon setzen, Infusionen legen etc. darüber informieren, was da mit ihnen geschieht. Ohne Ablenkung. Das bedeutet, das wir manchmal gegen die Ärzte und Schwestern arbeiten. Es bringt nichts, mit den Ärzten zu diskutieren. Es hilft mehr die Personen auszublenden und ganz beim Kind zu bleiben. Mit dem Kind reden und die Kommentare des Personals ausblenden. „Du darfst ruhig schreien. Es mag weh tun, aber es muss leider sein. Du darfst schreien so laut wie Du musst. Aber es ist wichtig, dass Du still hältst.“ Nicht jeder Arzt wird das verstehen. Aber darum geht es nicht. Es geht um uns und unser Kind. Um den Kontakt zwischen uns. Das Kind soll sich gut begleitet und aufgehoben fühlen und nicht als ein Opfer. Natürlich müssen wir bei all dem auch mit den Ärzten arbeiten, wir müssen ihre Anweisungen weitgehend befolgen. Letztendlich sind wir auf ihre Hilfe, ihre Informationen und ihre Unterstützung angewiesen. Wir dürfen gern auch viele Fragen stellen und versuchen unsere Wege mit denen der Ärzte und Schwestern zu vereinen. Aber wir können nicht nur unseren durchpeitschen. Wir müssen auch nicht nur den des Personals einfach so hinnehmen.
Nicht jede Schwester ist uns sympathisch, aber wir müssen keine besten Freunde werden, wir müssen nur gemeinsam „funktionieren“. Es ist eine Gratwanderung zwischen guter Beziehung zum Personal, das wichtig ist für eine gute Atmosphäre, aber gleichzeitig auch einer guten Beziehung zu unserem Kind, das uns braucht. Jede Sekunde.
Hilfe suchen und annehmen
So ein Krankenhausalltag ist anstrengend und zehrend. Viele Untersuchungen, die unser Kind unruhig machen. Und selbst nach der OP, wenn das Kind sich „nur noch“ erholen muss, ist es anstrengend. Wir sind ständig auf Abruf, die Kinder selten zufrieden und entspannt. Es ist wichtig, dass wir da mal Tapetenwechsel bekommen. Für mich war es enorm hilfreich, wenn der Liepste mal ein paar Stunden übernahm, damit ich mal raus konnte. Raus aus dem Krankenhaus, runter vom Geländer voll weißer Kittel und Menschen mit Verband oder Infusion im Arm. Ein Kaffee trinken, eine ruhige Dusche daheim oder ein neues paar Schuhe kaufen. Egal was hilft – tut es. Sucht Euch jegliche Hilfe, die Ihr bekommen könnt und nehmt Auszeiten. Kümmert Euch auch um Euch, denn Eurer Kind braucht einigermaßen gut funktionierende Eltern.
Vertrauen in unser Kind
Zu guter letzt möchte ich sagen: Vertrauen wir unserem Kind. Meistens fürchten wir uns, dass es einen Schaden davonträgt. Seelisch. Dass es traumatisiert wird. Doch ein Kind hat enorme Kräfte und Fähigkeiten. Es wird nicht traumatisiert, weil es für einen Eingriff von uns getragen wird und dabei weint. Es wird traumatisiert, wenn wir diese Situation im Nachhinein nicht mit dem Kind besprechen und es nicht einfühlsam durch diese Zeit begleiten. Wir dürfen darauf gefasst sein, dass unser Kind immer wieder davon redet, dass es gewisse seelische Empfindungen davonträgt. Aber wenn wir diese auffangen und mit dem Kind gemeinsam bearbeiten, so kann es gut heilen.
Herr Klein war 3 Jahre lang extrem ärztephobisch. Er schrie jeden an, der ihm zu nahe kam und seinen Körper auch nur im entferntesten untersuchen wollte. Er ließ sich nicht einmal wiegen oder die Körpergröße messen. Ein Gipswechsel fühlte sich an wie eine Folter. Er hatte Angst irgendwo zu liegen, wo sich Menschen über ihn beugten. Es war anstrengend für uns alle. Aber wir haben es immer ernst genommen. Haben die unverständlichen Kommentare der Ärzte und Schwestern ausgeblendet und sind bei ihm geblieben. Und als ich irgendwann ganz verzweifelt war und bereit mit ihm die Sache therapeutisch anzugehen, hat sich alles schlagartig gewandelt. Mittlerweile kommuniziert er mit Ärzten, er lacht über ihre Faxen, er macht beim Zahnarzt den Mund auf und lässt sich sogar die Augen untersuchen. Er hat einfach Zeit gebraucht. Zeit um Geschehenes zu verarbeiten und Zeit um Vertrauen (wieder)zugewinnen.
Eine OP ist ein unvermeidlicher Eingriff. Er schüttelt uns durch und fordert uns. Aber er traumatisiert uns nicht, wenn wir uns bewusst sind, dass es Zeit braucht, um das Ganze zu verarbeiten. Letztendlich verbindet uns das. Ich habe das Gefühl, dass uns die Herz OP als Familie noch enger zusammen gebracht hat. Weil wir gemeinsam da hindurchgewandert sind. Haben gemeinsam gelitten und gemeinsam gekämpft. Aber ich glaube, dass wir es gemeinsam auch gut geschafft haben.
Ich wünsche allen Familien viel Kraft für diese Zeit. Und ich bin jederzeit gern bereit Fragen diesbezüglich zu beantworten oder Euch in sonst einer Weise zu beraten. Schreibt mir einfach eine email an hilmar {at} buntraum . at
Hier könnt Ihr noch den gesamten Erfahrungsbericht der HerzOP nachlesen. Darin erfahrt Ihr viele weitere Details rund um die Zeit vor und nach der OP.
Habt Ihr noch hilfreiche Tips? Schreibt sie in den Kommentaren. Es wäre wundervoll, wenn das eine rundum unterstützende Quelle für Familien in medizinisch schwierigen Situationen sein könnte.
Ich danke dir sehr. Es kommt genau zur richtigen Zeit.
Hallo Nadine,
auch ich habe Erfahrungen mit langen Krankenhausaufenthalten meiner Kinder gemacht. Meine Zwillinge wurden in SSW 32+4 als Frühchen geboren und verbrachten fünf Wochen auf der Neo-Intensivstation, bevor wir sie nach Hause nehmen durften. Ich habe gerade diese Woche auf meinem Blog einen Post über die Geburt veröffentlicht und werde demnächst über die Zeit auf der Frühchenstation berichten.
Meine Kinder wurden gleich nach der Geburt aus dem OP gebracht, im Nebenraum medizinisch erstversorgt und nach 40 Minuten im Transportinkubator auf die Neo-Intensivstation der Kinderklinik gebracht. Trotzdem habe ich eine positive Erinnerung an die Geburt, und zwar weil ich beide Kinder für einen Augenblick sehen durfte und weil ich wusste, dass sie beim behandelnden Ärzteteam in den besten Händen waren. Ich hätte in dieser Situation nichts für meine Kinder tun können. Ich habe die Verantwortung abgegeben und hatte Vertrauen.
Ich denke, Vertrauen zu haben, ist der entscheidende Punkt. Einerseits in die Menschen, denen man sein Kind überlässt, andererseits in die Kraft des Kindes.
Ich war täglich morgens bis abends bei meinen Kindern. Damit ich im Intensivzimmer eine positive Stimmung auf die Kinder übertragen konnte, habe ich sehr viel gesungen. Damals war Adventzeit, gerade richtig für stimmungsvolle Lieder. Es war der besinnlichste Advent, den ich je hatte. Erst im Nachhinein habe ich gelesen, dass das Vorsingen die Entwicklung von Frühchen fördert.
Natürlich gab es während des fünfwöchigen Aufenthaltes auf der Neonatologie Tränen und zwischendurch ließen meine Kräfte nach.
Für alle Eltern, deren Kinder auf der Intensivstation liegen, bietet unser Krankenhaus psychologische Hilfe an. Ich habe diese Hilfe nicht in Anspruch genommen, weil mich viele Gespräche mit meinem Mann, mit Freunden, mit Eltern in ähnlichen Situationen und mit Ärzten und Pflegepersonal bestärkt haben. Wenn für intensive Gespräche niemand da ist, würde ich psychologische Hilfe sehr empfehlen, denn es ist schwierig, wenn man seine Sorgen und Ängste niemanden mitteilen kann.
Diese Erfahrung habe ich gemacht, als einer meiner Söhne im Alter von zwei Monaten überraschend operiert werden musste. Wir waren bereits drei Wochen zuhause, als bei einer Nachsorgeuntersuchung im Krankenhaus ein Leistenbruch festgestellt wurde. Eine sofortige Operation war nötig. Wir durften nicht mehr nach Hause fahren. Die OP eines Leistenbruches ist an sich keine große Sache, bei unserem Frühchen-Kind stellte sie jedoch aufgrund der Narkose eine Herausforderung dar. Nochmaliger Aufenthalt auf der Intensivstation war zu erwarten.
In den wenigen Stunden vor der Operation hatte ich kaum Gesprächspartner. Wir waren nicht mehr auf der Frühchenstation untergebracht, sondern in der Kinderchirurgie und ich fühlte mich dort nicht gut behandelt. Kommunikationsprobleme. Die Belastung war enorm. Tränen, Tränen, Tränen. Deshalb übernahm nach der Operation mein Mann die Begleitung im Krankenhaus. Meine emotionalen Kräfte waren aufgebraucht. Er jedoch war zuversichtlich. Ich betreute meinen zweiten Sohn zuhause und konnte wieder Kräfte sammeln. Das war für uns alle richtig so.
All das ist nun mehr als zweieinhalb Jahre her. Heute wage ich zu behaupten, dass unsere Söhne durch diese ersten Lebenserfahrungen nicht traumatisiert sind. Ihr Lachen und ihre Lebensfreude sprechen dafür.
Wenn meine Kinder einmal nach ihrer Geburt und der Zeit danach fragen, möchte ich sie keinesfalls bemitleiden, sondern ihnen bewusst machen, wie gut sie es geschafft haben, diese erste Krisenzeit ihres Lebens zu bewältigen. Sie sind meine kleinen Helden.
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