Eine Frau steht am Spielplatz und schaukelt ihr Kind an. Das Quietschen der Schaukel durchdringt rhythmisch die Geräusche der anderen Kinder. Der Blick der Frau driftet ab. Sie sieht ein Kind, das einem roten Ball hinterherläuft. Noch etwas breitbeinig. Von der Windel gezeichnet. Das Kind stolpert und fällt. Es wartet kurz, beginnt dann leicht zu weinen. Es schaut sich suchend um, findet die Mutter und weint noch ein wenig mehr. Die Mutter schaut nicht. Das Kind weint noch einmal etwas auf. Keine Reaktion der Mutter. Das Kind steht auf, jammert noch etwas und geht dann zur Rutsche. Es klettert die Sprossen hinauf und ruft „Mama! Mama!“ Die Mutter schaut, lächelt müde und tippt weiter auf ihr Smartphone. Das Kind rutscht und ruft immer wieder „Mama! Mama schau!“ Manchmal schaut die Mama. Manchmal nicht.
Die Frau, die das beobachtet, ist betroffen. Immer wieder schaut sie zu derr Mutter und denkt: „Warum reagiert sie nicht? Warum kümmert sie sich nicht?“ Es dauert eine Weile, bis sie hört, dass ihre Tochter sie ruft. „Mama, ich will raus.“ Sie hebt ihr Kind aus der Schaukel und gibt ihr einen Kuss.
Eine etwas ältere Frau schiebt einen Kinderwagen durch das bunte Laub. Das Kind darin, ein Baby, schläft. Die Arme steif in einem dicken Fleeceoverall verpackt, nach oben gestreckt. Der Kinderwagen blinkt nagelneu im kalten Grau des Herbstes. Die Frau sieht ein Kind, was auf den Knien hockt und weint. Sie hat es fallen sehen und weiß, dass es nicht schlimm war. „Steh wieder auf. Is doch nichts passiert“, denkt sie. Als das Kind noch etwas jammernd aufsteht und zur Rutsche geht, verschwindet die Frau mit dem Kinderwagen hinter dem hohen Busch. Sie geht bis hinter zum Sandkasten spazieren, dreht ihre Runde und landet wieder vorn bei der Rutsche und den Schaukeln. Das Kind, das vorhin gestürzt ist, steht schreiend oben auf der Rutsche. Es hat eine Schaufel in der Hand und wirft sie die Rutsche hinunter. Dann rutscht sie hinterher. „Mama, schau!“ ruft sie immer wieder. Läuft dann kreischend über den Platz. Ein anderes Kind macht sich zielstrebig auf den Ball zu schnappen. „Nein! Nein! Meiner! Meiner!“ ruft das kreischende Kind. Noch lauter kreischend. „Herrje“, denkt sich die Frau. „Kann die Mutter nicht mal was sagen? Das Kind gibt ja keine 5 Minuten Ruhe.“ Sie schiebt ihren Kinderwagen wieder um die Ecke und verschwindet hinter Blättern.
Auf der Bank sitzt eine Frau und schaut in ihr Smartphone. Sie ist müde und hält ihre Augen starr auf das leuchtende Display gerichtet, um der Müdigkeit zu entkommen. Sie will dringend ihre emails sortieren. Eine Einkaufsliste schreiben. Ihre To-Do Liste überarbeiten. Sie muss noch zur Post und Lebensmittel einkaufen, wenn sie sich und ihrem Kind nicht weiter Tiefkühlpizza servieren will. Sie hat nur wenig geschlafen letzte Nacht, sie kämpft mit der Übelkeit der ersten Schwangerschaftswochen. Ihr Mann ist für eine Woche auf Dienstreise. Und von irgendwo weit her hört sie ihre Tochter rufen: „Mama! Mama!“ Sie schaut auf und sieht sie auf der Rutsche stehen. Sie lächelt müde. Es tut ihr leid, sie weiß, dass sie das noch nicht lange kann und es eine große Errungenschaft ist. Aber sie ist zu müde, zu schlapp, um sich wirklich zu freuen. Ihr Handy vibriert und sie liest eine email von ihrem Mann. Sie inhaliert jedes Wort und vermisst die Unterstützung und Kraft, die sie nicht aufbringt. Nicht jetzt. Immer wieder hört sie ihre Tochter rufen. Dann laut kreischen. Sie schaut auf und weiß: Sie macht auf sich aufmerksam. Sie spürt, dass ich nicht wirklich da bin. Aber sie braucht diese Pause hier auf der Bank im kühlen Herbstlicht. Um Energie zu tanken und Post und Einkauf erledigen zu können. Und um dann daheim wieder da zu sein. Wieder hört sie ihre Tochter: „Mama!“ und sie weiß, dass sie diese wieder sein wird. Nicht jetzt, nicht gleich. Aber heute Abend, wenn sie sich beide ins große Ehebett kuscheln und Lieder singen, wenn sie Geschichten erzählt und beide kichern. Wenn sie unter einer Decke einschlafen. Wo sie niemand sieht. Mutter und Tochter.
Schöner Beitrag!
Oh, wie wunderschön geschrieben nadine! Hab fast geweint beim lesen – hat irgendwas in mit berührt…ja, mama zu sein is eine große herausforderung….
Morning,it is very intressting to look with the eyes of diffrence .3
Sehr schön geschrieben. Das ist eines der ersten Dinge, die ich als Mutter gelernt habe. Über andere zu urteilen, ist nicht unbedingt richtig. Ich weiß nicht, wie es ihnen geht oder wie ich es in der Situation machen würde. Du hast das sehr schön rübergebracht durch die drei Sichtweisen.
Liebe Grüße,
Kathrin
Dankeschön für den anderen Blick!
So schön (und gut) geschrieben!! Danke.
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