Im Schreibabend ging es diese Woche um die Sehnsucht. Die Sehnsucht, die uns zieht, oder die Sehnsucht die uns treibt. Wir verlieren uns in Sehnsüchten, Erinnerungen, wundervollen Gedanken, Träumen. Aber woher kommt sie, diese Sehnsucht?
In mir entstand vor, während und nach dem Schreiben eine Explosion an Gedanken und Erinnerungsfetzen, die ich kaum zu bändigen wusste, geschweige denn in Worte zu fassen. Und ich fragte mich: Warum habe ich so eine unsagbare Sehnsucht nach dieser Zeit, diesen Menschen, diesen Ereignissen in meinem Leben? Warum wärmt es mich immer wieder so, daran zu denken, dorthin zurück zu reisen? Warum schmerzt es gleichzeitig so? Was will mir diese Sehnsucht sagen? Was vermisse ich so sehr im Jetzt und Hier?
Und dann überlegte ich. Ich habe keine Sehnsucht nach einer Schwangerschaft oder einem kleinen Baby. Ich habe keine Sehnsucht danach mich in einen Mann zu verlieben. Ich habe keine Sehnsucht danach an einen gewissen Ort zu reisen. Ja, Island, Schottland, Skandinaien – das wäre schön. Aber es ist keine Sehnsucht, es ist eher der Wunsch, dort (noch)einmal hin zu reisen. Was ist es also, dass ich nach einer bestimmten Zeit in meinem Leben so eine Sehnsucht habe? Mir so oft wünsche: da noch einmal zu sein, zu sitzen. Den Menschen noch einmal zu begegnen. Genau diese Abende noch einmal zu erleben. Den Humor zu belachen. Der Musik zu lauschen. Zu tanzen. Und dann fiel es mir ein.
Ich habe meine Schwangerschaften von Anfang bis Ende genossen. Sehr. Ich war glücklich und selig. Ich habe die Babyzeiten der Kinder genossen. Ausgiebig. Ich habe mich in den Liepsten verliept und diese Liebe angenommen und aufgesogen. Und tue das heute noch. Schlussendlich: Ich habe gelernt den Moment zu genießen. Aber damals, davor, in meinem Leben vor all dem, habe ich nicht genossen. Oder doch? Ich habe die schönen Abende, Begegnungen und Augenblicke wahrgenommen, aber gleichzeitig war ich getrieben von anderen Sehnsüchten. Tanzte ich zu wundervoller Musik, fehlte mir ein Mann an meiner Seite. Die Liebe. Was habe ich mich nach ihr gesehnt. Führte ich tolle Gespräche mit wunderbaren Menschen, spürte ich die Sehnsucht nach anderen Dingen. Ich genoss und war gleichzeitig nicht da. Ich hatte das eine und vermisste das andere. Ich konnte nicht aufsaugen und tanken. Und bin deshalb heute nicht voll damit.
Natürlich bin ich heute kein Buddha. Ich bin nicht immer im Moment. Geniesse nicht jeden Augenblick so, wie er es verdient hat. Aber diese Sehnsucht, dieses Aufrütteln heute, das hat mir gezeigt, wie wichtig es ist im Jetzt zu sein und zu genießen. Ich möchte nicht irgendwann feststellen, dass ich mir ewig meine Kinder klein wünsche. Ich möchte ihr Kleinsein auskosten um sie dann größer und größer zu genießen. Ich möchte die sonderbaren, wundervollen Augenblicke so genießen, dass ich später nicht etwas vermisse, was ich doch einst hatte. Ich möchte träumen können, ja. Aber ich möchte nicht von Sehnsüchten gepackt alt werden.
Gibt es ein Leben ohne Sehnsüchte? Ich glaube nicht. Das ist auch nicht das Ziel. Es gibt die Sehnsüchte nach vorn. Die, die uns treibt und etwas verfolgen lässt, wonach wir uns sehen. Aber die Sehnsucht nach hinten, die uns hält, bremst und blockiert – die können wir loslassen. Indem wir innehalten, die Augen auf das richten, was ist und es voll und ganz wahrnehmen, annehmen und aufsaugen.
Sehr treffend auf den Punkt gebracht! Danke für diesen bereichernden Beitrag!
«Ich möchte nicht irgendwann feststellen, dass ich mir ewig meine Kinder klein wünsche. Ich möchte ihr Kleinsein auskosten um sie dann größer und größer zu genießen. Ich möchte die sonderbaren, wundervollen Augenblicke so genießen, dass ich später nicht etwas vermisse, was ich doch einst hatte.»
Was soll ich sagen? Vielen Dank für deine Worte. Für diese besonders, aber für alle andern auch. Immer wieder fühl ich mich durch deine Texte verstanden, inspiriert oder berührt.
Liebe Grüsse
Eve