Die eigenen Ansprüche – zwei Herzen in meiner Brust

Ich habe sehr hohe Ansprüche an mich selbst. Woher die kommen, weiß ich nicht. Aber ich weiß, dass sie mich sehr oft sehr fordern. Und weil sie nicht immer erfüllbar waren, war ich oft frustriert. Also habe ich immer wieder geglaubt, ich müsste sie reduzieren. Ansprüche herunterschrauben. Weniger wollen. Was meist dazu geführt hat, dass ich noch frustrierter war. Weil ich das Gefühl hatte, mich selbst in eine Schraubzwinge zu pressen.

l1070883Viele fragen mich immer: Wie machst Du das alles mit noch drei Kindern nebenher? Und ich wundere mich selbst manchmal. Fakt ist, dass ich nicht alles perfekt gut mache, dass oft irgendwas auf der Strecke bleibt. Was dann dazu führt, dass ich frustriert bin. Und ich meine Ansprüche hinterfrage und mir denke: Warum mache ich eigentlich so viel mit noch drei Kindern nebenher? Warum mache ich nicht weniger?

Letzte Woche waren wir mit Frau Klein wegen eines ganz anderen Themas bei der Familienberatung. Aber wie das so ist mit so Kinderthemen, spielen da immer unsere eigenen Themen eine große Rolle. Und zum ersten Mal in meinem Leben habe ich gehört: Es ist okay, wenn Du hohe Ansprüche an Dich hast, wenn Du so viel willst und alles auf einmal. Das bist Du, das sind die zwei Herzen, die in Deiner Brust schlagen: Du, die Mutter Deiner Kinder. Du, die Frau mit Ideen und Plänen im Kopf. Und wenn Du versuchst, die eine oder die andere einzubremsen, dann bremst Du Dein ganzes Ich ein.

Und plötzlich fühlte ich mich 10kg leichter. Denn ich hatte schon befürchtet, dass die Beratung wieder genau darauf hinauslaufen würde, dass ich zu viel tue und zu viel im Kopf habe und deshalb zu wenig da und dort bin und alles deshalb so seinen Lauf nimmt… Nein. Endlich einmal nein. Endlich einmal die Erlaubnis so sein zu dürfen, wie ich bin. Das tun zu dürfen, was ich will. Ohne schlechtem Gewissen.

Was ist nun aber mit den Ansprüchen an mich? Den nicht erfüllten. Den Dingen, die sich dennoch nicht ausgehen, weil es natürlich trotz allem oft zu viel ist und der Tag nur 24h ? Die erlösende Antwort: Ich darf frustriert sein darüber. Ich darf genervt sein und enttäuscht. Nur muss ich lernen diese Gefühle anzunehmen anstatt sie hinter einem schlechten Gewissen aus „Ich sollte weniger.“ und dem Satz „Ich will zu viel.“ zu verstecken.

Wo genau liegt da jetzt der Unterschied zum Ansprüche herunterschrauben? Nun, wenn ich das versuche, bremse ich mich selbst ein. Und habe das Gefühl mein Innerstes nicht ausleben zu können. Es ist, als würde ich einem Baby sagen: Lass das doch mit dem Krabbeln üben heute abend, schlaf erstmal und lass erstmal die Zähne durchbrechen und dann kannst Du weiterüben. Bis dahin bleibst einfach am Boden liegen und schaust an die Decke. Funktioniert nicht. Sicher nicht.
Und wenn ich nun das Gefühl habe alles, was ich will, zu dürfen, anstatt mich ständig fragen zu müssen, ob das wirklich sein muss und ob nicht weniger auch ginge, dann fühle ich mich viel freier und erlebe viel schneller, was ich wirklich will und nicht will und lasse gewisse Dinge von ganz allein sein. Die Ansprüche regulieren sich viel besser, wenn man sie lässt, als wenn man sie versucht anzupassen. Irgendwie ist das wirklich wie mit Kindern…

Natürlich macht es Sinn die eigenen Ansprüche hier und da zu hinterfragen. Sind sie überhaupt realistisch? Sind sie wirklich jetzt unbedingt wichtig? Aber wenn ein klares Ja dahintersteht, dann ist es so. Und dann ist es leichter an einem Abend zu sagen: „Schade, das ging sich heute alles wieder so nicht aus. Ich hätte gern das und jenes noch geschafft. Das nervt mich jetzt.“ und auch den Kindern zu vermitteln: „Ich bin frustriert, denn eigentlich wollte ich am Vormittag noch 3 Emails schicken und das habe ich nicht geschafft. Deshalb bin ich grad etwas schlecht gelaunt.“ Aber damit können sie mehr anfangen, als mit einer Mutter, die das, was sie gern tun würde, gar nicht erst angeht, weil sie darauf wartet, bis die Zeit für sie und ihre Anliegen reif ist. Und für ein paar schlecht gelaunte Tage bekommen sie häufig auch eine Mutter, die euphorisch ist und gut gelaunt, weil sie in der freien Zeit, die sie hat, das tut, was ihr wahre Freude bereitet. Und weil sie voller Ideen ist und daran arbeitet, diese begeistert umzusetzen.

Nehmt Eure Ansprüche ernst. Und zuckt lieber am Abend mit den Schultern und sagt: „War heut alles so nicht möglich. Mal sehen, was morgen besser werden kann.“

Ich mache mich damit nun auf in einen neuen Tag. Der ist vollgestopft mit Ideen und Plänen. Mal sehen, was davon umsetzbar ist.

Dieser Beitrag hat 8 Kommentare

  1. Steffi

    Ich sitze hier und weine. Das ist genau mein Thema. Und tut gerade so gut! Du hast da grad eine Entknotung für meinen Knoten im Kopf und Herz aufgezeigt! Du hast recht, ich DARF hohe Ansprüche haben. Das hab ich bisher nie akzeptieren können. Ich danke Dir. Dafür,daß Du sowas aufschreibst und teilst. Ganz lieben Dank! <3

  2. Steffi

    Wow, das war jetzt echt so eine Erkenntnis wie die, daß ich „negative“ Gefühle wie Wut haben DARF und sie nicht abstellen muß. Tausend Dank!!!! Das war mir eine gigantische Hilfe. Ich kanns grad gar nicht in Worte fassen. Das hat bei mir grad eine Lawine ins Rollen gebracht! <333

  3. Lotti

    Danke für die andere Perspektive. Einen Versuch wert!

  4. ussemblage

    Du hast mir sehr aus dem Herzen gesprochen! Das mit dem Annehmen übe ich noch. Dankeschön, alles Liebe Ursula

  5. Helena

    Vielen Dank für diesen Beitrag! Ich merke auch gerade, dass das Herabsetzen der Ansprüche in eine Sackgasse führt! Nur den Ausweg habe ich bisher nicht gefunden, aber du hast vollkommen Recht mit dem, was du schreibst! Danke!

  6. Marianne

    Danke dafür, dass du Wahres aussprichst und aufschreibst!
    Ich bin schon seit einer Weile überzeugt davon, dass wir uns mit unseren hohen Ansprüchen nicht verbiegen müssen. Und ich übe mich im ehrlich Sein – mir selbst und meinen Mitmenschen gegenüber.

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