Ich habe lange überlegt ob ich diesen Blogartikel schreibe, oder nicht. Und überlegt, was ich damit sagen will und was nicht. Und jetzt fange ich einfach an.
Vor kurzem habe ich 64 kleine Briefe geschrieben. An jede Nachbarin und jeden Nachbarn einen. In jeden Brief habe ich der Person gesagt, was ich an ihr schätze. Nichts weiter, nur ein wenig Positives, etwas Schönes. Diese Briefe hab ich gefaltet und ihnen in die Briefkästen gelegt. Ich habe niemandem etwas dazu gesagt, habe den Rest sich selbst überlassen.
Warum? Weil ich der Meinung bin, dass wir alle viel mehr Wertschätzung brauchen. Weil wir in dieser Coronazeit alle so sehr ins Jammern und Schimpfen abgetaucht sind. In den sozialen Medien erlebe ich immer mehr Hingehacke auf alle die, die etwas anders machen oder nicht richtig. Der Nachbar hatte Besuch. Der andere hatte seine Maske nicht richtig auf. Und überhaupt, da kommt der Dödel im Supermarkt mir doch echt zu nahe und hustet auch noch. Wir sehen nur noch Gefahr und wehren uns mit Schimpfen und Meckern. Es ist keine leichte Zeit, umso wichtiger ist es doch aber, dass wir dieses Miteinander, dieses UNS was wir gerade so sehr schützen wollen durch all die Maßnahmen, auch beleben. Indem wir MITeinander sind und nicht GEGENeinander.
Warum aber an alle NachbarInnen? Und nicht nur an Einzelne? Ja, das war eine besondere Challenge und ich hab anfangs kurz überlegt. Aber ich hab schnell gemerkt: Es gibt doch an JEDEM etwas, was ich schätze, auch wenn ich die Person vielleicht nicht sonderlich mag oder mich mit ihr schwer tue. Nein eigentlich GERADE dann sollte ich mich auf das fokussieren, was die Person ausmacht. Das sollten wir alle viel mehr tun. Also stand für mich schnell fest: Alle oder keiner. Und los gings.
Der Prozess war ein spannender. Immer wieder habe ich mich gefragt: Warum machst du das jetzt? Willst Du als Heldin dastehen? Aber das war es gar nicht. Im Gegenteil. Beim Schreiben habe ich die Freude und Wärme gespürt, die die Person vielleicht empfinden würde, wenn sie das liest. Na klar hab ich bei einigen auch gespürt, dass sie den Brief vielleicht lesen und die Stirn runzeln, sich denken: „Hä, was is da jetzt los?“ Immerhin schreiben wir uns hier im Haus ja nicht täglich Briefe. Im Gegenteil. Es war ein sehr wohliges Gefühl, diese vielen Briefchen zu schrieben. Auch wenn mir bald die Finger weh taten. Und es war unglaublich spannend, für jede Person etwas zu überlegen, was ich an ihr schätze. Ich hab so im Prinzip wirklich intensiv an jede/n von ihnen gedacht. Wann macht man das schon?
Als alle fertig waren, habe ich noch einmal gezögert. Soll ich die wirklich alle einwerfen? Was werden die alle denken? Wir kommt das an? Finden es nicht doch ein paar doof? Daran sieht man, wie unsicher wir in solchen Dingen sind. Vielleicht auch wie unerfahren. Weil wir so etwas viel zu selten machen. Uns sagen, was wir an uns mögen.
Also bin ich runter und habe schnell 64 kleine Briefe auf all die Briefkästen verteilt. Niemand hat mich gesehen, das fand ich schön. Und dann habe ich losgelassen.
Es dauerte nicht lange… Da kam eine Nachricht. Freude. Dankbarkeit. Hier noch eine Nachricht. Ein Klingeln an der Tür mit einem Briefchen in der Hand und der Frage nach: „Wow, wie komme ich dazu?“ Eine Nachbarin klingelte, weil sie es nicht lesen konnte, was dort stand, weil Deutsch nicht ihre Erstsprache ist. Das war besonders, ich musste meinen eigenen Brief, meine eigenen Zeilen an sie vorlesen. Und dann nahm das ganze Fahrt auf, eine, mit der ich nicht gerechnet hätte. Ich bekam plötzlich selbst ganz viel Post. Immer wieder lagen Zettel in meinem Postkasten oder vor der Tür. Und zu lesen, was darin stand, war berühren und hat mich wirklich umgehauen. Und mir gezeigt: wir sollten uns alle viel öfter sagen, was wir aneinander schätzen. Einfach so. Ohne Grund. Ohne Hintergedanken. Denn dann kann das, was zurückkommt, besonders wirken. Und das was nicht kommt, ist ja auch total okay. Mir ging es nicht um die Antworten, mir ging es um die Aktion an sich.
Besonders war, was das ausgelöst hat. Die Kinder haben das mitbekommen und Frau Klein hat dann kleine Briefe für Mama, Papa und ihre Geschwister gemalt. Das hat mich berührt, sie hat einfach gesehen, was ich tue und wollte das auch. Sie hat dann noch Briefe für ihre Lehrerinnen gemacht und Miniklein wollte dann welche für die Kindergärtnerinnen.
Am Ende hat das alle so viel Lächeln und Freude in die Welt gebracht. Das war wirklich herzerwärmend.
Vielleicht wollt Ihr das auch mal probieren. Es müssen ja nicht gleich 64 sein, eine Nachricht am Tag an einen lieben Menschen reicht ja schon aus. Wenn wir es schaffen immer wieder anderen ein Lächeln ins Gesicht zu zaubern, auch und GERADE in Zeiten wie diesen, dann haben wir etwas sehr wertvolles beigetragen für mehr MITeinander, was unsere Gesellschaft so dringend nötig hat.
Spread the love!
Das ist eine so schöne Idee. Ich selbst habe etwas Ähnliches auch mal gemacht. Ich habe meinen Geburtstag in einem Naturfreundehause gefeiert und für mich sehr wichtige Menschen eingeladen mit mir 3 Tage/2 Nächte (alle wohnen weiter weg und ich sehe sie selten) dort zu feiern. Jedem meiner Freunde habe ich einen kleinen Brief auf s Bett gelegt, den sie direkt bei ihrer Ankunft gefunden haben. Irgendwie war es für mich ein großes Bedürfnis jedem ein paar Zeilen zu schreiben (was ich an der jeweiligen Person schätze, in welchen Situationen ich an sie denken muss oder auch einfach die Beschreibung des Augenblicks, wo wir uns das erste Mal begegnet und wahrgenommen haben.) Ca. 20 Briefchen waren das und das Schreiben hat auch seine Zeit gebraucht. Aber wirklich alle kamen mir aus ihren Zimmern mit gerührtem Blick und einem Danke plus UMARMUNG!!! (hach….) entgegen…so schön und ich war sehr glücklich, dass ich diese Idee hatte! Liebe Grüße aus Tübingen! Ines
oh wow, das klingt auch sehr wundervoll! Und das sind auch Momente, die niemand vergisst. So schön! Danke fürs Teilen!