Ich bin heute ein Türchen. Bei Tafjoras Bloggers Weihnacht verstecke ich mich heute hinter der Nummer zwei. Dort könnt Ihr ein kleines Weihnachtsinterview mit mir lesen. Und ins Türchen gesteckt habe ich eine kleine Weihnachtsgeschichte, die ich extra für Euch geschrieben habe. Viel Spaß !
Der Hut der alten Dame
Als sie müde durch den Supermarkt wanderte, vorbei an den viel zu früh aufgestellten Weihnachtskeksen, Lebkuchen, Glitzer, Lametta und Kunterbunt, hörte sie im stetig laufenden Radio das erste mal den alljährlichen Weihnachtshit. Es versetzte ihr einen unbekannten kleinen Hieb. Ein Zwicken im Herzen. Unausweichlich war sie dem Weihnachtsfest in die Arme gelaufen. Wenn auch mehr spaziert, so war es nun da und mit ihm all die Gefühle, die sie nicht kannte, die ihr neu waren, die sie befürchtet hatte und lange verdrängt. Ein Durcheinander aus der einst so leichten, kindlichen Vorfreude, dem lustigen Taumel, dem Zauber und dem Wundersamen und gleichzeitig der so unbändigen Trauer darüber, dass sie dieses Fest nie mehr so wie früher, nie mehr so freudvoll genießen werden würde. Ohne ihrer geliebten alten Dame. Der Frau, die aus jedem Weihnachtsfest ein einmaliges Erlebnis zauberte. Die vom ersten bis zum letzten Advent diesen Glitzer und Zauber versprühte, so dass man gar nicht umhin konnte und Weihnachten lieben musste. Sie schaffte das, ohne kitschig zu sein. Ohne mit immer wieder gleichen Liedern und Geschichten aufzuwarten. Nein, sie steckte voller Überraschungen, sie immer wieder eine Überraschung selbst und mit ihr war jedes Fest neu und wunderbar.
Wie sollte sie nun dieses Fest genießen können? Wer würde Zauber versprühen, wer Glitzer verteilen? Wer würde die Lieder neu singen und Gedichte umreimen? Wer würde die Plätzchenformen so verbiegen, dass neue Figuren entstanden, wer würde den Schnee ins Wohnzimmer holen und ihm beim Schmelzen zusehen, jedes Kristall mit Kusshand verabschieden? Wer würde Ruhe und Besinnlichkeit in den Raum malen, wenn draußen alles zu viel war?
Sie wischte sich eine Träne aus dem Gesicht, bezahlte ihren Einkauf und ging heim. Durch den Regen und kalten Wind dieser Jahreszeit, die dieses Jahr noch kühler und noch viel grauer schien als sonst.
Sie trat in ihre feuchtkalte Altbauwohnung, ließ den Einkauf in der Küche stehen, zog sich die Schuhe aus und ging ins Schlafzimmer und legte sich auf den Boden. Unter dem Bett lag der alte Koffer der alten Dame. Der Dame, die eigentlich ihre Großmutter war, die aber zu eigensinnig war, um Oma oder Großmutter genannt zu werden. Sie wollte die alte Dame sein. Denn alt, das war sie nun einmal. Daran ließ sich nichts rütteln. Aber zumindest eine Dame wollte sie bleiben und keine kleine graue Oma, die man zum Kaffee besuchte, wenn man sich Zeit hatte und sonst in Fotoalben betrachtete. Nein, sie war die alte Dame. Darauf bestand sie. Und das hier, das war ein Koffer voller Überbleibsel einer zauberhaften alten Dame. Die ihrem Namen alle Ehre gemacht hatte.
All die Monate hatte sie den Koffer nicht angerührt. Hatte ihn damals unter das Bett geschoben und dort verstauben lassen. Nun kroch sie hinunter und zog ihn hervor, wuchtete das alte braune Lederding aufs Bett und spielte mit kalten und zittrigen Fingern an den Verschlüssen. Sie klemmten ein wenig. Doch irgendwann schnappte es und der Deckel hob sich ein wenig. Sie legte ihn zurück und betrachtete die Kleidungsstücke, die sie aus der Wohnung der alten Dame gerettet hatte, bevor diese geräumt wurde.
Es waren hauptsächlich Kleider und Röcke. Sie hielt jedes einzelne hoch, legte es um sich herum und betrachtete sich im Spiegel. Und mit jedem Kleidungsstück sah sie für einen kurzen Moment die alte Dame vor sich, wie sie darin fröhlich und lachend erzählte, tanzte oder einfach nur schweigend da war. Und mit jedem Kleidungsstück kehrte sie ein Stück näher zurück auf diese Welt und fehlte hier noch mehr. und so wurde jedes Kleidungsstück schwerer und von Wehmut geflickt.
Ganz unten im Koffer stieß sie mit dem Finger auf einen Reißverschluss. Es blutete ein wenig und sie begann zu weinen. Über den Schmerz oder über das endlose Fehlen der alten Dame. Es war egal. Diese näher gerückte, aus den Kleidungsstücken erwachte Erinnerung von eben stand staubig im Raum. Sie fehlte.
So saß sie eine Weile weinend auf dem Bett, den Finger wie ein kleines Kind im Mund, um das Blut zu halten, die Schmerzen aufzufangen und selbst nicht zu fallen. Es tat gut zu weinen, endlich einmal richtig zu weinen. Sie hatte das nie getan, hatte die alte Dame vermisst und sich mit dem Vermissen angefreundet, abgefunden. Arrangiert.
Und als sie sich leer und ausgeweint fühlte, als keine Träne mehr kam, begann sie die Sachen wieder einzusammeln. Sie wollte sie zurück in den Koffer legen, als ihr der Reißverschluss noch einmal ins Auge fiel. Sie zog ihn vorsichtig auf und tastete mit der Hand in den Spalt, der sich so öffnete. Und fühlte ein Stück seidigen Stoff. Er war steif, aber glatt und sehr weich. Darauf spürbar kratziger Glitzer. Sie begann daran zu ziehen, vorsichtig, um dabei die schmale Reißverschlussöffnung nicht zu zerstören. Als sie das Stück endlich heraus hatte, erschrak sie, denn es klappte sich wie von selbst auf. Und dann lächelte sie. Aus dem Lächeln wurde ein Lachen, dann ein Weinen. Sie konnte es selbst nicht unterscheiden. Und sie konnte nicht verstehen, wie sie den alten Hut vergessen haben konnte. Wie konnte es sein, dass sie sich an all die fröhlichen Weihnachtsmomente mit der alten Dame erinnerte, aber dabei den Hut vergessen hatte? Den Hut, den sie immer getragen hatte. Mit dem sie immer aufgefallen war. Der ihr Markenzeichen war. Ein Teil von ihr. Oder sie ein Teil von dem Hut, der so schräg, so bezeichnend auf ihrem Kopf wippte.
Der Hut war schneeweiß mit glitzerrosaroten Kugeln darauf und zart gelben Sternen. Sie setzte sich den Hut auf den Kopf und lächelte wieder. Und ihr ganzer Körper lächelte mit. All die Trauer, die Wehmut, der Schmerz waren verflogen. Sie fühlte nichts als Freude und Leichtigkeit. Genau die Leichtigkeit, die sie so vermisst hatte. Die sie all die Jahre gespürt hatte und die nun, zum ersten Weihnachtsfest ohne der alten Dame, nicht mehr auffindbar schienen.
Sie ging in die Küche und schaltete das Radio an. Sie hörte Weihnachtslieder und lachte darüber. Über ihre kitschigen Texte und schon begann sie, alle umzudichten. Sie sang und tanzte. Der Hut wackelte dabei auf ihrem Kopf und sie wackelte mit. Sie räumte den Einkauf in die Schränke und sang dabei. Sie ging durch die Wohnung und kramte die Weihnachtslichter heraus. Sie räumte und stellte und spürte einen Drang, der ihr fremd war. Und erst, als sie sich müde nieder setzte, bemerkte sie, dass ihre Wohnung der, der alten Dame glich. Dass es so aussah, wie das Weihnachtsfest vor einem Jahr. Weil nichts kitschig war und alles doch so zauberhaft schön. Weil hier und da ein Licht leuchtete, ein Stern stand und ein Männchen räucherte. Und es roch nach dem Weihnachten der letzten Jahre. Und plötzlich freute sie sich auf dieses Fest. Sie freute sich darauf, diesen Glitzer und Zauber weiter zu versprühen. Ihn weiter leben zu lassen. Sie wollte ihren Kindern und ihren Freunden Lieder neu singen und Gedichte umreimen. Sie wollte mit ihnen Plätzchenformen verbiegen und tanzen und lachen. Und Ruhe in den Raum malen, wenn draußen alles zu viel war.
Erst, als sie den Hut absetzte, spürte sie die Schwere und Wehmut wieder, die sie bis heute getragen hatten. Bis sie den alten Hut gefunden hatte. Doch sie spürte sie zugehörig, diese Gefühle, die da aufkamen. Sie nahm sie an und umarmte sie.
Sie wusste nicht mehr, ob es der Hut war, oder der Reißverschluss, der ihre Tränen freigelassen hatte. Aber es war ihr auch egal. Wenn Schwere und Wehmut ihr zu Nahe kamen, zu eng schnürten, dann nahm sie ihren Hut und tanzte mit der Leichtigkeit einen Walzer durchs Wohnzimmer. Das hätte die alte Dame sicher gefreut.
Liebe Nadine,
danke dass Du bei mir mitgemacht hast.
Ich kannte ja diese Geschichte vorher nicht, ich habe sie heute auch zum ersten Mal gelesen. Es ist so schön geschrieben und es passt schon wieder so.
Diese Geschichte hat mich sehr berührt. Es graut auch mir ein bisschen, denn es ist mein erstes Weihnachten ohne meine geliebte Mama. Sie liebte Hüte und tanzen und Weihnachten und machte einfach jedes Fest noch schöner.
Ich danke Dir für diese schöne Weihnachtsgeschichte, auch wenn sie mich ein paar Tränen gekostet hat. Meine Mama liebte Geschichten und diese hier, hätte ihr mit Sicherheit auch gefallen. Ein wunderschönes 2. Türchen, herzlichen Dank und eine schöne Adventszeit für Dich und Deine Lieben!
Was für eine schöne Geschichte. Es stimmt schon, dass man zu dieser Zeit des Jahres immer wehmütig wird. Ich könnte da auch eine Geschichte drüber schreiben.
Eine wirklich schöne, schöne Geschichte!
Mit tollen Worten und lebendigen Bilder!
Danke für dieses tolle Türchen!