Die Mutmachparade, ins Leben gerufen von Hannes auf seinem Jazzblog, hat mich gereizt. Das Thema ist eines, was ich selten betrachte. Wohl aus Gründen, denn ich halte mich nicht für besonders mutig. Halt. Ich hielt mich nicht für besonders mutig. Bis ich über diese Mutsache nachdachte.
Ich habe lange überlegt, welche Situationen im Leben ich als mutig beschreiben würde. Wann war ich mutig? Was habe ich gewagt? Es wollte mir lange nichts einfallen. Es kostet mich zwar immer wieder Überwindung, zum Zahnarzt zu gehen, aber das tue ich dann, wenn ich keinen Ausweg mehr sehe. Hat – wie auch Mama arbeitet schon geschrieben hat – also wenig mit Mut zu tun. Ist mehr ein Sein müssen oder Machen müssen. Und davon gibt es vieles im Leben. Was hat nicht sein müssen? Was habe ich aus freien Stücken getan und bin dabei über mich selbst etwas hinausgestiegen?
Immer dann, wenn ich den sicheren heimatlichen Hafen verlassen habe. Wenn ich mich in neue Gefilde begeben habe. Denn ich bin wohl so etwas wie ein Stubenhocker. Eine, die gern da ist, wo man sie kennt. Wo sie sein kann, wie sie ist. Wo sie sich gut aufgehoben fühlt. Zu Hause quasi.
Dennoch habe ich genau dieses Nest immer wieder verlassen. Habe genau hier gewagt und mich dann auch immer allein aus dem Hafen gestohlen.
Als ich joblos nach Großbritannien auswanderte nach dem Studium zum Beispiel. Das war schon mutig. Denn ich hatte so überhaupt keine Ahnung, was ich wirklich vor hatte. Ich kannte 2 Menschen dort, zog in ihre WG ein und dann… dann ließ ich mich da sehr treiben. Von Träumen und Illusionen. Dass ich dann 4 Wochen später von dort, wo ich gerade neu gelandet und am Zurechtfinden, in einem neuen Job einarbeitend, war, die Zelte abbrach, um noch weiter ins Nichts, auf eine schottische Insel zu reisen, war wohl durchaus mutig. Denn nun betrat ich auch sprachliches Neuland. Das können alle bestätigen, die schon mal in den Highlands versucht haben ein Gespräch auf „Englisch“ zu führen. Ich folgte einer banalen Stellenausschreibung auf eine Insel, auf der ich 6 Monate sein würde. In ein Dorf, dessen Namen ich mir buchstabieren lassen musste, damit ich es finde. Aussprechen konnte ich es lange nicht. Umgeben von ausschließlich Fremden. Schlimmer: Von alteingesessenen Dorfbewohnern. Die alles neue mit skeptischem Blick betrachten. Es war bis dato wohl so ziemlich das Größte, was ich gewagt habe. (Nungut. Es war auch immer wieder mutig zu sagen: Ich trinke heute keinen Alkohol. Das ist dann wohl die britische Form von Mut.)
Vielleicht ist dieses Hafenverlassen nichts im Vergleich zu dem, was andere wagen. Aber ich denke beim Thema Mut geht es nicht darum, wer am meisten wagt. Es geht darum, wer etwas wagt, was für ihn herausfordernd und eben: mutig ist.
Und das ist es: Mut ist nicht unbedingt etwas, wozu man den Menschen animieren kann. Ich glaube nicht, dass ich jemandem Mut machen kann für eine Entscheidung, eine Sache, die er allein nicht tun würde. Weil der Mut dann kommt, wenn man bereit ist. Wenn es an der Zeit ist. Wer etwas tut, was andere für mutig halten, der hätte das mit oder ohne Zuspruch getan. Weil er in dem Moment genau das wollte. Weil er genau jetzt bereit dazu war.
Genauso mutig war ich, als ich mich aufmachte allein nach Jamaica fliegend, um dort mit mir völlig fremden Menschen an einem Earthship zu bauen. Das sind für mich mutige Momente. Wenn ich am Heimat(flug)hafen stehe und denke „Noch kannst Du zurück. Noch bist Du hier und kannst alles hinwerfen.“ Weil ich weiß, dass da drüben, wenn der Flieger landet, niemand da ist, der mich auffängt. Ist der Flug geschafft, geht das Auf mich gestellt sein weiter. Bus finden, Hotel finden. Die Menschen finden, mit denen ich die nächste Zeit verbringe. Smalltalk führen, Kontakte knüpfen. Am Ball bleiben und dennoch ich selbst bleiben. Je mehr ich darüber nachdenke, umso mutiger erscheint mir das. Für mich. Kleinen Heimathasen.
Man entdeckt keine neuen Erdteile, ohne den Mut zu haben, alte Küsten aus den Augen zu verlieren. (André Gide)
Und so versuche ich niemandem Mut zu machen. Auch meinen Kindern nicht. Denn die sind neugierig. Von sich aus. Die probieren aus und testen. Die geben auf ohne Scham. Die tun und lassen. So, wie sie wollen. Was davon für sie mutig ist und was nicht, das bestimmen sie. Weil nur sie fühlen, ob etwas für sie herausfordernd ist oder nicht. Letztendlich würde ich es nicht ertragen sie zu etwas zu ermutigen, wobei oder wonach sie leiden würden. Dafür bin ich nicht mutig genug.
Auch nicht für Konflikte oder Auseinandersetzungen. Denen gehe ich lieber aus dem Weg. Früher bezeichnete ich Menschen, die aussprachen, was sie dachten, als mutig. Heute weiß ich, dass das einfach eine andere Sorte Mensch ist, als ich es bin. Obwohl ich selbst auch mehr sage, mehr anspreche und mehr zu mir stehe. Da bin ich wohl gewachsen, anders, aber nicht mutiger als früher.
Das Wort Mut ist für mich während dieser Überlegungen zu dem Text deutlich an Bedeutung geschrumpft. Denn Mut ist nicht mehr das Große, das Besondere. In meinen Augen ist es das, was einen Menschen in einer ganz speziellen Situation vor eine ganz spezielle persönliche Herausforderung stellt. Ob das bedeutet, dass ich einem anderen Menschen dabei helfe, dass ich etwas bewirke, oder ob ich das ganz für mich mache – ist für mich dabei nicht von Bedeutung. Mut ist, wenn ich etwas tue, von dem ich gestern noch glaubte, es niemals tun zu können. Mut ist neu sein. Mut ist aber auch: neu sein wollen.
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