Ziemlich anders

IMG_7107Morgen gehen wir mit Herrn Klein dahin zurück, wo seine Lebensgeschichte eine wesentliche Wendung nahm: Ins Krankenhaus. Wir werden die kinderkardiologische Station besuchen, auf der er aufgenommen wurde und wenn alles gut geht auch die Intensivstation, auf der er 4 Tage verbracht hat. Wir werden mit der Leiterin der Kinderkardiologie reden und vor allem dabei ihm zeigen, wo seine Geschichte stattgefunden hat. Warum wir das tun, habe ich hier schon angedeutet.

Natürlich bin ich ein wenig nervös. Nicht nur, weil es auch mich betrifft, all diese Orte wieder aufzusuchen. Nein, vor allem auch, weil ich nun zu dem Schluss gekommen bin, dass Herr Klein seine OP Geschichte ganz und gar nicht (gut) verarbeitet hat. Aber wie komme ich da drauf?
Es ist eigenartig, aber wenn man behauptet, das eigene Kind wäre super und toll, dann ist man eine nervige Übermutter die glaubt, ihr Kind wäre besonders. Wenn man jedoch behauptet, dass das eigene Kind sehr eigen und irgendwie bedenklich anders wäre, dann ist man die Helikoptermutti, die übertreibt. Die ihrem Kind etwas andichtet, wo es doch einfach nur ein „ganz normals fröhliches Kind“ ist, vielleicht ein wenig sensibler, anders als die anderen.
Ich habe das die letzten fünf Jahre oft gehört. und vieles mehr. Wenn ich die ersten Auffälligkeiten aufzähle, dann winken viele lächelnd ab. „Ach“, sagen sie, „das ist doch normal. Er ist halt sensibler als die anderen. Anders eben.“ Und ich möchte dann laut schreien. Weil ich mir dieses Anderssein jahrelang eingeredet habe. Weil ich wollte, dass er normal ist und dass ihn seine Herzgeschichte nicht anders gemacht hat als andere Kinder. Also habe ich jedes Anderssein als geringfügige Abweichung von der Norm hingenommen. Kinder sind verschieden, jedes Kind ist anders und das jeden Tag sowieso. Er ist halt wie er ist und das ist gut so. Wer will schon normal sein, oder? Aber wenn man diese Sätze hundertmal gehört hat, dann möchte man sie einfangen, in eine Rakete setzen und in die Luft jagen. Denn ja, mein Kind ist anders als die anderen, aber das ist doch gut. Und nein, ich finde es nicht mehr normal anders, ich wünsche mir für mein Kind ein wenig mehr Normalsein.

Aber woher kommt das, dieses Anderssein? Die OP? Ach was, viele Kinder haben kleinere oder größere Eingriffe gehabt. Das muss nichts bedeuten. Stimmt. Habe ich mir auch immer gesagt. „Ein Trauma will ich ihm nicht andichten.“ habe ich immer gesagt. „Aber sobald ich Anzeichen entdecke, möchte ich handeln. Ich möchte wachsam sein.“ Aber weil mir immer wieder gesagt wurde, sein Verhalten sie so normal und er wäre halt nur ein wenig anders, habe ich nicht gehandelt, obwohl ich die Anzeichen schon lange sah. Nein, eine OP muss nicht traumatisieren. Aber es kann sein. Und wenn es so ist, dann sollte man der Realität ins Auge sehen und dazu stehen.

„Aber andere Kinder haben viel schlimmeres erlebt.“ Ja, die sind viel zu früh geboren. Oder sehr krank geboren. Mussten direkt nach der Geburt in den OP. Konnten nicht 6 Monate mit Mama kuscheln und sich darauf vorbereiten. Stimmt. Also habe ich keinen Grund zur Sorge. Und der Herzfehler war ja auch nur banal. Ein kleiner einfacher. Routineeingriff. Das macht die 7-Stunden OP natürlich zu einer Banalität im Vergleich zu einer 7-Stunden komplexeren OP. Klar.

„Hast Du es schon mal mit Osteopathie / Kinesologie / Cranio Sacraltherapie / Ergotherapie oder Schakaltherapie probiert? Das hat bei uns gut funktioniert.“ Schön, das freut mich für Euch. Diese Therapien sind sicher alle ganz wunderbar und wertvoll. Aber keine davon kann alle Aspekte, die mich beschäftigen, behandeln. Es sind immer Ansätze an einem Punkt, die dann etwas aufdecken und dort, aber nur dort weiterverfolgen. Dabei bleibt wieder anderes auf der Strecke. Und ganz besonders eben das Psychische. „Aber das muss man ganzheitlich betrachten.“ Jaja. kann man und muss man. Und auch deshalb habe ich zugewartet. Erst das Herz und die Heilung. Dann die Ankunft der Schwester, die ihn durchschüttelte. Dann zwei Armbrüche in einem Jahr, inklusive zweier OPs. Dann Polypen inklusive OP. Jetzt der Zahnwechsel. Irgendwas ist immer, dass ihn ganzheitlich aus dem Ruder geraten lässt. Und wenn ich weiter warte, bis etwas vorbei ist, er sich von etwas erholt hat, dann kommt schon das nächste. In einem Jahr noch ein Geschwisterchen und der Schuleintritt…

Nein, ich mag nicht mehr zuschauen und zuwarten, ob er sich nicht doch noch fängt, „entwickelt“, „normaler“ wird und weniger anders.
Ich werde morgen ganz bei ihm sein. Ich werde das Herzbuch nicht aufschlagen, weil ich gemerkt habe, wie sehr es ihm Angst macht. Und ich werde danach kein Gespräch mit ihm über den Besuch im Krankenhaus anfangen, weil ich gelernt habe, dass er das im Keim erstickt und in den Daumen saugt, sich ins Universum starrt und wartet, dass wir aufhören damit. Sehr viel wahrscheinlicher werde ich einen Psychologen suchen. Einen, der sich mit Kindern auskennt und ihnen keine Diagnose verpasst beim ersten Besuch. Aber einen, der mir sagen kann, was wir alle wie tun können, damit unser Sohn ein Stück normaler, leichter und entspannter wird. Eins von diesen Kindern, die normal sind oder eben auch nicht. Hauptsache nicht mehr so anders anders. So erschreckend anders.
Wer gute Empfehlungen hat für Kinderpsychologen in Wien oder mir Rat geben kann, worauf ich bei der Suche achten soll, dem bin ich sehr dankbar für jegliche Inputs und Hinweise. 

Dieser Beitrag hat 4 Kommentare

  1. Bianca

    Hallo,
    Ich lese immer wieder deine Blogbeiträge und von der Vorstellung, die ich von dir und deiner Familie habe, könnte ich mir vorstellen, dass mein Therapeut für euch passen würde. (Walter Hermann – http://psychotherapeutwien.com/index.html). Vielleicht einfach mal die Seite anschauen und auf dich wirken lassen. Therapeutensuche ist ja immer sehr individuell…
    Ich kann jeder/m, der sich für die Beratung durch einen Therapeuten entscheidet, nur gratulieren (und ich selbst bin keine Therapeutin ;)). Ich finde es jedenfalls super, dass du diese Entscheidung getroffen hast und traue mich dir zu versichern, dass du dir, deinem Kind und auch den anderen Familienmitgliedern damit die Chance gibst ganz neue Perspektiven für sich zu entdecken.

    Was ich ausserdem für mein Kind und mich aus unserem Leben nicht mehr wegdenken möchte, ist der ganzheitliche Ansatz der TCM (traditionellen chinesischen Medizin). Hier wird nämlich das ganze System in die Istzustand-Analyse (Familien- und Lebenssituation, einschneidende Erlebnisse, Ernährung, Krankheiten…), aufgenommen und körperliche und geistige Ebene werden nicht getrennt, sondern als zusammenhängende und sich beeinflussende Einheiten gesehen. Ausserdem arbeitet man nicht problem- bzw. symptomorientiert, denn die Symptome sind nach der TCM nur die letzte Instanz des Körpers eine schon viel früher und vielleicht auch anderer Stelle eingetretene Disharmonie aufzuzeigen. Die Tipps und Anleitungen der TCM umfassen u.a. chin. Energiemassage, Ernährung, motorische Übungen, Mentaltraining. Und das eigentliche Ziel ist es durch bewusste Lebensführung die Gesundheit und Energie zu erhalten und Krankheiten dadurch vorzubeugen. Mein Sohn und ich gehen regelmäßig zu Marija Angerer von http://vollgesund.at/ und ich kann sie wirklich nur weiterempfehlen. Ich hab mich viel mit TCM beschäftigt und mache auch eine Ausbildung in dem Bereich Kinder und TCM. Falls du Lust hast mehr über diesen Ansatz zu hören (vielleicht irgendwo am Spielplatz, am besten in der Sandkiste, da hält mein Kleini sich am liebsten auf), dann würd ich mich freuen. Ich liebe es nämlihc zu tratschen und mich mit Gleichgesinnten auszutauschen :)
    Schönen Abend noch
    Bianca

  2. andrea

    aus der ferne schicke ich dir einfach mal ein daumenhoch. wenn dein gefühl dir sagt, es in an der zeit diesen weg zu gehen, dann ist es gut, sich auf den weg zu machen. vielleicht erstmal allein, ohne herrn klein, einen therapeuten suchen und kennenlernen und ihn dann mitnehmen, wenn ihr vertrauen aufgebaut habt. die traumatisierung betrifft ja nicht nur ihn, sondern auch für eine mutter/einen vater ist eine solche erfahrung traumatisch. ich könnte mir sogar vorstellen, dass es zunächst wichtiger ist, dass ihr das geschehen verarbeitet. alles gute, andrea

  3. Felicitas

    Etwas spezielles bietet Jesper Juul an: Eine Beratung via Chat – ich glaub dass das sehr gut funktionieren könnte. Ansonsten bin ich sehr begeistert von der Family Counceling Ausbildung, die man eben auch bei Jesper Juul machen konnte und könnte Dir hier jemanden empfehlen, wenn die Richtung die deinige ist.

  4. Tanja

    Ich lese deinen Blog regelmäßig und bei einer meiner letzten Fortbildung tauchte ich ein Thema ein, welches mich an Familie Klein, insbesondere Herrn Klein, denken ließ. Es geht um die Arbeit am Tonfeld, eine bewährte und wirksame Methode, um Entwicklungen gezielt nachzuholen, Verhaltensauffälligkeiten auszugleichen und ureigene Potentiale der Persönlichkeit zu entfalten. Mehr dazu findest du unter http://www.tonfeld.de/. Schau doch mal rein wenn du magst.

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