Wenn Tränen heilen und Knoten sich lösen

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In letzter Zeit fühlte ich einer immer schwerer werdende Erschöpfung über mich hereinbrechen. Von Tag zu Tag fühlte ich mich schwerer, müder und leerer. An meinem Geburtstag liefen mir unerwartet ein paar Tränen übers Gesicht und ich konnte sie lange Zeit gar nicht einordnen.

Nach und nach sortierte ich mich durch das Chaos im Kopf, versuchte die Knoten zu verstehen und zu entwirren, schluckte unliebsame Gefühle schmerzhaft hinunter.

Gestern abend hatten wir dann seit Wochen die Kinder einmal wieder zu einer gesegneten Zeit im Bett und beschlossen, den vor uns liegenden Abend für ein Zwiegespräch zu nutzen. Wir hatten den ganzen Sommer keines geführt und teilweise war daran auch – wie ich gestern erkannte – mein für mich lange noch unbegreiflicher Seelenzustand schuld. Ich mied das Zwie und die Auseinandersetzung mit mir selbst.

Doch nun saß ich dem Liepsten gegenüber und begann bruchstückhaft zu erzählen. Immer wieder unterbrochen von Schlucken und Schweigen, bis die Tränen aus mir heraus liefen und sich Knoten um Knoten löste. 90 Minuten später fühlte ich mich leichter, zuversichtlicher, fröhlicher. Und auch heute zehre ich noch von der Erleichterung in Kopf, Herz und Brust.


Tränen reinigen das Herz. – Fjodor Dostojewski


Es hat mir wieder einmal gezeigt, wie wichtig das Weinen ist, das Herauslassen. Vor allem das, was einfach vom Gegenüber angenommen wird. Der Liepste saß nur da, hörte mir zu, war anwesend und nahm wortlos auf, was ich ihm teilweise in Worten, teilweise in Tränen gab. Es war alles, was ich brauchte. Ich wollte keine Lösungen von ihm, kein Streicheln oder Hätscheln. Ich wollte das nun endlich nur aus mir rauslassen.

Ähnlich erlebe ich das auch bei den Kindern. Wenn ich ihr Weinen aufnehme und zulasse, dann sind sie hinterher wieder viel freier und unbefangener, als wenn ich dem keinen Raum gebe. Schon als Baby habe ich ihnen das Weinen erlaubt. Ich habe sie nicht mit „Sssshhhh“ Lauten beruhigt und nicht geschaukelt. Ich habe sie in meinem Arm gehalten und ihr Weinen aufgenommen. Ich versuchte sie zu verstehen oder ihnen Worte für ihr eigenes Empfinden zu geben. „Das war ein irre anstrengender Tag und wir hatten keine Ruhe für uns.“ oder auch „Ich weiß gar nicht so recht, was mit dir los ist, aber du bist gerade sehr traurig und musst viel weinen, das ist okay, ich bin da und halte dich.“ Mir war es immer wichtig, dass die Kinder in ihrem Weinen nicht gestoppt wurden, aber begleitet und geliebt. Dass sie dabei selbst Worte für ihr Innenleben bekommen, um dieses nach und nach begreifen zu lernen.

Manchmal überkommt sie auch ein großes Weinen, wenn ein kleiner körperlicher Schmerz entsteht. Ein kleines Stolpern führt zu einem kleinen Schreckweinen, wir trösten sie und ihr Weinen wird plötzlich stärker und lauter. Als würde dadurch ein Damm aufbrechen und aufgestaute Gefühle kommen heraus. Das merke ich, wenn das Weinen den vermeintlichen Schmerz bei Weitem übersteigt. Bei Frau Klein ist das oft der Fall, die hier als mittleres Kind immer wieder einfach so im Alltag mit durch kleine Lücken rutscht. Ungewollt und unbewusst. Und das sage ich ihr dann auch.

Wir sind meist gewillt das Weinen unserer Kinder als Alarmzeichen zu sehen, etwas richten zu müssen. Das ist normal und manchmal ist das auch gut und richtig. Da brauchen sie Nahrung oder eine frische Windel, eine Decke oder dringend Schlaf, eine ruhige Ecke und etwas Abschottung. Aber manchmal, da müssen sie all diese Gefühle, die auch sie schon durchleben, herauslassen. Denn sie können sie noch nicht alle so begreifen. Selbst wir können das nicht immer, das habe ich nun wieder selbst erlebt. Und manchmal, da können wir wirklich einfach nichts machen, da sind sie so überwältigt von sich selbst, da brauchen sie einfach nur unsere Nähe und das Gefühl der innigen Geborgenheit. Dann können ihre Tränen ihre kleine zerrissene Seele heilen und die Knoten in ihren kleinen Herzen und Köpfen lösen. Und danach können sie häufig tiefer und erholsamer schlafen oder sich wieder ganz neu und frei ihrem Spiel hingeben.


Weinen öffnet die Lungen, wäscht das Antlitz, ist eine gute Übung für die Augen und besänftigt. Also weine ruhig. – Charles Dickens


Wie geht es Euch mit dem Weinen? Könnt Ihr es oder vermeidet Ihr es? Spürt ihr den Schmerz im Hals beim Schlucken von Tränen, die hinaus wollen? Oft haben wir nämlich nicht gelernt, dass Weinen okay ist. Viele Menschen können damit nicht umgehen. Umso wichtiger ist es, dass wir unseren Kindern vermitteln, dass Tränen heilsam sind.

Dieser Beitrag hat 2 Kommentare

  1. andrea

    -weinen ist wie duschen von innen- sagte ich irgendwann mal unter tränen lächelnd zu meinen kindern, um ihnen zu signalisieren, dass es mir gut geht, obwohl ich weine. oder richtiger, weil ich weine. ja, ich weine, wann immer mir danach ist. am anfang (vor sieben jahren nach zwei sehr traumatischen erfahrungen kurz hintereinander) habe ich fast ein halbes jahr durchgeweint, bis alles raus war, was sich in meinem vierzigjährigen leben angestaut hatte. dieses rausweinen war nicht nur der beginn der heilung. es war auch der beginn, wo mein humor und meine fähigkeit zu lachen sich entwickeln konnte. – wer von herzen weinen kann, kann auch von herzen lachen – fiel mir auf und inzwischen bin ich mir ganz sicher. nur wer beides lebt und zulässt, ist wirklich ganz und gar lebendig. feines thema. danke! andrea

  2. Julia

    Liebe Nadine!
    Wenn es tatsächlich so ist, wie du es schilderst, bewundere ich dich. Ich würde gern die Gelassenheit haben, meine Kinder weinen zu lassen und ich bemühe mich jeden Tag immer wieder aufs Neue. Gleichzeitig spüre ich in solchen Momenten aber auch einen riesigen Druck von innen: Das unangenehme Gefühl, Weinen als störend und laut zu empfinden, den inneren Impuls, meine Ruhe haben zu wollen ( ich alte Rabenmama), das heimliche Kopfschütteln der Anderen, weil sie das Weinen als „Heulen“ oder „Schauspielerei“ empfinden und v.a. die Sorge, ein Bedürfnis des Kindes übersehen zu haben und in dem Moment des Weinens immer noch nicht darauf einzugehen. So kommt es bei unserer Älteren (3 Jahre) immer noch dazu, dass ich mich erwische, wie ich sie beim Weinen versuche abzulenken und bei unserem Jüngsten (7 Monate) dazu, dass ich doch immer wieder zu einem „Schhh“ und einem Schuckeln komme. Ich habe es schon so häufig gelesen und würde es so gern hundertprozentig umsetzen, aber schwer finde ich es allemal immer wieder…

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