Wenn Du bereit bist

IMG_7789Unlängst las ich einen Artikel, in dem es um das Sauberwerden ging. In den Kommentaren  erschien dann immer wieder die gleiche Frage: Wann soll ich damit beginnen? Wann ist der richtige Zeitpunkt?

Doch nicht nur beim Thema Sauberwerden stellen Eltern die Frage, wann sie was machen können, dürfen oder sollen. In sämtlichen Entwicklungsfragen bangen Eltern, den richtigen Zeitpunkt, das entsprechende Entwicklungsfenster nicht zu verpassen. Wann soll ich mit der Beikost beginnen? Wann sollte mein Kind allein (ein)schlafen? Wann brauchen Kinder keinen Buggy mehr? Wann kann ein Kind Laufrad fahren? All diese und tausend mehr Fragen durchziehen die ersten Jahre Elternsein. Und die Medien bestärken das. Sie schlagen vor, wann wir welche Fähigkeiten fördern oder trainieren sollen. Unzählige Ratgeber und Internetseiten beschreiben Anzeichen, wann die Bereitschaft wofür da ist so wie Symptome einer Krankheit. Und so, wie viele Menschen auf die Vielzahl an Symptombeschreibungen im Internet anspringen und die bösartigsten Krankheiten bei sich vermuten, so halten viele Eltern an eben diesen Beschreibungen der Fähigkeitsanzeichen von Kindern fest und versuchen, immer alles zum richtigen Zeitpunkt möglichst richtig zu tun.

Dabei könnten viele Ratgeber ein Einwortsatz sein, viele Bücher das wertvolle Papier sparen und viele Eltern schlafen oder sich entspannen, statt zu grübeln. Denn:

Wann ein Kind wofür bereit ist, sagt uns einzig und allein das Kind selbst. 

Babys äußern sich, wenn sie außer der (Mutter)milch auch feste Nahrung probieren wollen. Sie setzen sich auf, wenn sie die motorischen Fähigkeiten dafür lange selbstständig geübt haben und sicher beherrschen. Kleine Kinder zeigen an, wenn sie selbst auf den Topf oder das Klo wollen, wenn sie die Windel nicht mehr brauchen. Kinder gehen auf dem Spielplatz auf die Rutsche, wenn sie es wollen, wenn sie Lust dazu haben. Und Kinder sind bereit das Fahrradfahren zu erlernen, wenn sie von sich aus den Drang danach verspüren.

Aber es ist nicht allein die Tatsache, dass Eltern viel zu sehr in die Entwicklung eingreifen, viel zu sehr „ziehen“ und „zerren“, die mich immer wieder erschreckt. Es ist vor allem das fehlende Vertrauen der Eltern heutzutage. Vertrauen, dass in den Kindern alles steckt, was sie brauchen. Wir richten uns immer mehr nach Ratgebern, nach Normtabellen, nach Entwicklungskurven und Bildungsplänen. Was wir nicht mehr tun ist da sein. Präsent sein und Beobachten. Denn nur so können wir das Vertrauen wieder herstellen. Wenn wir uns die Zeit nehmen unsere Kinder einfach frei und unbefangen zu beobachten, in ihre Welt einzutauchen und ein Teil dessen zu sein, dann werden wir recht schnell sehen, dass sie sich mit viel mehr beschäftigen, als wir von außen glauben. Dass sie viel mehr können, als wir auf den ersten Blick sehen. Und dass sie stetig lernen. Bei allem, was sie tun. Selbst, wenn sie (vermeintlich) nichts tun.

Magda Gerber hat immer und immer wieder gesagt:

Do less. Observe more. Enjoy most.

Und damit hatte sie nicht nur die pure Freude, die uns umhüllt, wenn wir unsere Kinder ohne Nebenbeitätigkeit, ohne Handy in der Hand, ohne rasselnden Hinterkopfgedanken an die gerade nicht erledigten Sachen beobachten im Kopf. Diese Freude, die wir erfahren, wenn wir unsere Kinder beobachten und dabei erkennen und sehen, was uns sonst entgeht, wenn wir diese Entwicklungsschritte miterleben, die Freude der Kinder selbst über das, was sie gerade wieder entdeckt haben, den stetigen Forscherdrang, die ist unbezahlbar. Und gleichzeitig nährt sie das Vertrauen in unsere Kinder.

Es ist nicht immer leicht, einfach „nur“ zu beobachten. Denn es reden viele Menschen mit, wenn man sein Kind erzieht. Da sind Hebammen, die zwar wichtig und unabdingbar sind, die aber auch in gewissen Dingen (ich erinnere mich da an Schnullertips) manchmal andere Meinungen haben und damit bereits recht früh verunsichern können. Dann spricht der Kinderarzt, der oft neben seiner Meinung auch eine gewisse Autorität vertritt. Großeltern und Bekannte haben grundsätzlich viele verschiedene Meinungen und im Kindergartenalter kommen dann die PädagogInnen hinzu. Um nur ein paar Menschen zu nennen, die uns unser Vertrauen manchmal recht schnell und grob nehmen können. Und genau deshalb ist diese Beobachtung, dieses Präsentsein und achtsame Aufmerksamsein, mit dem Kind im Dialog sein, so wichtig. Oft wurde auch ich schon verunsichert. Was mich jedoch meist wieder beruhigt hat, war meine eigene Beobachtung meiner Kinder, der Situation – unserer Situation.

Und deshalb geht es nicht darum, wann ich das Sauberkeitstraining beginnen sollte, wann ich die Beikost einführen müsste oder wann ich mein Kind zum Fußball oder Turnen anmelden könnte oder wie ich am besten Höflichkeit und Teilen beibringe. Es geht darum zu vertrauen, dass mein Kind mir das sagen oder zeigen, oder manches einfach tun wird. Wenn es bereit dazu ist. Und wenn es selbst für sich das Vertrauen spürt, dass wir ihm das Zutrauen.

weitere Texte dieser Seite zum Thema:
Vom Zutrauen und Zulassen
Das Selbst in Selbständig
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Dieser Beitrag hat 7 Kommentare

  1. Lorelai

    Ich teile diese Ansicht in Bezug auf alles ausser das Sauberwerden. Indem wir unseren Babys gleich nach der Geburt Windeln anziehen, verlernen sie das Gefühl für ihre Ausscheidungen. Die heutigen Wegwerfwindeln absorbieren (im Vgl z.B. mit Stoffwindeln) den Urin derart schnell, dass das Kind nicht mehr merkt, wenn es pinkelt. Ich erlebe immer wieder Mütter, die dann kurz vor dem Kindergarteneintritt im Alter von 4+ Jahren (Kindergärtnerinnen wollen keine Windeln wechseln) „noch schnell das Töpfchentraining durchziehen“ – entweder weil sie dachten, dass ihr Kind dann schon noch trocken wird oder weil sie schlicht zu faul waren, es ohne Windeln zu versuchen. Und dann muss es plötzlich schnell gehen. Es gibt hier Windeln, die noch 5-Jährigen passen und in den USA, wo es gerade in ist, darauf zu warten bis das Kind trocken werden will, gibt es Windeln, die noch Primarschülern passen (und tatsächlich auch solche, die sie noch tragen). Eine Mutter von 7(!) Kindern, von denen sie glaube ich die letzten 4 windelfrei aufwachsen liess, sagte mal kurz und prägnant: Ein Kind, das laufen kann, kann auch seine Schliessmuskeln kontrollieren. Mir gab das zu denken und ich probierte es wenig später selber aus. Gleichzeitig wechselte ich noch auf Stoffwindeln. Ich war nicht ganz so konsequent wie man sein sollte (die Windeln komplett weglassen). Meine Tochter war dann innerhalb von 2 Monaten trocken (sie war damals 20 Monate alt). Ich stimme aber in einem Aspekt überein: Es gibt Kinder, die wollen nicht trocken werden bzw. nicht ohne Windel sein. Ohne Windel fühlen sie sich unsicher, haben Angst, in die Hosen zu machen. Für diese Kinder ist es dann tatsächlich zu früh… aber man sollte es immer wieder mal versuchen und fragen, ob das Kind lieber eine Windel oder eine Unterhose anziehen möchte. Am besten ist es natürlich immer noch, es ab Geburt mit „windelfrei“ zu versuchen :)

    1. Katharina

      Es gibt „spättrockene“ Kinder, wo das Problem nicht bei der (fehlenden) Kontrolle oder bei der Faulheit des Kindes liegt, und erst recht nicht an der Windelart, und die werden durch Aussagen wie Deine erst recht verunsichert.
      Unser „Spätzünder“ hat deshalb 2 Jahre psychiatrischer Betreuung hinter sich (und noch einen langen Weg vor sich), WEIL wir ihm wegen solcher RatSCHLÄGE – die ab zwei Jährig von allen Seiten auf einem einprasseln! – auf Stoffis gewechselt haben. Das hat in so verunsichert, dass er angefangen hat, sogar sein Pipi bis zu 18 Stunden zurückzuhalten (und den Stuhl wochenlang), bis er ständige Infektionen hatte und die Elastizität des Gewebes anfing, schlapp zu machen.
      Bitte verbreite nicht mehr solche Ratschläge. Die können schwere medizinische Folgen haben, die im Extremfall bis zum künstlichen Darmausgang oder zur künstlichen Blase führen können! Entweder wechselt man schon beim Baby auf Stoffies/Windelfrei oder gar nicht mehr. Es in der kritischen Phase zu tun, kann dem Kind, seiner Gesundheit und seiner Entwicklung sehr schaden!

    2. buntraum

      Nicht dem Konzept windelfrei zu folgen, bedeutet nicht gleich, dass diese Eltern faul sind. Wer diesem Konzept zustimmt und es für sich und seine Familie anwendet, der darf das gern tun. Ich jedenfalls würde niemandem dazu raten oder es empfehlen, weil ich aus verschiedensten Gründen nichts davon halte. Nur weil Babys ihre Ausscheidungen signalisieren, heißt das nicht, dass sie diese auch kontrollieren können. Und genau diese Kontrolle – nicht das Anzeigen – ist es, was „Sauberkeit“ ausmacht. Aber das ist nur ein Aspekt. Grundsätzlich darf man sich darauf verlassen, dass Kinder, die bereit sind, die Windel loszulassen, das auch deutlich anzeigen oder sagen. Es geht auch gar nicht darum, wann, wie schnell oder wie langsam ein Kind sauber wird, sondern das der Prozess möglichst sanft und ohne unnötiger „Unfälle“ passiert. Denn diese sind meines Erachtens eine Zumutung fürs Kind und treten nicht auf, wenn das Kind hier selbstbestimmt den Weg leitet. So ist auch meine Erfahrung. Der Druck, der bei dem Thema Sauberkeitserziehung von sämtlichen Seiten ausgeübt wird, ist enorm und führt schlussendlich zu solch schlechten Erfahrungen, wie Katharina sie geschildert hat. Das ist absolut unnötig.

  2. Katharina

    Danke für diesen Text. Gerade beim „sauber“ werden ist es extrem schwierig, dem Druck standzuhalten. Wir haben uns von all den Hinweisen und Ratschlägen schlussendlich verunsichern lassen und unser Kind muss es nun ausbaden, muss zweimal täglich Medikamente nehmen und hat mit fast 5 immer noch Angst vor seinen eigenen Ausscheidungen.
    Aufgrund dieser Erfahrungen sagen ich: Gerade bei „Spätzündern“ ist es extrem wichtig, ihnen das Tempo zu überlassen und nicht in die Entwicklung einzugreifen um sie zu beschleunigen. Man tut seinem Kind nichts Gutes damit.

    1. buntraum

      Gerade bei dem Thema ist es schwierig, weil viele Kinder hier bereits in Betreuungseinrichtungen sind, die gerade da viel mitreden. Wir haben hier auch viel Druck erlebt und Herr Klein war erst an dem Tag bereit die Windel loszulassen, an dem er die Einrichtung verlassen hat. Nachts trägt er sie noch immer und das ist auch ok. Ich brauche keine nassen Betten und ein weinendes Kind, nur weil er jetzt „alt genug“ ist. Dass Ihr diese Erfahrung machen musstet ist sehr traurig und zeugt davon, wie schnell andere Meinungen die eigene umhauen oder verunsichern können.

      1. Katharina

        Leider ist das ein Thema, wo bei uns beide Omas über unsere klaren Anweisungen hinweg gehandelt und dem Kurzen Druck gemacht haben. Die „alte Schule“ geht immer noch davon aus, dass Sauberkeit mit Erziehung zu tun hat und nicht mit Entwicklung und da nutzen auch eine Million Zürcher Langzeitstudien nichts. Jeder kennt schliesslich ein Kind, dass früh auf den Topf gesetzt wurde und früh trocken war. Das reicht dann als Beweis (alle anderen sind Ausnahmen).
        Wer sich für das Medizinische interessiert, der Wikipedia-Artikel ist ziemlich vollständig:
        http://de.wikipedia.org/wiki/Enkopresis#Retentive_Enkopresis_.28Einkoten_im_Zusammenhang_mit_Stuhlverstopfung.29

  3. Nicola

    Hallo
    Ich weiß jetzt nicht genau wann ich trocken war, aber laut meiner Mutter muss das wohl um den zweiten Geburtstag herum gewesen sein. Allerdings war ich, wenn ich mich richtig erinnere bis zu meinem 10. Lebensjahr Bettnässerin. Inkl. 4 Wochen Krankenhaus (in der ich viele Untersuchungen gemacht wurden- physisch als auch psychisch) mit 6 Jahren während der ersten KLasse. Später Tabletten und fragwürdige Praktiken zum Testen. Es wurde nie wirklich aufgeklärt, wie es dazu kam, daher gehen meine Mutter und ich davon aus, das es eine Mischung aus allem war (Eifersucht auf jüngere Geschwister, schlechte Schließmuskel, Universum)

    Von daher habe ich immer gesagt, das Kind wird sauber, wenn es soweit ist. Sofern der Sommer wiederkommt, lasse ich sie im Garten windelfrei toben, aber nicht mit dem Hintergrund des Sauberwerdens. Das Töpfchen bzw. die Toilette wird bereits bei uns genutzt, allerdings aus rein praktischen Gründen, da die Kleine manchmal Probleme mit dem Stuhlgang hat und das dann mit der Windel nicht so richtig klappt. Das erfolgt aber leider nicht, weil sie es will, sondern weil ich es ihr einfach erleichtern will.

    Sie weiß aber schon genau, wofür die Toilette ist, hat auch schon mal ihren Toilettensitz aufgelegt und ich hab sie dann hingesetzt. Passiert ist nichts, aber sie wollte halt drauf.

    Ich gebe zu, das ich das mit den Windeln ganz praktisch finde. Ich muss nicht hektisch ne Toilette oder ne stille Ecke finden. Und wenn mir einer kommt, das Kind ist jetzt alt genug, DAS MUSS JETZT TROCKEN WERDEN, dem zeige ich ne lange Nase. Ich weiß, wie man sich fühlt, wenn man ausser Haus übernachtet und Angst haben muss, ins Bett zu machen. Die erste Klassenfahrt war ein echter Horror für mich. Und dann zu sehen, dass das Kind sich extrem schämt, weil es aufgrund zu früher Sauberkeitserziehung einen Unfall hatte, weil es eben noch nicht die Kontrolle über die Blase hat. Denn auch tagsüber habe ich immer wieder mal Probleme gehabt.

    Windelfrei ist daher mal so rein gar nichts für mich, zumal ich nicht ständig gucken will, was das Kind jetzt für ein Gesicht macht und ob ich schnell den Eimer holen muss. Auch Stoffwindel, da bin ich halt nicht für gemacht.

    LG Nicola

    P.s. Ich habe genau drei Ratgeber gekauft: 1000 Fragen an die Hebamme, Ohjee ich wachse und das glücklichste Kleinkind der Welt.. die beiden letzteren sind nach den ersten Seiten geflogen. Ich erhole mir Erfahrungsberichte anderer Eltern, gucke, was ich davon gebrauchen kann und mache es dann doch wieder wie ich will :)

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