Warum Social Media uns Mütter ausbrennt

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Es ist mehr und mehr Thema, dass Mütter heutzutage sehr erschöpft sind. Das Mama-Burnout ist längst keine Seltenheit mehr. Die abhanden gekommene Großfamilie, zu wenig Unterstützung und das Jonglieren von Kindern, Job und Haushalt werden dabei oft als Gründe genannt. Ich sehe einen weiteren sehr schwerwiegenden Grund, warum Mütter heute ausbrennen: Die sozialen Netze.

Was nach Vernetzung klingt, nach Kontakt und gegenseitiger Unterstützung ist oft das fatale Ende. Denn hier suchen Mütter, was sie draußen nicht haben und finden gleichzeitig alles, was sie nicht brauchen.

Sie versinken darin
Wie oft schon wollte ich nur den Wetterbericht checken für die Nachmittagsplanung, habe mich seitenlang durch Facebook gescrollt, Emails gelöscht, auf Tweets geantwortet und am Ende das Handy beiseite zu legen, ohne zu wissen wie das Wetter wird? Wie oft bleibe ich im Internet hängen, obwohl ich längst müde und bettreif bin? Das sind ja keine seltenen Erscheinungen, das passiert, das machen die sozialen Netze mit uns. Wir verbringen unendlich viel Zeit am Handy, sinnlose Zeit. Scrollen uns durch die sinnlosen Statusmeldungen anderer, die uns nicht abgehen würden, wenn wir sie nicht sehen würden. Erfahren von fremden Menschen, welches Kind heute Nacht wie oft wach war, wer krank ist, was es zum Frühstück gab, welche Erzieherin blöd ist, und dass irgendwo die Busse wieder mal zu spät sind. All das frisst Zeit, in der wir einfach ein Buch lesen könnten, Löcher in die Luft gucken und Nichtstun könnten, den achso leidigen Haushalt angehen könnten, Dinge tun könnten, von denen wir immer behaupten, dass wir keine Zeit dafür hätten.

Wir lesen zu viel
Hinzu kommt, dass wir in den sozialen Medien zu viel lesen, was uns verwirrt. Da geht es so viel um Erziehung, um Elternschaft, um das Leben in der Familie, wie Frauen sich selbst verwirklichen, was Mütter brauchen und was nicht, welche Bücher für Kinder toll sind oder nicht, was Babys brauchen. Oder eben auch nicht.  Aber weil uns die Medien ja ganz durch eigene Algorithmen in unsere Timeline spülen, was wir gar nicht angefragt haben, lesen wir zu viele Meinungen und Ansichten und werden davon verwirrt. Klar haben wir einen eigenen Kopf und eigene Meinungen, aber gerade was die Erziehung angeht, stehen wir oft an, sind unsicher und ratlos. Gleichzeitig freuen wir uns über Impulse und Inspirationen. Dann saugen wir auf, was uns unterkommt und werden am Ende nur noch unsicherer. Dann probieren wir an unseren Kindern aus, was wir gelesen haben und sind dabei womöglich gar nicht mehr wir, sondern die eine Bloggerin, die gesagt hat, das wäre super. Was früher die Regale voller Ratgeber waren, sind heute endlose Weiten voller Menschen, die ihre Meinung auf Blogs lauthals vertreten. Dabei kommen nicht immer die an, die fundiertes Wissen vermitteln, sondern die, die am lautesten schreien und die am hübschesten verpacken. Es bleibt jedem überlassen, was er liest und was er glaubt. Aber ich empfinde die Menge an Artikeln als absolut überdrüssig, jedes Thema wird hundert- bis tausendfach besprochen. Und entsprechend weitreichend sind dann die Meinungen. Kein Wunder, dass uns da mittendrin irgendwo unser eigenes Gefühl, unsere eigene Meinung abhanden kommt.

Wir diskutieren heftig
Fatal wird es, wenn wir uns dann noch auf Diskussionen einlassen. Vorzugsweise auf Twitter, wo die Zeichenanzahl beschränkt ist – wenn jetzt auch auf mehr. Wo wir selten komplette Diskussionen lesen können, weil manches privat ist. Wo Missverständnisse vorprogrammiert sind. Und wo Mütter am anderen Ende des kabellosen Kabelkanals hocken, die sich genauso wenig von ihrer Meinung abbringen lassen wollen, wie wir. Auch ich bin da ma Anfang reingekippt. Was habe ich mir für Diskussionen geliefert, bin völlig aufgeladen losgegangen die Kinder abholen, habe zwischendurch auf dem Handy mit anderen weiter diskutiert und gestritten, hatte einen Puls von 400. Das ist der pure Stress. Stress, den wir uns selbst auferlegen, den uns keine Gesellschaft und kein Job aufzwingt. Stress, der nichts mit unseren Kindern zu tun hat. Aber Stress, den die Kinder oft abbekommen, weil sie ihn spüren und weil wir gestresst und genervt agieren.

Wir verlieren den Kontakt zu uns
Und wenn wir so viel durch die Welt scrollen, so viele ungefragte Informationen auf uns einprasseln, wir plötzlich in Diskussionen mitquatschen, die wir selbst gar nie angestoßen haben, dann kommen wir weg von uns. Und ich glaube das ist ein ganz wesentliches Problem erschöpfter Mütter. Wenn ich mich selbst nicht mehr gut kenne, höre ich auf meine Grenzen zu spüren. Dann laufe ich in die Falle.

„Muttersein heißt, permanent in Beziehung zu sein. Zu einem kleinen Menschen, der in den ersten Jahren noch nicht zwischen Ich und Du unterscheiden kann und keine Grenzen kennt“, sagt Mirriam Prieß, Ärztin und Autorin des Buches „Finde zu dir selbst zurück – Wirksame Wege aus dem Burn-out“. „Ständig verfügbar zu sein, ohne sich in dieser Symbiose zu verlieren, ist eine hohe Herausforderung.“ (Der Spiegel, Mutter mit Burnout)

Wir balancieren diese Herausforderung und nehmen dabei noch mehr Abstand von uns selbst, verlassen dabei immer häufiger die Beziehung zum Kind. Apropos…

Wir verlieren den Kontakt zu den Kindern
Wir surfen im Netz und sind im Gespräch mit anderen, die sich irgendwo hinter dem Bildschirm tausende Kilometerweit von uns befinden. Wir reagieren abwesend auf unsere Kinder. Ich erinnere mich noch, wie oft ich ihnen genervt oder fahrig geantwortet habe, weil ich gerade mitten in einer hitzigen Diskussion auf Twitter hing. Wie oft verpassen wir die kleinen freudvollen Glückserlebnisse unserer Kinder, weil wir den Blick auf das Handy gerichtet nur ein „Jaja!“ rufen. Was verpassen wir da alles und zu welchem Preis???

Unser Gehirn surrt
Und am Ende des Tages surrt unser Gehirn. Vom Job. Von den Kindern. Aber auch von der ständigen Online Präsenz. Wir nehmen dauerhaft teils ungefragte Informationen auf. Wir setzen uns dauerhaft einer sich stetig wechselnden Informationsüberreizung aus. Wir sind nicht nur körperlich erschöpft, sondern auch geistig.

„Wir leben in einer Gesellschaft, die immer mehr an menschlichem Wert verliert und zu einer narzisstischen Gesellschaft der Superlative verkommt“, sagt Prieß. „Alles muss möglich und machbar sein.“ Das ist es aber nicht. Wichtig sei darum, sich über die Anforderungen nicht selbst zu verlieren. Und die Fehler nicht ausschließlich bei sich zu suchen. Dagmar Ziegler, Kuratoriumsvorsitzende des Müttergenesungswerkes, meint: „Die Belastungen von Müttern sind gesellschaftlich bedingt und die Erkrankung kein individuelles Versagen.“ (Der Spiegel, Mutter mit Burnout)

Die sozialen Netzwerke zeigen uns täglich einen Großteil dessen vor, was gesellschaftlich erwartet wird. Was andere Mütter schaffen. Was möglich ist. Sie führen dazu, dass wir uns vergleichen mit anderen, die ganz anders sind. Weil wir Mütter einfach immer wieder an unsere Grenzen stoßen und dann einfach empfindsam und unsicher sind. Labil genug, um zu glauben, die anderen schaffen das alles viel besser als wir. Und wenn die das kann, muss ich das doch auch können. Und dann gehen wir über uns hinaus und fallen irgendwann verzweifelt zu Boden.

Ich sage nicht, dass die sozialen Netze allein zum Burnout führen. Aber ich bin überzeugt, dass sie einen großen Teil dazu beitragen. Was wir brauchen, wenn wir bereits Job, Familie, Haushalt und uns selbst jonglieren, sind Pausen. Pausen für den Körper, aber auch Pausen im Kopf. Echte Pausen. Was wir stattdessen tun ist jede Lücke füllen mit Reizüberflutung.

Wir jammern, dass wir keine Zeit haben für Pausen. Aber wir nehmen das Handy mit aufs WC, wir stillen surfend, wir warten twitternd darauf, dass das Kind endlich einschläft. „Sonst hab ich ja nie Pausen.“ Dabei sind das keine Pausen, sondern Momente, die uns noch mehr beanspruchen. Unbewusst.

Auch ich bin in diese Falle getappt. Habe das Handy vor der Nase gehabt wann immer es ging. „Nur mal 5 Minuten Ruhe.“ Und dann ab auf Twitter und lesen, was niemand wissen will. Aber auch ich bin erschöpft von Arbeit, Familie und Wohnprojekt. Spüre zusehends, wie mir vieles zu viel wird. Ich versuche zu reduzieren, was geht und dazu gehört vor allem das Internet. Heute habe ich auf dem WC ein Sudoku liegen oder ein Buch. Nach den Spielräumen lese ich noch ein paar Seiten in einem Buch oder meditiere, bevor ich die Kinder hole. Ich wähle wieder öfter den Weg zu Fuß statt mit dem Lastenrad, um so ein wenig länger und entspannter frische Luft in den Kopf zu bekommen. Ich fotografiere die Kinder weniger und genieße die Momente mit ihnen mehr. Ich beobachte ihr Spiel, anstatt mich sofort davonzuschleichen, wenn sie da hinein versinken. Ich schalte morgens das Handy erst ein, wenn die Kinder aus dem Haus sind. Ich nutze häufig die Einschlafbegleitung bei Miniklein für eine einfache Loving Kindness Meditation.

Nichts davon ist die perfekte Burnout Prävention. Nichts davon funktioniert so für alle. Es funktioniert für mich dahingehend, dass ich mich nicht mehr so hin und hergerissen fühle, so verwirrt, so gestresst und aufgeregt. So getrieben. Ich sehe die kleinen Pausen wieder, die der Tag für mich bereit hält. Und ich nutze sie. Für Dankbarkeitsübungen, für kleine Meditationen, zum Lesen, zum Löcher in die Luft gucken, zum Kinder beobachten.

Ich mag die sozialen Netze, ich habe viele liebe Menschen dort kennengelernt. Aber hier findet mein Leben statt. Und hier brauche ich mich. Mehr als nur funktionierend.

Dieser Beitrag hat 12 Kommentare

  1. Micha

    Oh wie wahr! Mein Weg ist auch, die Zeit, in der ich oft in die Sozialen Netzwerke geschaut habe, bewusst anders zu gestalten, z.B. mit einem echten Buch vor dem Einschlafen oder aus dem Fenster schauen im Bus oder als Beifahrerin im Auto. Das sind einzelne Zeiten, dazwischen habe ich immer noch oft das Handy in der Hand, aber ich merke zunehmend wie gut mir Offline-Zeit tut.
    LG, Micha

    1. Sabine

      Du sprichst mir aus der Seele. Ich weiß nicht durch welchen Zufall ich auf deiner Seite gelandet bin, es tut mir gut, deine Texte zu lesen und ich habe mich spontan am gleichen Abend zum Jahr der Möglichkeiten angemeldet. Ich möchte aber aus eben diesem Grund nicht auf Facebook mitreden. Ich freue mich darauf, das Jahr mit euch zu verbringen. Herzliche Grüße Sabine

  2. Sanne

    Danke für den Text.
    Ich bin ein Dinosaurier, denn ich habe erst seit zwei Monaten ein Smartphone. Und ich beobachte an mir selbst mit Interesse den Prozess des Vertrautwerdens damit. Twitter, Facebook und Instagram habe ich schon gar nicht, da weiß ich von vornherein, das klaut mir zu viel Zeit neben der Arbeit, der Familie und allem anderen, was mir wichtig ist. Aber ich lese regelmäßig die Feeds der Blogs, für die ich mich interessiere, ich mag das Angebot der Audiotheken etc. Trotzdem bemerke ich genau das, was du beschreibst – ich nutze das Handy, um „eine Pause zu machen“. Ich könnte statt auf das Display zu schauen auch einfach atmen oder Löcher in die Luft starren. Aber da ist der Gedanke, etwas Interessantes zu verpassen. Die Sucht nach Input, nach geistigen Anregungen. Die kommen nur in Häppchen, deshalb fühlt man sich hinterher erschöpfter, als wenn man ein Buch kontinuierlich gelesen hätte. Und es ist plötzlich attraktiver, das Handy mit in die Mittagspause zu nehmen als mit der Kollegin essen zu gehen (gähn, die erzählt ja eh immer das Gleiche …). Die Kinder nerven, der Mann will ständig was, da verzieh ich mich lieber mit dem Handy in eine Ecke. Usw. usf.
    Was ich außerdem beobachte, ist, dass Kommunikation dadurch nicht an Qualität gewinnt. Da werden ewige Diskussionen auf Twitter und Facebook geführt, sich stundenlang Sinnlos-Nachrichten über WhatsApp geschrieben (meine große Tochter), aber ich habe das Gefühl, bei konkreten Anfragen fühlen sich Leute nicht mehr angesprochen und vermisse oft entsprechende Rückmeldungen. Und sei es einfach ein „(Habe ich gelesen), melde mich später“ o.ä.

  3. Iona

    So unglaublich wahr! Es fällt mir an mir selbst so sehr auf und doch schaffe es noch viel zu selten etwas daran zu ändern. Danke für diesen Text!!!

  4. Elke becker

    Durch Zufall beim lesen eines Lieblingsblog auf den Text aufmerksam geworden. Ich hab in den Spiegel geschaut. Das hätte ich sein können…. Bin schon oft am überlegen: warum Facebook, warum Instagram? Muss ich alles teilen?
    Es kommt bald die Fastenzeit und der Artikel hat mich auf die Idee gebracht, in der Zeit „Handy fasten“ zu versuchen. Ich hab es schon mal geschafft. Drei Wochen in der Kur. Da gab es kein WLAN und mobile Daten war nicht hoch freigeschaltet damals. Da hat es geklappt ohne Handy… Nach einer Woche zu Hause war alles wieder beim alten… Vielleicht sollte ich mir einfach normale Uhr zu legen, weil zum telefonieren nutze ich das Handy nur 1%.
    Danke um über das Verhalten nachzudenken

    Elke

    1. Hilal

      Mir geht es ähnlich. Im Urlaub brauche ich das Handy wirklich nur zum telefonieren. Zuhause ist alles wieder beim alten.

  5. Hilal

    Vielen Dank für diesen Denkanstoß! Sehr gut geschrieben.

    Ich bin in dieser Falle und hoffe auf Besserung…

  6. Jitka

    Ich setze mich zur Zeit auch gerade stark mir meiner Smartphone Sucht auseinander und will das Ding konsequenter aus meinem Alltag (mit Kind) verbannen. Irgendwo las ich, dass das Klicken eine künstliche Affektregulation bewirkt, und dass dies dazu führt, dass man sich nicht mehr mit den Beziehungen, Umständen oder Problemlösungen in der realen Welt beschäftigen muss.
    Vor allem das Nachrichtenchecken ist für mich wie der „einarmige Bandit“ geworden. Oft gibt’s nichts neues, aber manchmal dann eben doch und das bringt das Glücksgefühl. Ich glaube, wenn ich immer oder niemals Neues im virtuellen Postfach hätte, wäre der Suchtfaktor nicht so extrem?!
    Keine Ahnung, ich versuche jedenfalls weiter das Handyfasten auszuweiten, für mein eigenes Wohl genau so, wie zum guten Vorbild für meinen Kleinen. LG Jitka

  7. Folien

    Ein wirklich toller Artikel die viele Mütter lesen müssten die viel Zeit im Internet verbringen. Manchmal sitze ich stundenlang und scrolle und scrolle und bin dann immer verärgert darüber das ich kein schönes Leben habe wie alle anderen. Dabei vergesse ich die Realität und wie schön eigentlich auch mein Leben ist.

    Lg Alisa

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