Vorlesen – mehr als nur Bücher und Bildung

IMG_3382Vorlesen wird immer mehr propagiert. Eigentlich wurde Kindern schon immer vorgelesen, aber im Zeitalter der neuen Medien entsteht scheinbar die Angst, dass die guten alten Bücher untergehen und in der Vergangenheit verloren gehen könnten. Gleichzeitig sind Eltern besorgt: Wann soll ich mit dem Vorlesen beginnen? Und Experten raten: Am besten schon vor der Geburt! Und machen – wieder einmal – Stress.

 

Denn Vorlesen hat nichts mit „sollte“ oder „müsste“ zu tun. Vorlesen darf eine gemeinsame Aktivität sein, bei der alle Beteiligten mit Freude bei der Sache sind. Wenn ich als Schwangere es gemütlich und schön finde, abends meinem dicken Bauch eine Geschichte vorzulesen, dann ist das eine wunderbar kugelrunde Sache. Ich muss aber, wenn ich mich dabei nicht wohl fühle oder mir das unangenehm ist, kein schlechtes Gewissen haben. Denn Nichtvorlesen in der Schwangerschaft schadet sicher nicht.

Und so sollte es auch anschließend weitergehen. Wenn ich glaube, dass ich mich mit meinem Baby hinsetzen und ihm zusammenhängende Geschichten vorlesen muss, damit mein Kind einem genügend breitem Wortschatz ausgesetzt ist und es möglichst früh das Buch als Medium kennenlernt, dann bin das nicht ich selbst, die das tut. Dann ist das eine von Expertenmeinungen getriebene Motivation, die nicht authentisch ist. Und dann hat auch mein Kind keine Freude daran. Denn mein Kind möchte mich kennenlernen und nicht durch mich die vielen Ratgeber, die ich gelesen habe.

Frau Klein ist 20 Monate alt. Ich habe ihr noch nie eine zusammenhängende Geschichte vorgelesen. Schlichtweg, weil das nicht geht. Sie hat viel mehr Interesse daran selbst durch die Bücher zu blättern, darin immer wieder neue Dinge zu entdecken und sich darüber unglaublich zu freuen. Natürlich bin ich währenddessen bei ihr, erzähle, was wir entdecken und freue mich mit ihr. Es ist eine sehr schöne und wertvolle Zeit zu zweit. Und genau das macht Vorlesen aus. Es geht nicht darum, ob mein Kind nun mit 4 Monaten schon unendlich viele Wörter zu hören bekommt und erfährt, wie wunderbar Bücher sind. Das erfährt es, indem ich das Lesen, das Bücherlieben vorlebe. Nicht, in dem ich es pflichtbewusst forciere. Büchervorlesen darf Spaß machen.

Herr Klein ist 4,5 Jahre alt und bekommt jeden Abend eine Geschichte vorgelesen. Er besteht darauf, es ist Teil seines Abendrituals. Vielmehr der letzte Teil. Nicht selten schläft er dabei ein. Wenn nicht, kann es auch sein, dass er noch auf ein oder zwei weitere Geschichten besteht. Und wir lesen mit ihm soviel, wie auch uns Freude macht. Das kann auch bedeuten, dass ich nach ein oder zwei Geschichten sage, dass ich genug habe. Denn wenn ich beim Vorlesen schon die ganze Zeit im Kopf herumsprinte und darüber nachdenke, was ich jetzt lieber täte oder tun sollte, dann hat auch Herr Klein wieder keine Freude an diese Geschichte. Weil ich nicht mit dabei bin, sie nicht mit ihm erlebe.

Es ist nicht vom Tisch zu weisen, dass Vorlesen auch einen bildungsorientierten Sinn hat. Dass das frühe Herantasten an Bücher das Medium an sich in den Lebensalltag als natürlich integriert und so auch später mehr verwendet wird. Und dass Bücher und Lesen an sich bildet. Aber all das sollte, das darf nicht unsere Motivation sein, um unseren Kindern vorzulesen. Denn dann vergessen wir wieder, wie wichtig die Zweisamkeit dabei ist. Die ungeteilte Aufmerksamkeit. Die körperliche Nähe. Das gemeinsame Eintauchen in andere Welten. Das gemeinsame Phantasieren und Weiterspinnen von Geschichten. Oder das Erfinden neuer Geschichten?

Und deshalb sollten wir auch nicht plötzlich aufhören vorzulesen, wenn unsere Kinder  in die Schule gehen und selber lesen können. „Das kannst Du doch nun selbst.“ Damit lassen wir unser Kind allein zurück, nehmen ihm damit Nähe und Geborgenheit, die bis eben selbstverständlich war. Selbst das schulische Lesen lernen und Lesen üben sollte nicht in das Vorlesen einbezogen werden. Die Schulaufgaben beiseite schieben und mit den Eltern in Vertrautem versinken, das brauchen auch – und gerade – Schulkinder, für die so vieles neu ist.

Wenn Ihr also lesen wollt, lest, so viel Ihr wollt mit Euren Kindern. Aber während Ihr die Tür zu einer Geschichte öffnet, schließt doch ganz einfach die Tür zu allem anderen was rundherum war und ist. Versinkt. Taucht ein. Habt eine wundervolle Zeit zusammen.

Und passend hier noch unsere All time Favorites unserer Kinder:

Eric Carle – Die Kleine Raupe Nimmersatt,

Dr. Seuss – The Fox in Sox, Green Eggs and Ham, The Grinch

Janosch – Panama

Ludwig Bemelmans – Madeline

Aexander Steffensmeier – Lieselotte bleibt wach

Peggy Rathmann Good Night, Gorilla

Franzobel – Das große Einschlafbuch für alle Kleinen

(das viele Englisch kommt von amerikanischen Verwandten, ich denke er mag es besonders wegen der Reime und Melodie in den Texten)

Was sind Eure liebsten Vorlesebücher? 

Dieser Beitrag hat einen Kommentar

  1. Anne

    Also wir könnten nicht ohne Lesen – wir haben schon immer viel vorgelesen und es ist tatsächlich so, dass es den Minimonsieur beruhigt: wenn er sich ärgert oder sich weh getan hat, dann holt er sich ein Buch und wir lesen zusammen. Sogar abends, nach der Vorlesegeschichte, „liest“ er selbst noch: kuschelt sich in sein bett und guckt noch ein Buch durch (oder einen Legokatalog oder ein Eisenbahnheft von Opa…). Ich finde lesen wichtig, aber Du hast Recht, es sollte allen Spaß machen – und vielleicht kommen die Erwachsenen ja über´s Vorlesen auch wieder zum Selberlesen?

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