Unser Paradies ist ein anderes

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Im Internet kursiert mal wieder ein Artikel über eine Familie, die ohne Internet und TV aufwächst. Paradiesische Fotos von Kindern in freier Wildbahn, im Dreck, umgeben von Tieren, mitten im Leben. Es ist einer dieser Artikel der mir das Gefühl geben will, dass meinen Kindern etwas fehlt. Weil ihnen dieses Paradies fehlt. Aber ich lasse solche Artikel nicht mehr an mich heran. Schon lange nicht mehr. 

Denn auch wir haben keinen Fernseher. Das heißt aber nicht, dass meine Kinder deshalb den ganzen Tag im paradiesischen Schlamm spielen. Natürlich würde ich mir dieses Landleben für sie manchmal wünschen. Wenn ich mich an meine Kindheit erinnere, von früh bis spät draußen, Buden baun, Gemüse aus der Erde direkt in den Mund, hinfallen, Hose kaputt, weiter spielen. Das waren aber auch nur die Ferien bei Oma und Opa. Der Alltag in der Kleinstadt war ein anderer. Und ein Leben auf dem Land hat auch seine Nachteile. Die Abhängigkeit vom Auto. Die geschmälerten Jobchancen. Die Abhänngigkeit von uns und unserem Taxisein wenn die Kinder älter werden. Eingeschränkte Kinderbetreuungsmöglichkeiten. Etc. Etc. Weder das eine noch das andere ist das Non Plus Ultra. Und deshalb nervt es mich, wenn Artikel durch gepushte Fotos und vereinzelte Momentaufnahmen zeigen, was toll und perfekt wäre. Das ist eben die Gefahr im Internet. Welche Fotos ich zeige, bestimme ich und bei vielen wirkt es dann alles so rund, so perfekt. Weil viele die rissigen Momente, in denen es knackt und spröde ist, nicht zeigen.

Was wirklich zählt ist eine Kindheit für unsere Kinder, die voller Liebe, voller Zauber ist. Und das geht überall. In der kleinste Hütte und im größten Haus. Sowohl in der Stadt als auch auf dem Land. Im Wald oder am Strand. Mit oder ohne Fernseher. Denn was zählt ist, dass wir unsere Kinder sehen. Sie als Individuen wahrnehmen und mit ihnen gemeinsam ein Leben gestalten, dass sie einbezieht, sie integriert und dass sie sich frei entwickeln lässt.

Wir leben im Wohnprojekt, das ist ein Paradies der anderen Art. Mitten in Wien, gleichzeitig ab vom Schuss. Oft kommen wir ein ganzes Wochenende nicht aus unserem Grätzl (zu deutsch: Umgebung) heraus. Aber die Kinder sind selig, spielen in Scharen und essen mal hier, mal dort. Manchmal haben wir Pläne und verwerfen sie, weil wir die Kinder nicht aus ihrem glücklichen Gemeinsam herausreißen wollen. An anderen Tagen sind wir streng und „zwingen“ sie zu Ausflügen. Mal so mal so. Das ist unser Paradies. Und das ist auch nicht jeder Menschen Ding.

Und dann gibt es Tage, da ist es kalt und regnerisch draußen, da wollen wir alle nicht raus, da sind die Kinder ab Mittag unrund, da gehen wir uns auf die Nüsse, da wird gestritten und geschrien. Da werfen wir alle im Kreis die Nerven. Und abends sitzen wir beim Abendessen und erzählen Quatsch. Machen beim Kuscheln im Bett noch Faxen und kichern und lachen. Und dann weiß ich: Egal wie doof so ein Tag war: wir haben uns, wir lachen und haben Freude aneinander und miteinander. Und das, das ist wirklich alles, was zählt.

 

Dieser Beitrag hat 6 Kommentare

  1. Marianne

    Liebe Nadine,
    wie schon oft in deinem Blog formulierst du treffend das, was ich denke und empfinde :-). Jedenfalls sehr, sehr ähnlich.
    Danke! Ich freue mich auf viele weitere solche Texte!
    Herzliche Grüsse aus einer schweizerischen Agglomerationsgemeinde,
    wo es vieles hat und vieles nicht hat und es sich ganz gut leben lässt.
    Marianne

  2. Micha

    Wie es der Zufall so will, habe ich mir die Bilder, die du beschreibst, vorhin angesehen und ich wurde auch so ein bisschen wehmütig, weil ich meinen Kindern diese Nähe zur Natur nicht in dem Maße mitgeben kann, wie ich sie selbst noch erlebt habe. Solche Bilder sind schön, aber sie zeigen ja auch nur einen Ausschnitt der Realität.
    Danke für deine Gedanken dazu!

    LG, Micha

    1. buntraum

      Danke, der purzelte einfach aus mir heraus :)

  3. Ines

    “ Da werfen wir alle im Kreis die Nerven“….endlich mal eine treffende Formulierung (das beschreibt es perfekt)…danke dafür und für den so treffenden Beitrag….. :-)

    1. buntraum

      bitte gern, ich musste selbst ein wenig schmunzeln, als mir die Formulierung aus den Fingern auf die Tasten hüpfte :)

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