Twitter, Facebook und mein Kind

Heute wurde ich auf Twitter von der lieben @_anitram gefragt, wie das mit dem Handygebrauch in Anwesenheit des Kindes aus Piklersicht denn so sei. Interessant, dass diese Frage nur wenige Tage nach meinem Explosionen post kommt. Und zu einer Zeit, in der ich sehr stark selbst an mir arbeite, um diesen Handygebrauch einzudämmen und die damit verbundenen Explosionen im Zaum zu halten.

Denn einiges ist in letzter Zeit klar geworden: Wenn Herr Klein aus der Krippe kommt, will er Mama. NUR Mama. Da akzeptiert er kaum, dass ich auch mal aufs WC muss. Schon gar nicht, dass ich mit einem kleinen blinkenden Display vor der Nase auf dem Sofa sitze. Warum hat es eine Weile gebraucht, bis ich drauf gekommen bin?

Woran ich mich festklammerte war zum einen der Gedanke, das die ungeteilte Aufmerksamkeit ja vor allem für die Pflegemomente galt. Das ist auch richtig und zu diesen Zeiten bekommt Herr Klein sie auch ungefragt. Kein Handy existiert beim Anziehen, beim Essen oder beim Abendritual. Aber in der Zeit zwischen Krippe und Abendessen gibt es nun kein Wickeln mehr und kein Essen, kein Baden und kein Anziehen. Woher soll er also Aufmerksamkeit tanken?
Zum anderen war da der Gedanke: Er muss auch akzeptieren, dass ich Zeit für mich brauche. Dass ich nicht 24/7 für ihn da bin. Das muss ich ihm klar vermitteln.
Aber diese Klarheit hat gefehlt. Denn es war ja keine fixe Zeit, in der ich „nicht verfügbar“ war, sondern es war eine Durchmischung von Dasein und zwischendurch Aufs Handy schaun. Und das, nachdem er die letzten 7 Stunden getrennt von mir verbracht hat. Nicht unbedingt fair.

Was ist so schlimm am Handygebrauch in Anwesenheit des Kindes?
Theoretisch nichts. Telefone gab es schon immer und Kinder mussten lernen, dass ihre Eltern nur teilanwesend waren, wenn sie in ein Plastikgerät sprachen und dabei wild gestikulierten. Das kann ein Kind auch lernen. Ein Telefon klingelt und Mama ist für eine Weile abwesend.
Heutzutage sieht das anders aus. Das Telefon muss nicht mehr klingeln, es muss auch nicht piepen oder summen. Dennoch sitzen wir Erwachsenen wie gebannt davor. Wir sprechen nicht einmal mehr hinein, wir starren auf ein Display und sind in einer anderen Welt verschwunden. Eine Welt, die für Kinder nicht nachvollziehbar ist, die Gründe für uns selbst teilweise völlig unklar.
Täglich beobachtet man es auf Spielplätzen oder in öffentlichen Verkehrsmitteln: Eltern, die in Handys starren. Nur kurz aufblicken, wenn ihr Kind sie anspricht, abwesend lächelnd oder gar nicken, und weiter mit dem Daumen wild umhertippen.

Das ist sicher nicht, was Emmi Pikler mit ungeteilter Aufmerksamkeit meinte. Es ist aber auch nicht das, was sie eben so befürwortete: Die Auszeit der Eltern. Die Momente, in denen wir unseren Kindern erklären: „Ich bin jetzt beschäftigt. Wenn ich dies und das fertig habe, bin ich wieder für Dich da.“ Sei es Hausarbeit, das Lesen eines Buches oder einfach nur eine Tasse Kaffee. Denn all das ist nicht nur ok, es ist wichtig. Wichtig um Mensch zu bleiben und dem Kind gegenüber authentisch.
Aber das Handy katapultiert uns in ein Paralleluniversum, das dem Kind letztendlich unheimlich ist. Papa ist da, Papa reagiert auch, aber er wirkt mechanisch. Er ist nicht er selbst. Kein Wunder, dass die Kinder toben, uns die Handys aus den Händen reißen wollen oder – im Falle von Herrn Klein – all die Dinge anstellen, von denen er weiß, dass sie mich auf die Palme bringen. Bis ich oben bin, auf der Palme. Explodiert und schnaufend. Dann hat er zumindest eines: Die Aufmerksamkeit, die er wollte.

Nun sollen wir uns ja nicht entwöhnen und mühsam zurückkehren ins 20.Jahrhundert. Viel wichtiger ist es, Zeiten zu schaffen, in denen wir unseren Kindern diese ungeteilte Aufmerksamkeit bieten. In denen wir wirklich bewusst das Handy „vergessen“ und voll und ganz beim Kind sind. Denn letztendlich ist es das, was wir viel zu selten tun. Auch wenn wir in Karenz 24h daheim sind mit dem Kind – wie viel Zeit verbringen wir wirklich am Boden oder in seiner Nähe sitzend? Die Gedanken nur auf das Kind gerichtet und interessiert an seinem Tun? Solange die Kinder mitten in der grobmotorischen Entwicklung stecken, tun wir das häufig. Wir sitzen neben ihnen, beobachten gebannt erste Dreh-, Sitz- oder Krabbelversuche. Sobald die Kinder laufen können und aktiver werden, werden die Zeiten, die wir mit ihnen wirklich gemeinsam verbringen, weniger. Mir ist das dann oft erst im Pikler-Spielraum wieder gelungen. Wo es nichts anderes gab als den Raum, das Kind und mich (und andere Eltern, die ebenso gebannt ihren Kindern zuschauten). Wie traurig aber, wenn man Geld bezahlt und das Haus verlässt, um das eigene Kind zu erleben. Und da wir nun keinen Spielraum mehr besuchen, versuche ich mir die Zeit daheim zu nehmen. Das heißt mittlerweile auch mal mitmachen. Mitspielen und abtauchen in eine Phantasiewelt, der es oft schwer ist zu folgen. Aber in der wir unsere Kinder erleben, wie wir es sonst selten tun. Nämlich voll und ganz vertieft. Ihr eigenes Leben verarbeitend. Beschäftigt. Glücklich und zufrieden über unser Interesse. Wer braucht da noch ein Handy ???

Wie oft sehnen wir uns danach, dass die Kinder sich „mal 5 Minuten selbst beschäftigen“? Gegenfrage – wie oft schaffen wir es, uns mal 5 Minuten voll und ganz auf sie einzulassen? Ohne Hausarbeit, den nächsten Tweet oder das Verlangen nach Kaffee im Kopf?

Vor allem für werdende Mütter ist das ein wichtiger Aspekt. Denn wenn ein zweites Geschwisterchen da ist, wird dem älteren Kind einiges an Aufmerksamkeit automatisch genommen. Um damit besser umzugehen, ist es wichtig, dass wir Mütter Zeiten schaffen, auf die sich das ältere Kind verlassen kann. Von denen es weiß: Dann ist Mama ganz sicher NUR für mich da. Dafür muss es aber die Erfahrung gemacht haben, dass es sich darauf verlassen kann, dass es diese Zeiten gibt. Ein Stück der wenigen Vorarbeit, die wir noch in der Schwangerschaft leisten können. Und was ist entspannter für den dicken Kugelbauch, als am Boden neben dem spielenden Kind zu sitzen? Ohne dabei die nächste Statusmeldung auf Facebook im Kopf zu formulieren.

Dieser Beitrag hat 2 Kommentare

  1. ladyllynya

    Hallo,leider kann ich Deine Situation nur all zu gut nachvollziehen. Durch Arbeit, Sanierung und Haushalt habe ich leider nur eingeschränkt Zeit, mich intensiv mit meiner Maus auseinanderzusetzen und zu spielen. Zwei Tage die Woche sehe ich sie auch nur knapp eieinhalb Stunden, bevor sie ins Bett geht. Es ist da oft schon schwer, ihr genug Aufmerksamkeit entgegen zu bringen (obwohl sie mich sofort mit Beschlag belegt und ich nicht mal mit Papa kurz den Tag besprechen kann). Das Smartphone kommt noch add-on zu den Dingen, die ich noch "gerade" erledigen muss, bevor ich auf der Couch einschlafe. Zwar versuche ich, Handy/Laptop/ PC nicht zu benutzen, wenn sie noch wach ist, aber so richtig funktionieren tuts auch noch nicht. Daher genießt sie jede Minute, die Mama für sie übrig hat, um so intensiver. (Und die Explosionen kennen wir auch – in beiderlei Richtung.)Ich gelobe Besserung und – Du bist nicht alleineLieben GrußLadyLlynya

  2. Meise mit Herz

    Danke! Danke! Danke! für diesen Artikel, den ich schon lange gesucht habe, also nicht diesen deinen, sondern einen guten Artikel, an dem ich mich messen kann, mich reflektieren und dann überlegen kann, wie ich es in meinem/unserem Leben machen möchte.lg, freakymaielfe (aka Meise mit Herz)

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