The Epic Split

Gestern kam mir die neue Volvo Werbung unter. Die mit Jean Claude van Damme und „the most epic of splits“.

Sie hat mich ziemlich aus der Bahn geworfen. Denn mein Bruder war damals großer van Damme Fan. Unser gemeinsames Zimmer war geschmückt mit Postern von ihm, mein Bruder nahm mehr und mehr die äußere Gestalt von ihm an. Und eines Tages saß er zwischen unseren beiden Stühlen im berühmten Split. Er hatte so lange geübt und trainiert und gab nicht auf, bis er es endlich geschafft hatte.

Dieser Ehrgeiz war bezeichnend für meinen Bruder. In jeder Hinsicht. Vom Perfektionismus getrieben war er unzufrieden, wenn er seine eigenen Vorstellungen nicht erfüllen konnte. Dass ihm ein räumliches Sehunvermögen davon abhielten bei der Bundeswehr zu den Fliegern zu kommen zum Beispiel.

Ich hingegen war eher so der Typ „Ich hab heut schon eine Banane angelächelt und auf vollen Magen soll man keinen Sport treiben, also bleib ich lieber auf dem Sofa sitzen.“ Ich hatte oft keine Ziele oder verlor sie unterwegs aus den Augen. Erst später lernte ich meine Ziele von meinen Träumen zu unterscheiden und folgte meinem Herzen, das dann auch mit einem gewissen Ehrgeiz. Aber längst nicht so ausgeprägt, wie mein Bruder.

Was war es also, dass uns so unterschied? Vom gleichen Elternpaar schien es, als hätte er jeden Futzel Ehrgeiz abbekommen und für mich blieb nichts über. Blödsinn, das weiß ich. Eher glaube ich, dass er als Erstgeborener ein gewisses Maß an Unterstützung und vor allem elterlichen Stolz empfing, der ihn weitermachen ließ. In diesem Schatten stand dann ich. Das bekam ich oft genug zu hören. Ihm fiel alles zu, ich konnte mich bemühen wie ich wollte, die Physik, die Chemie – all das wollte nicht in meinen Kopf. Obendrein Sprüche wie „Mädchen und Logik, da stimmt was nicht.“ oder „Ach, das hat mich früher auch nicht interessiert. Das macht nichts.“ Obendrein war ich ein ganz anderer Charakter. Schüchtern und ruhig, ich aß nicht so gut und war ein ziemliches Mamakind. Ganz anders als mein Bruder, der unkompliziert und offen war.

Und so wurden wir in die Welt geschickt. Mein Bruder, der mehr und mehr bemerkte, dass er vielen überlegen war und das auskostete. Dessen Ehrgeiz ihn geradewegs in einen Fanatismus trieb, der – was wir damals nicht so bemerkten – schon recht gefährlich wurde. Und ich, die ihm nacheiferte. Und dabei kämpfte wie Quijote gegen die Windmühlen. Denn ich folgte einem Ideal, das gar nicht meins war.

Nun, in allem steckt etwas Gutes, etwas Sinnvolles. Und so wünsche ich mir für meine beiden Kinder einen gesunden Ehrgeiz. Ich beobachte sie und möchte erkennen, was sie wirklich interessiert. Um das zu unterstützen, ohne zu drängen. Um zuzusehen, wie sie sich selbst etwas erarbeiten. Etwas, was sie selbst auch wirklich wollen. Dass dieser Ehrgeiz angeboren ist, sieht man allein schon an der Bewegungsentwicklung. Wie Babys üben und üben, bis sie endlich vom Rücken auf den Bauch kommen, bis sie krabbeln können oder sitzen, stehen und gehen. Da braucht es nichts von uns Erwachsenen außer Begleitung und Beobachtung der Entwicklung. Ermöglichung dieser täglichen „Trainingseinheiten“ frei von elterlichem Lob und Ansporn. Weil es in ihnen steckt. Einfach so.

Später kommen dann verschiedenste Interessen, denen sie nachgehen. Egal ob ein Kind in Dinosaurierwelten, im Feuerwehrmannalltag oder in Unterwasserwelten abtaucht. Egal wie lange so eine Phase anhält und wie intensiv die Interessen – wichtig finde ich dabei, dass wir Eltern das unterstützen, ohne unnötig zu fördern. Dass wir uns ebenfalls ein wenig dafür interessieren, ihnen zuhören und zuschauen. Unvoreingenommen. Dann sehen wir auch, wenn ein Interesse, wie zum Beispiel Computerspiele oder eine gewisse Sportart, das Folgen von Gruppierungen, Musikgeschmäcker, Literatur ausarten. Wann sie gefährlich werden. Inhaltlich oder auch in dem Maß, in dem sie ausgeübt, ausgeführt oder sich selbst zugeführt werden. Wir müssen dabei längst nicht alles toll finden, das wäre ja auch nicht mehr authentisch. Aber hinterfragen, austauschen und ernsthaft Anteil nehmen, so dass sich unsere Kinder ernstgenommen fühlen. Was wiederum auch das Selbstwertgefühl nährt. Dann ist es meiner Meinung nach auch möglich den Ehrgeiz an der Grenze zum Fanatismus abzufangen und einzudämmen. Weil unsere Kinder nicht von Anfang an das Gefühl haben, wir würden sie doch eh nicht verstehen und ihre Interessen nicht ernst nehmen. Sondern auch uns und unsere Meinung schätzen und ernst nehmen.

Für Geschwister gilt obendrein, dass wir sie nicht vergleichen. „Schau wie schön sich Deine Schwester selbst beschäftigen kann. Warum kannst Du Dich keine 5 Minuten mal mit etwas befassen?“ oder „Dein Bruder kann mit 11 Monaten schon gehen, Du warst damals eher ein Spätzünder.“ Solche Sätze sagen wir oft ganz unbedacht, meinen sie gar nicht so wertend und negativ. Aber sie landen genau da, wo es weh tut. Und wo sich dann Blockaden auftun, wo ein Hammer auf den Selbstwert einschlägt, und wo Kinder das Gefühl bekommen, (anzu)kämpfen. Je mehr sie bewertet und verglichen werden, umso stärker. Mit allen Mitteln.
Aber auch am Spielplatz gibt es diese Vergleiche. „Schau der Bub rutscht da auch runter, der stellt sich auch nicht so an. Nun mach schon, komm!“ Beim Kinderarzt: „Schau das Kind hat auch nicht geweint!“ Später werden die Freunde zum Vergleich herangezogen: „Nimm Dir mal ein Beispiel an Max, der darf auch nicht so viel abends weg und hat dafür auch viel bessere Noten als Du!“

Lassen wir unsere Kinder sich so entwickeln, wie es für sie individuell passt. Beobachten und begleiten wir sie dabei, schenken wir Unterstützung, wo es notwendig ist und beißen wir uns auf die Finger, wo wir unnötig den Prozess lenken würden. Vor allem aber: Interessieren wir uns für sie. Für ihre Entwicklung, für ihre Persönlichkeit. Für ihre Interessen und Neigungen. Für ihre Träume und Ziele. Träumen wir ein Stück mit aber bleiben wir achtsame Beobachter.
Wenn wir diesen „epic Split“ schaffen, zwischen Interesse und Zurückhaltung, zwischen Begeisterung und wachsamer Beobachtung, haben wir eine gute Chance, dass unsere Kinder das genauso schaffen, mit einem Fuß im sicheren Hafen ihres familiären Heims und einem auf dem Gipfel ihrer Träume und Ziele.

Dieser Beitrag hat 4 Kommentare

  1. Debbie Diehl

    Patience,so important……..!

  2. Lorelai

    Ich finde es sehr schwierig, nicht zu vglen. Ich ertappe mich oft dabei im Irrglauben(?), es würde meinen Sohn anspornen, ihm zu zeigen, was die Kleinere Schwester schon selber macht und er nicht, da er nicht will. Manchmal sagt man ja auch als Eltern untereinander, „oh, schau mal, was die Kleine macht“… immer kann man den Mund eben nicht halten… es zeigt mir aber, dass es für mich irgendwie das einzige Mittel zu sein scheint, meinen Sohn zu etwas zu bewegen, indem ich ihm zeige, was andere tun… Hmm… leider hatte kaum jemand bisher eine andere Idee… ;)

    1. Schani

      Vielleicht will Dein Sohn sich nicht JETZT bewegen. Vielleicht später und dann ganz viel. So wie Frederik die Maus aus dem Kinderbuch, die immer in der Sonne saß und „nichts“ tat. Oder er wird sich intelektueller bewegen und nicht so körperlich. Aber alles kann sich stets ändern, jedoch nicht, in dem wir Erwachsenen zu forcieren versuchen. Das ist eigentlich immer kontraproduktiv. Es mag zwar dazu führen, dass ein Kind „sich bewegt“ (läuft, lernt, schreibt, schläft zur ‚rechten Zeit'“ etc.), aber beim Kind bleibt das Gefühl, dass die Bewegung angetrieben war von aussen. Und dass das Glück, den Bewegungsmoment selbst ausgelöst zu haben fehlt.
      Da hat man auf lange Sicht nichts davon und das Kind schon gar nicht. Ich erlebe, dass man als Eltern sehr viel Zeit damit verbringen muss, sich selbst zu bilden, nachzulernen, nachzufühlen, zu nähren… damit man die Situationen schaffen kann, die ein Kind wirklich braucht und nicht nach alten Mustern verfährt, die wir alle so gut gelernt haben und die so „drin“ sind, dass sie immer als erstes und ganz selbstverständlich kommen. Das ist – nebem dem jungen Menschen, dem wir beim wachsen zuschauen dürfen – das große Geschenk am Kinder-haben.

      1. buntraum

        Ich sehe das genauso. Abgesehen davon, dass es der Geschwisterbeziehung nicht gut tut zu vergleichen und einen in etwas besser hinzustellen als den anderen, finde ich es auch auf lange Sicht kontraproduktiv „anzuspornen“. Wenn Kindern Zeit und Raum gelassen wird etwas zu tun, werden sie es irgendwann viel qualitativ hochwertiger tun, als wenn von uns angetrieben. Oder eben gar nicht, dafür anderes. Und klar vergleichen wir als Eltern. Es ist ja auch faszinierend wenn die eigenen Kinder so unterschiedlich (oder so gleich, je nachdem) sind. Aber wir tun das nur abends, wenn die Kids schlafen. Aber niemals, wenn sie uns hören können.

Schreibe einen Kommentar