Pränataldiagnostik – Fluch oder Segen ?

IMG_6987Ich war heute zur Nackenfaltenmessung. Ein Ultraschall, der nicht vorgeschrieben ist, den die Kasse nicht zahlt und der unter den Sammelbegriff Pränataldiagnostik fällt. Ein Begriff, den ich zwiespältig betrachte. Der sowohl Fluch als auch Segen sein kann.

Die Reaktionen darauf, dass ich die Nackenfalte meiner ungeborenen Kinder messen lasse, sind zwiegespalten. Aus Gründen, die ich beiderseits nachvollziehen kann. Ich bin für Vertrauen darin, dass sich das Kind gut entwickeln wird. Ich bin dafür, dass alles Leben eine Chance hat, so es denn lebensfähig ist. Aber ich bin auch dafür, dass Eltern das Recht haben zu wissen, was auf sie zukommt.

Als wir am 10.4.2010 die Diagnose Herzfehler erhielten, unser Baby gerade mal 5 Tage alt, klein und furchtbar zerbrechlich, da fielen wir aus allen Wolken. Es war ein Schock, der nach und nach einsickerte. Und noch heute nachhallt. Für jede Folgeschwangerschaft bedeutet diese Diagnose: Das Risiko nun doppelt so hoch. Bei einer normalen Risikoquote von 1% ist das noch immer nicht viel. Aber wenn man das eine Prozent einmal war, ist man vorsichtiger, fragiler geworden.

Den Herzfehler hätte man vorher nur mittels sehr genauer Untersuchungen sehen können. Trotz Organscreening war er nicht aufgefallen. Als ich die Kardiologin fragte, was gewesen wäre, wenn ich vorher davon gewusst hätte, sagte sie: „Dann hätten sie es 4 Monate länger gewusst.“ Sie hatte Recht, es machte keinen Unterschied. Aber dennoch, der Schock hallt nach. Und sollte ich wieder vor diese Herausforderung eines Herzfehlers gestellt werden sollen, so möchte ich mich darauf einstellen können.

Was hat das mit der Nackenfaltenmessung, die statt Herzfehler, genetische Defekte aufweisen kann, zu tun? Nun, ein Kind, das mit dem Down Syndrom auf die Welt kommt, hat ein 45%iges Risiko, mit angeborenem Herzfehler ins Leben zu starten. Eine Quote, die sich anders liest als 1-2%. Und mir Magenschmerzen bereitet.

Ein Kind mit Down Syndrom auf die Welt zu bringen ist für uns keine Frage, sondern wäre natürliche Tatsache. In unserem Haus lebt eine junge Frau mit Down Syndrom und sie zu sehen und zu erleben und gleichzeitig zu wissen, dass es Menschen gibt, die diesem Leben keine Chance geben, ist für mich schwer nachvollziehbar, fast unbegreiflich. Und das ist für mich die Down Seite der Pränataldiagnostik. Die künstliche Selektion, die vorgenommen wird. Wo anhand von Tests, Untersuchungen und Risikoquoten entschieden wird, ob ein Leben lebenswert ist oder nicht. Als hätte eine Schwangerschaft ein Rückgaberecht. Pränataldiagnostik kann hilfreich sein, aufschlussreich und vorbereitend. Aber wenn sie benutzt wird, um auszulesen, dann halte ich sie für bedenklich.

Ich hatte Glück. Die Messung verlief gut und war unauffällig. Dennoch riet mir der Arzt zu einem weiteren Bluttest. Auf Grund meines Alters. Doch ich lehnte ab. Die Werte der Nackenfalte und des Nasenbeins waren unauffällig, zu 70% ist das Kind gesund. Die restlichen 30% sind für mich Vertrauen. Ich möchte kein Bluttest, der mir 90% gibt, woraufhin mir womöglich eine Fruchtwasserpunktion vorgeschlagen wird, die 100% Sicherheit gibt. Nein, ich sehe Pränataldiagnostik nicht als Möglichkeit alle Eventualitäten auszuschöpfen und jeden Defekt zu erkennen. Ich sehe sie als Chance erste Auffälligkeiten abzuklären. Eine vage Mischung aus dem, was möglich ist und dem, was nötig ist. Eine persönliche Entscheidung, die unterschiedliche Beweggründe hat und die kein schwarz oder weiß ist. Und mich auf das, was kommt, einstellen zu können. Ob das immer gut ist, sei dahingestellt. Aber ich denke, dass ich ein krankes Kind schneller und leichter annehmen kann, wenn ich davon im Vorfeld weiß. Und ich glaube auch, dass es für das Kind leichter ist, wenn es so, wie es ist, gleich angenommen werden kann. Dass es ankommen kann und alle gemeinsam in Ruhe die Situation begreifen können.

Und so werde ich in 8 Wochen wieder zum Ultraschall gehen und das Organscreening machen lassen. Und dabei Fokus auf das Herz legen. Denn 2% sind 2%.

Wie war das bei Euch? Habt Ihr verschiedene Tests durchführen lassen oder nicht? Was waren Eure Beweggründe für oder dagegen?

Dieser Beitrag hat 10 Kommentare

  1. rage

    ich habe bei allen dreien „nur“ die nackenfalte gemessen. weil was bei j2 mit dem rsv nund bei j3 mit der nabelinfektion nach der geburt kam, das sagt einem ja kein test.

    dennoch glaube ich, dass es ok ist, wenn man pränataldiagnostik dazu benutzt, zu wissen, ob das kind leben wird oder nicht – insbesondere bei tödlich verlaufenden erbkrankheiten. wir haben in der schweiz erst dieses jahr über die zulassung von pränataldiagnostik abgestimmt und im zuge dieser auseinandersetzung gab es schon schicksale, die einem derart weh tun, dass man schon beim lesen weinen will. da war trisomie 21 quasi nix.

    generell bin ich aber der meinung, dass es keine sau was angeht, was man diagnostiziert haben will umd was nicht, weil letztendlich es nur die eltern was angeht, was sie können und wollen. es käme mir nie in den sinn, irgendwas davon zu verurteilen – weil es auch nicht MEIN lebem ist.

    1. buntraum

      nein, es ist nicht unser Leben. und ich denke auch, dass jeder Mensch selbst entscheiden muss, wozu er fähig ist. Aber eben – grade bei Trisomie 21 halte ich es für Panikmache, viele wissen gar nicht, wie ein Leben damit wirklich aussehen kann. Nicht umsonst gibt es auch die Schicksale, die bereuen, dieses Kind nicht bekommen zu haben. Da fehlt meiner Meinung nach einfach die ausreichende Aufklärung dessen, was welche Diagnose wirklich bedeutet.

  2. Ch24

    Auch eine nackenfalte, die im normalen Bereich liegt, ist kein Garant ein gesundes Kind zu bekommen. Bei meinem Sohn waren auch Nackenfalte, Organscreening, Bluttest, Längen- und Geichtswachstum ok. Umso grösser war mein schock, als es nach der Geburt hiess, dass er spezielle Kennzeichen von Down Syndrom aufweist (inkl 2 Herzfehler – ductus botalis hat sich selber geschlossen, vorhofseptumdefekt muss nur beobachtet werden, eventuell OP in ein paar Jahren-am akh sind wir bei einer echt tollen und engagierten kinderkardiologin). Der Gentest hat dann eine freie Trisomie 21 bestätigt.

    Aber wie du geschrieben hast, wenn wir es vor der Geburt gewusst hätten, dann hätten wir es halt 4 monate länger gewusst. Wenn ich sehe, welche viel tiefgreifenderen Beeinträchtigungen es gibt, dann bin ich über „nur“ Down Syndrom froh. Ausserdem gibt es keine Garantie, dass ein gesund geborenes Kind auch immer so bleibt. Es braucht nur ein autofahrer beim zebrastreifen nicht aufpassen….

    Ich finde es nur schade, dass mit dem neuen Bluttest Babies mit Trisomie 21 ausgesiebt werden. Wie gesagt, es gibt viel schlimmeres. Und oft hat der Mensch auch Angst vor dem Unbekannten. Aber es bleibt im Endeffekt den werdenden Eltern übrig, wie sie sich entscheiden, und wie sie mit der Entscheidung leben.

    1. buntraum

      Ja, liebe Claudia, das stimmt. Mir ist auch bewusst, dass es keine 100%ige Diagnose ist. Und vor dem Down Syndrom fürchte ich mich gar nicht so, es sind eher schwerwiegendere Sachen. Aber eben – dieses Aussieben finde ich auch sehr dramatisch. Und ich frage mich, wie es wohl den Menschen mit Down Syndrom geht, die erfahren, dass „ihre Sorte“ (das klingt total bescheuert, sorry) aussortiert werden…

  3. blumenpost

    Ich finde das richtig gut, dass du das mal so beschreibst.
    Aus dem gleichen Grund habe ich bei beiden Kindern das Organscreening machen lassen. Falls sie irgendwas gehabt hätten, hätte man sich vorbereiten können und manches muss ja auch direkt nach der Geburt behandelt werden.

    1. buntraum

      ja, ich kenne leider auch eine Geschichte im Bekanntenkreis, wo es wirklich knapp war nach der Geburt, weil im Vorfeld auch nichts untersucht wurde. Das hat mich wahrscheinlich auch etwas mitgeprägt…

  4. Maria

    Ich habe ein Kind mit Down-Syndrom bekommen – Felix wird jetzt 8 Jahre alt. Wir sind super glücklich mit unserem Kind und sehr froh, dass wir die Diagnose trotz Pränataldiagnostik erst nach der Geburt erhalten haben.
    Nackenfalte war komplett unauffällig und auch das Organscreening war bis auf das „Golfballphänomen“ unaufällig. Wir liessen deswegen auch keine weiteren invasiven Untersuchungen machen.
    Sein schwerer Herzfehler wurde übrigens auch im Organscreening nicht entdeckt. So durfte er erst mal „unbeschwert“ auf die Welt kommen. Die Diagnose Trisomie 21 war für uns wesentlich leichter zu nehmen, weil wir „unser Kind“ gesehen haben, berühren konnten und nicht die Diagnose. Während der SS wäre ich wesentlich unsicherer und ängstlicher gewesen. Für uns war es gut so! Liebe Grüße Maria

    1. buntraum

      Liebe Maria, danke für Deinen Kommentar. Deinen Gedanken „wir konnten unser Kind sehen und berühren, nicht die Diagnose“ finde ich wunderschön und schlüssig. Ich denke nämlich auch, dass die Diagnose an sich für viele Menschen viel schlimmer klingt, als sie in Wirklichkeit ist. Vielen Dank dafür und liebe Grüße, Nadine

  5. Sarah

    Ich habe bei meiner ersten zwei Ultraschalle gehabt. In England ist das der Standard.
    Bei meinem Sohn hatte ich in der 12 Woche einen Ultraschall und bei meiner jüngsten Tochter erst einen zum Ende der Schwangerschaft.
    Ich habe bemerkt, dass mein Vertrauen viel größer war, je weniger ich testen oder anschauen ließ.

    Diesmal sehe ich es ein bisschen anders. Einfach, weil ich ein ganzes Stück älter bin und weiß, dass die Risiken höher sind. Ich überlege, ob und welche Tests ich machen lasse. Bisher bin ich noch unentschlossen.
    Letztendlich frage ich mich, ob mich ein bestimmtes Ergebnis nicht verunsichern und beunruhigen würde, obwohl vielleicht doch alles in Ordnung ist.

  6. amberlight-label

    Wir haben uns bei beiden Kindern bewusst dagegen entschieden und im Mutterpass gab es mehrere Einträge mit dicken Ausrufezeichen und der Bemerkung “nach Beratung abgelehnt“ – euch alles Gute für die Schwangerschaft

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