Leseprobe – Eine Reise in einer Seifenblase

OLYMPUS DIGITAL CAMERAGrauer Sonntag? Schnöder November?

Dann reist doch ein wenig davon gemeinsam mit Emil und seinen Seifenblasenschuhen. Hier gibt es heute eine kleine Leseprobe. Viel Spaß!

 

Eine Reise in einer Seifenblase

Emil schleppte eine schwere Tüte mit den Flaschen zum Glascontainer, der zwei Häuser weiter von seinem Zu Hause stand. Er mochte es, den Glasmüll wegzubringen, weil die Flaschen so herrlich schepperten, wenn sie in den Container fielen. Endlich durfte er Lärm und etwas kaputt machen, ohne dass es jemanden störte. 

Damit er an die runde Öffnung kam, hatte er eine alte Holzkiste hinter dem Container versteckt. Auf die konnte er steigen und mühelos die Flaschen in das große Loch fallen lassen. Eine nach der anderen. Klirr. 

Neben dem Flaschencontainer stand noch eine große viereckige Tonne, in die man alte Kleidung und Schuhe werfen konnte. Seine Mutter hatte dort schon hin und wieder etwas hineingeworfen. Kleider und Blusen, die sie nicht mehr trug, manchmal auch eine alte Hose von seinem Vater. Aber das musste sie heimlich machen, denn Emils Vater war der Meinung, dass er Hosen tragen konnte, bis sie so viele Löcher hatten, dass sie einem Schweizer Käse glichen. 

Heute hing aus der Tonne ein Ärmel eines Wollpullis heraus. Am Boden stand eine Einkaufstüte. Aber sicher war da kein Einkauf drin. Kein Käse, keine Butter und auch keine Milch. Emil aber war neugierig, was wirklich in der Tüte war und kletterte von seiner Kiste hinunter. Die Tüte war oben verknotet und Emil hatte eine Weile zu tun, bis er sie offen hatte. Im ersten Moment war er enttäuscht, denn alles, was er sah, waren einige Schuhe. Aber als er genauer hinschaute, sah er, dass die Schuhe alle ganz und gar nicht normal aussahen. Im Gegenteil. Sie waren wundersam. Sehr wundersam. 

Ein Paar war ganz lang und schwarz, es hatte vorn ein paar Löcher schon und sah aus, als hätte es jemand bis eben noch getragen. Emil zog seine Sandalen aus und schlüpfte in die viel zu großen Schuhe. Als er ein paar Schritte gehen wollte, stolperte er. Schnell zog er die Schuhe wieder aus, betrachtete sie noch eine Weile und warf sie dann neben die Tonne. „Wer sowas wohl trägt?“, fragte Emil sich selbst. Er zog ein anderes Paar aus der Tüte. Es hatte statt der Sohle alten Pappkarton mit Sicherheitsnadeln befestigt. Das tat sicher an den Füßen weh, dachte sich Emil und warf sie zu den großen schwarzen Schuhen.

Ganz unten im Sack fand er ein Paar rosa Kinderschuhe. Sie sahen sehr merkwürdig aus, weil sie eine dicke Sohle hatten. Die roten Schnürbänder waren viel zu kurz. Und schwer waren sie außerdem. Und was war das? Als er sie anhob, hörte es sich an, als plätscherte Wasser in ihnen! 

Emil war neugierig. Er schlüpfte vorsichtig in die rosa Schuhe. Sie passten ihm, als hätte sie jemand extra für ihn dort abgestellt. Aber wer sollte das gewesen sein? Und was noch merkwürdiger war – an den Füßen waren die Schuhe plötzlich ganz leicht. Fast so, als hätte er gar keine Schuhe an. Emil stand auf und lief vor den Containern hin und her. Es lief sich wunderbar leicht. Wie barfuß, aber mit einem Motor. Als würde etwas seine Füße antreiben, ohne dass er seine Beine anstrengen musste. Er konnte mühelos laufen und ganz weit springen. Emil kletterte auf die Holzkiste, auf der noch ein paar Flaschen zum Einwerfen in die Glascontainer standen. Er sprang von der Kiste hinunter. Es fühlte sich wunderbar an. Er hatte das Gefühl, sofort wieder in die Luft zu springen, als hätten sie ein Trampolin eingebaut. Die Schuhe waren ganz besonders wundersam. Das merkte Emil sofort. 

Er setzte sich auf die Holzkiste und zog die Schuhe aus. Sobald er sie in den Händen hielt, waren sie wieder schwer wie ein Wasserkrug. Und plätscherten so eigenartig. Emil schüttelte den Kopf. „Komisch. Das ist doch komisch“, murmelte er vor sich hin. Er zog die Schuhe wieder an. Und wieder fühlten sich seine Füße federleicht an. Er hüpfte ein wenig und merkte, dass er dabei höher flog als sonst, wenn er auf der Stelle hopste. Er wollte probieren, wie hoch er mit den wundersamen Schuhen hüpfen konnte und sprang in die Luft. Und nochmal. Und nochmal. Und auf einmal war alles anders. Er sah nur noch bunte Farben schimmern. Die Container waren verschwunden. Die Häuser. Die Straße. Alles war weg und nur Farben über Farben um ihn herum. Und da plötzlich sah er eine Gestalt. Direkt vor seinen Augen. Sie hatte zwei Zöpfe und trug eine rote Lokführermütze. „Hallooo! Wo soll‘s denn hingehen?“, fragte sie mit kindlicher Stimme. Emil konnte nicht anders als laut zu schreien. Was war passiert? Wo war er und was war das für ein Mädchen? 

Als er aufhörte zu schreien und es wagte, die Augen wieder zu öffnen, saß er unter dem alten Baum, ein Stück entfernt von den Glascontainern. Dort lagen noch die Schuhe und die restlichen Flaschen standen noch immer auf der alten Holzkiste. Was war nun passiert? Er schaute auf seine Füße und sah, dass er noch immer die wundersamen Schuhe trug. Dann versuchte er sich zu erinnern. Er war hoch gehüpft. Immer höher und plötzlich war da das Mädchen. Genau, das Mädchen. Er schaute sich um, schaute nach oben, doch er sah niemanden. Es war still. Nur der Hund drüben bei der großen Villa bellte laut. Aber das tat er immer. 

Emil stand auf. Sollte er noch einmal hüpfen? Was würde dieses Mal geschehen? Er schaute sich noch einmal um. Es war niemand da und so hüpfte er vorsichtig auf der Stelle. Wieder fühlte sich alles so leicht und wie von fremder Kraft angetrieben an. Schnell hüpfte er höher und höher und als er das dritte Mal ganz hochhüpfen wollte passierte es wieder. Es wurde still. Alles war weg und bunte Farben schimmerten. Das Mädchen tauchte ganz nah vor ihm auf und lachte ihn an: „Hallooo! Wo soll‘s denn hingehen?“, fragte sie. Emil starrte das Mädchen an. Er wusste nicht, was er sagen sollte. Und als seine Angst ihn eingeholt hatte, begann er wieder zu schreien. Nicht ganz so laut, aber laut genug, dass das Mädchen verschwand, die Farben um ihn herum wie lauter Scherben zerplatzten und er von einer Sekunde zur nächsten vor dem Eingang zu Nachbars Garten saß. Noch ein Stück weiter von den Glascontainern entfernt. 

Jetzt wurde es Emil unheimlich. Und gleichzeitig wurde er immer neugieriger. Was ging hier vor sich? Schnell zog er die Schuhe aus. Als er sie ein Stück von sich werfen wollte, fielen sie nur schwer zu Boden. Und plätscherten. Emil stand auf. Seine Füße waren so schwer wie immer und als er hüpfen wollte, musste er sich anstrengen. Er hüpfte und hüpfte, aber nichts geschah. Vorsichtig schaute er zu den rosa Schuhen. Waren es Zauberschuhe? Gab es so etwas wirklich? Und wenn ja, sollte er es wagen, sie noch einmal anzuziehen? Und zu hüpfen? Und dem Mädchen zu begegnen? Er schaute sich wieder um. Die Straße war leer. Aber er war schon lange weg und seine Mutter würde sich bald wundern, wo er blieb. Also musste er entscheiden. Wollte er die Schuhe noch einmal ausprobieren, oder sollte er sie einfach zu den anderen Schuhen werfen, die restlichen Flaschen in den Container zerscheppern und nach Hause gehen? Nein. Er war viel zu neugierig. Er konnte die Schuhe nicht einfach zurücklassen. Womöglich würde ein anderes Kind die Schuhe finden und das Geheimnis entdecken. Er musste wissen, was es mit ihnen auf sich hatte. 

Also nahm er die schweren rosa Schuhe wieder, zog sie sich an und zog an den zu kurzen roten Schnürbändern, so dass seine Füße nicht rutschten. Dann stand er auf und begann wieder erst vorsichtig, dann kräftiger zu hüpfen. Und als er sich das dritte Mal kräftig vom Boden abstieß, wurde es wieder still. Die Welt um ihn herum verschwand, die Farben schimmerten wieder kunterbunt wie eine ölverschmierte Pfütze. Und dann tauchte sie wieder auf. Das Mädchen mit den Zöpfen und der Lokführermütze. Sie lachte ihn an und sagte: „Hallooo! Wo soll‘s denn hingehen? Ach, und bitte schrei mich nicht wieder so an. Das tut mir in den Ohren weh.“ Emil erstarrte. Er hatte sich fest vorgenommen, nicht wieder zu schreien. Aber ihm fiel auch nichts anderes ein. Und dann, ganz still und zittrig sprach er „Ich, ich will nach Hause.“ Dann wurde es kurz dunkel, in seinem Bauch kribbelte es, als würde er zu hoch schaukeln, und auf einmal saß er auf seinem Bett in seinem Zimmer. Jetzt verstand er die Welt nicht mehr. Eben saß er doch noch draußen vor dem Gartentor der Nachbarn. Hatte er geschlafen? Er schaute auf seine Füße und trug noch immer die wundersamen rosa Schuhe. Er musste also von draußen hierher geflogen sein. Aber das Fenster war geschlossen. Wie war das möglich? Er stand auf und öffnete vorsichtig die Zimmertür. Er hörte seine Mutter im Arbeitszimmer an ihrem Computer klappern. Das Radio erzählte von einer kommenden Hitzewelle und viel Badewetter. Es war also alles wie immer. 

Schnell schloss er die Tür wieder. Waren die Schuhe tatsächlich in der Lage, ihn von einem Ort zum anderen zu bringen? Er begann zu hüpfen. Vorsichtig, dass die Mutter nichts bemerkte. Dann hüpfte er dreimal kräftig auf der Stelle und beim dritten Mal passierte es. Sein Zimmer verschwand. Alles war bunt und das Mädchen lachte ihm wieder entgegen. „Hallooo! Wo soll‘s denn hingehen?“ Emil hatte sich in all der Aufregung wieder nicht überlegt, wo er wirklich hinwollte und so sagte er leise „Aufs Klo?“ Es wurde dunkel. Sein Bauch kribbelte und schon saß er im Badezimmer. Jetzt lachte er. Tatsächlich. Die Schuhe brachten ihn überall hin. Überall? Emils Herz schlug schneller. Er war aufgeregt. Viel aufgeregter als vorher noch, als er die ersten Male mit den Schuhen gehüpft war. Er stand schnell auf und überlegte, wo er jetzt hin sollte. Zu Papa ins Büro? Zu Opa in den Garten? Oder zu Ronja, seiner besten Freundin? Aber würden die Leute sich nicht wundern, wenn er plötzlich vor ihnen stand? Nein, er musste erst etwas besuchen, wo niemand ihn sah. Erst musste er noch mehr über diese wundersame Zauberei herausfinden. Er begann zu hüpfen. Kräftig. Und beim dritten Mal erschreckte er sich nur noch ein wenig, als das Badezimmer um ihn herum verschwand und alles in bunten Farben schimmerte. Jetzt erkannte er auch, was es war, das ihn so bunt und grell umgab. Es war eine riesige große Seifenblase. Die wackelte so wie die großen Seifenblasen, die er manchmal in die Luft blies. Aber gegen diese Seifenblasen hier waren die anderen alle nur winzig klein. 

Vor ihm erschien das Mädchen wieder. Mit ihren zwei Zöpfen und der roten Lokführermütze, die mit Spangen befestigt war, die genau so rosa waren wie die Schuhe, die er trug. „Hallooo! Wo soll‘s denn hingehen?“, fragte sie. „In unsere Hütte im Wald“, sagte Emil.

Mit Ronja hatte er sich in dem Waldstück hinter ihrem Haus eine Hütte aus Holz und Ästen gebaut. Dort spielten sie Jäger, Verstecken, manchmal waren sie gestrandete Piraten oder König und Königin. Astronauten, wilde Drachen. Und manchmal einfach nur Emil und Ronja, die keine Lust auf ihre Hausaufgaben hatten. Und da saß er plötzlich. In ihrer Hütte. Gekauert unter Eichenzweigen. Am liebsten wäre er sofort zu Ronja gelaufen um ihr von seinen wundersamen Seifenblasenschuhen zu erzählen. Aber was würde sie sagen? Würde sie ihm glauben? Und was, wenn sie die Schuhe ausprobieren wollte und einfach mit ihnen verschwand, etwas schief ging und sie nie wieder auftauchte? Nein, er musste die Schuhe vorerst geheim halten. Und außerdem wollte er sie noch ein wenig ausprobieren. Denn abgesehen davon, dass er nun überall hin konnte, wo er hin wollte, gefiel ihm das Kribbeln im Bauch so sehr. Wo konnte er nur als nächstes hinreisen in seiner Seifenblase?

Die 11 weiteren Geschichten gibts im Buch und das wiederum hier ! oder einfach hier:


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Dieser Beitrag hat einen Kommentar

  1. Danke liebe Nadine für dieses tolle Buch!!! Mein Löwenjunge ist so begeistert und erzählt ganz viel von Emil und wie es wo weiter geht.
    Halloooo wo soll es denn hingehen? Höre ich jetzt immer öfter.
    Aber: er würde gerne mehr über das Mädchen erfahren :-)
    Wo genau wohnt sie, wer ist sie und überhaupt wie fühlt sich das an in dieser Seifenblase zu reisen???
    Liebe Nadine, ich fürchte das schreit nach einer Fortsetzung!!!!
    Von Herzen vielen Dank, ich habe genau sowas Schönes zum Vorlesen gesucht!

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